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Verschenkt bitte keine Cremes oder Bodylotions!

Illustration: Federico Delfrati

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Während sich die Erwachsenen in meiner Familie zu Weihnachten das Schenken gegenseitig untersagt haben, gehöre ich zur Fraktion „Kein Kind mehr, aber könnte unser Kind sein“. Deshalb werde ich noch von Familienmitgliedern beschenkt. Prinzipiell freue ich mich auch total über gute Geschenke: Eine Monografie über Basquiat, Karten fürs Tanztheater oder das neue Album von SSIO. Aber huch, da habe ich mir einen Moment erlaubt zu träumen. Denn die Realität zeigt leider, dass mich ein beachtlicher Teil meiner Familie nicht gut kennt. Ich stelle mir alle Jahre wieder vor, wie meinen Tanten zur Vorweihnachtszeit die Erleuchtung kommt: „Sie ist eine Frau. Sie hat Haut. Jünger wird sie auch nicht. Eine Creme. Na klar, sie will eine Creme. Schön verpackt in einem Geschenkset. Das gefällt doch jeder Frau.“

Jedes Jahr bekomme ich also mindestens eine elegante Tragetüte, in der sich meist eine Box mit inspirierenden Sprüchen wie „A life full of wonders is a wonderful life“ drauf befindet. Ich öffne die Box und ahne, was mich erwartet. Ein überteuertes Weihnachtsset mit Körpercreme, Peeling, Handseife und anderen Produkten, von denen ich schon genug in meinem Badezimmer stehen habe. Mit erwartungsvollem Blick schaut mich meine Verwandtschaft an.

Nein, ich brauche keine Creme. Sonst würde ich mir sie selbst kaufen. Aber ich erinnere mich an mein überfülltes Badezimmer, in dem noch die halbbenutzten Cremes vom vergangenen Weihnachtsfest stehen. Also kleiner Weihnachtstipp: Wenn du nicht sein willst wie eine meiner Tanten, dann verschenke keine Cremes! Und auch keine Duftkerzen, Lotionen oder Badezubehör.

Ich täusche seit Jahren Wertschätzung vor

Nun bin ich aber leider keines der Kinder aus den „Hey Jimmy Kimmel, I Gave My Kids a Terrible Present“-Videos. Ich kann mich also nicht beschweren und gegen das nach Himalaya-Salz und Lotusblüte duftende Körperpeeling treten. Ich kann auch nicht rufen: „Tante, anstatt mir diesen luxuriösen Plastikmüll zu schenken, hättest du sechs Monate mein Aldi-Talk bezahlen können.“ Denn ich weiß ja: Beim Schenken geht es um die Intention und die Aufmerksamkeit. Also täusche ich seit Jahren Wertschätzung vor und packe meine einstudierte Weihnachtsrotation an freudigen Ausrufen aus: „Wow!“, „Ja, das gefällt mir wirklich total!“, „Das habe ich mir gewünscht!“ Verschenken ist egoistisch. Meine Tante will, dass ich ihr danke. Ob es mir gefällt oder nicht.

Cremes stehen repräsentativ für Geschenke, die man immer machen kann. Im Umkehrschluss: Sie sind unpersönlich. Dieses Geschenk sagt nichts über meine Beziehung zur schenkenden Person aus. Nein, es enthüllt sogar, dass wir keine haben. Im schlimmsten Fall bin ich allergisch gegen die Creme und verbinde fortan die Schenkerin mit roten Pusteln auf meinen Innenschenkeln – dann war das Geschenk auf einmal viel persönlicher als gedacht.

Das aufrichtigste Geschenk wäre Geld

Gleichzeitig würde ich in meiner Familie für derart offensive Undankbarkeit enterbt werden. Zurecht! Ich bin ja auch dankbar für die liebevolle Geste, für die investierte Zeit und die Aufmerksamkeit. Aber mit der erzwungenen Dankbarkeit befeuern wir einen toxischen Kreislauf: Meine Tante denkt, sie hätte mir das perfekte Weihnachtsgeschenk gemacht und ich kann mich für den Rest meines Lebens nicht mehr vor Cremes retten. Wenn wir also immer noch an der Konvention hängen, materielle Geschenke machen zu müssen, dann doch lieber aufrichtig. Das aufrichtigste Geschenk wäre Geld. Kohle. Cash. Natürlich ist uns das Verschenken von Geld als Geste viel zu kühl. Aber es ist total nachhaltig:

Wenn Ökonom*innen das Verschenken untersuchen, nehmen sie den volkwirtschaftlichen Verlust in den Fokus: Sie schätzen, dass circa 33 Prozent des Werts aller Geschenke automatisch Verlust sind. Zugegeben: Ich klinge wie der Grinch, wenn ich über volkwirtschaftlichen Verlust schreibe, weil es dem Fest des Zusammenkommens seine Romantik nimmt. Jedoch sind Weihnachten und das Verschenken materieller Güter ein Geschäft, dem wir uns bewusst sind. Der geschätzte Wert berechnet sich aus der Produktion, die Zeit verschwendet hat, das Geschenk herzustellen. Die Schenkenden haben Zeit verschwendet, es auszusuchen. Die Beschenkten haben Zeit verschwendet, es zurückzugeben. Es gibt nur ein Geschenk, dessen Wert nicht sinkt: Geld. Aber auch das sagt nicht viel über die Beziehung beider Seiten zueinander aus, obwohl es zu mehr Dankbarkeit führen kann als 200 Milliliter Duschschaum.

Deshalb gäbe es noch eine Alternative: Nachfragen! Du musst nicht verheimlichen, dass du die zu beschenkende Person kaum kennst. Das ist euch beiden klar. Genauso wenig musst du verheimlichen, dass du etwas verschenken willst. Eine kurze Frage nach den Interessen, Hobbies oder sogar konkreten Wünschen kann dir einen Überblick geben. Somit erfährst du sogar etwas über dein Gegenüber und im besten Fall kommt ihr euch näher. Sich näherkommen? An Weihnachten? Ah, da war doch was.

Finde heraus, was deine Liebsten wirklich wollen!

Selbstverständlich kannst du auch erstmal andere Leute fragen, die mehr Verbindung zu dem Menschen haben. Eltern, Freund*innen und andere Verwandte kannst du über Facebook kontaktieren. Schließlich ist diese Plattform das letzte erhaltene Territorium, auf dem sich Tanten frei bewegen können. Seien wir ehrlich: Das Geld wirst du eh ausgeben, also warum so viel Tamtam um den Überraschungsfaktor an Heiligabend. Du bist nicht nachts aus dem Kamin gekrochen und wusstest auf magische Weise, was du verschenken solltest. Sei transparent. Finde heraus, was deine Liebsten wirklich wollen und verschenke das dann!

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