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Landtagswahl in Bayern: Interview mit Andreas Klee zu Wählern unter 30
Bei der bayerischen Landtagswahl am Sonntag hat die CSU harte Verluste erlitten, sie kam am Ende auf 37,2 Prozent. Die Grünen liegen mit 17,5 Prozent zwar deutlich dahinter, können sich aber trotzdem über Platz 2 freuen. Bei jungen Menschen unter 30 haben die beiden Parteien laut „Forschungsgruppe Wahlen“ allerdings fast gleich gut abgeschnitten: Die CSU stürzte von 40 Prozent im Jahr 2013 auf 26 Prozent, die Grünen kletterten von 10 auf 24 Prozent. Drittstärkste Kraft bei den jüngsten Wählern wurde die AfD mit 11 Prozent (Gesamtergebnis 10,2), während die SPD von 19 auf 7 Prozent abstürzte (Gesamtergebnis 9,7). Kurz: Die beiden Groko-Parteien scheinen für junge Wählerinnen und Wähler in Bayern eine immer geringere Rolle zu spielen. Wie kam es dazu?
Prof. Dr. Andreas Klee, Jahrgang 1976, ist Politikwissenschaftler und Direktor des Zentrums für Arbeit und Politik der Universität Bremen. Seine Forschungsschwerpunkte sind politische Bildung und Teilhabe von Jugendlichen. Im jetzt-Interview erklärt er den Einfluss der Proteste gegen CSU und Polizeiaufgabengesetz auf das Wahlverhalten junger Menschen – und was das Trump-Zeitalter mit Bayern zu tun hat.
jetzt: Beim Blick auf die Wahlergebnisse fällt als erstes auf: CSU und Grüne liegen bei jungen Wählern fast gleichauf. Warum sind die Grünen so erfolgreich bei den Jüngeren?
Andreas Klee: Die Grünen haben junge und sympathische Spitzenkandidaten, sie kümmern sich um Klimaschutz und Umwelt. Dieses Thema interessiert junge Menschen immer besonders, das ist leicht zu erklären: Sie sehen Gefahren auf sich zukommen, die andere gar nicht mehr erleben. Dazu kommt: Gerade den jungen Wählerinnen und Wählern ging es darum, der CSU einen Denkzettel zu geben. Junge Menschen haben Lust am Wandel, das wird nur leider von vielen Politikern verschlafen. Davon haben die Grünen profitiert, auch wenn sie ansonsten längst keine klassische Protestpartei mehr sind, sondern hauptsächlich wegen ihrer Inhalte gewählt werden.
Aber immerhin hat ein Viertel der jungen Wähler die CSU gewählt.
Ein Wählerpotenzial nach dem Schema „Mama hat die gewählt, Papa auch, dann mache ich es genauso“ gibt es zwar immer weniger, aber gerade in Bayern ist es natürlich noch immer vorhanden. Insbesondere auf dem Land, wo die Bildungsaffinität nicht so hoch ist wie in einer liberalen Hochburg wie München. Bayern ist außerdem ein Flächenland, da spielt die Agrarindustrie eine wichtige Rolle, auch als berufliche Perspektive, und in dem Bereich ist die CSU traditionell stark. Dass aber bei dieser Wahl viele zu den Grünen gewechselt sind, zeigt eine klare Oppositionshaltung gegenüber der CSU als „herrschendem System“, gerade unter Jüngeren.
„Viele junge Menschen stimmen eher gegen etwas als für etwas, das zeigt diese Wahl ganz deutlich“
Diese Haltung konnte man ja schon bei den großen Demos gegen das bayerische Polizeiaufgabengesetz und gegen die Asylpolitik der CSU sehen. Wie ist sie so stark geworden?
In letzter Zeit wird viel von gesellschaftlicher Spaltung gesprochen. Da ist etwas dran: Wir haben heute eine viel stärkere Konzentration auf einzelne Politikfelder, wo man entweder dafür oder dagegen ist, die Migrationspolitik ist das beste Beispiel. Durch die Entgleisungen der CSU auf diesem Gebiet haben sich viele von ihr abgewendet und die Grünen haben sie gerne aufgenommen. Viele junge Menschen stimmen eher gegen etwas als für etwas, das zeigt diese Wahl ganz deutlich. Übrigens: Es ist ein Mythos, dass junge Menschen sich nicht für Politik interessieren. Das tun sie sehr wohl, aber sie machen es zunehmend an konkreten Dingen fest. Mit #noPAG konnten sich viele Jüngere gut identifizieren, es gab ihnen das Gefühl, nicht nur zuzusehen, sondern selbst Akteur zu sein. Das fiel zeitlich günstig mit den Wahlen zusammen.
Stichwort „dagegen“: Junge Menschen haben gegenüber dem Gesamtergebnis überdurchschnittlich oft die AfD gewählt, aber unterdurchschnittlich oft die SPD. Woran liegt’s?
Die SPD wird letztlich genauso als Teil des Establishments wahrgenommen wie die CSU, sie war ja bis jetzt die zweitstärkste Kraft in Bayern. Im Vergleich zu den Grünen ist sie aber blass geblieben. Die AfD dagegen profitiert ähnlich von der Polarisierung wie die Grünen: Gerade junge Wähler wollen sich nicht mehr ein Leben lang auf eine Partei einlassen und sich mit ihr auf allen Politikfeldern identifizieren. Das ist genau das politische Konzept der SPD, aber es hat keine Zukunft. Wir werden stattdessen kleinere, fragmentiertere Parteien haben, die sich auf einzelne Politikfelder konzentrieren. Die AfD polemisiert vor allem im Bereich der Flüchtlingspolitik. Das finden viele leider so attraktiv, dass gar nicht auffällt, dass die AfD kaum Ahnung von anderen Themen hat. Junge Menschen sind damit besonders leicht zu mobilisieren.
„Ich erlebe in meiner Arbeit oft Jugendliche, die überzeugt sind, die Tagesschau würde Ausschnitte manipulieren“
Wie kommt das? Unsere Generation ist doch vor allem durch politische Stabilität geprägt. Die 18- bis 29-Jährigen kennen keine andere Kanzlerin als Angela Merkel.
Das war schon in den Achtzigern so, ich selbst bin ausschließlich mit einem Kanzler aufgewachsen, nämlich mit Helmut Kohl. Aber damals hat sich auch schon gezeigt, dass junge Menschen sich über einzelne Ereignisse oder Themen politisieren, nicht in der Breite. Damals waren es die Umweltbewegung und der Anti-Atom-Protest, gerade Wackersdorf hat ja Bayern sehr geprägt. Und heute ist es das Trump-Zeitalter, die „Fake-News“, die Jüngere verunsichern. Ich erlebe in meiner Arbeit oft Jugendliche, die überzeugt sind, die Tagesschau würde Ausschnitte manipulieren, und stattdessen lieber Russia Today gucken. Meist sind sie dann ganz überrascht, was Politik ihnen alles für Angebote macht, dass zum Beispiel jede Bundestags- und Landtagssitzung im Netz übertragen wird.
Was lässt sich gegen diese Verunsicherung tun?
Das Gefühl, informiert zu sein und auf dieser Grundlage dann eine Entscheidung treffen zu können, ist bei vielen jungen Menschen nicht mehr vorhanden. Da hilft es nur, auf sie zuzugehen, den Dialog zu suchen. Und ihnen das Gefühl zu geben, nicht nur Zuschauer zu sein, sondern Teil eines politischen Projekts. In Bayern war das der Protest gegen die CSU und das Polizeiaufgabengesetz – und die Grünen haben davon profitiert.