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Sind Pärchen-Adventskalender gut oder böse?

Collage: Daniela Rudolf

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24 kleine Geschenke für den*die Liebste*n – für viele Menschen gibt es nichts Romantischeres als einen selbstgebastelten Pärchen-Adventskalender. Sie laufen schon Wochen vor dem ersten Dezember durch Läden und durchforsten das Internet nach hübschen, nützlichen oder auch völlig albernen Kleinigkeiten, die dem*der Partner*in eine Freude machen sollen. Für andere ist ein solcher Adventskalender undenkbar. Sie finden ihn kitschig, stressig und schlicht unnötig. Auch in der Redaktion sind die Meinungen gespalten. Ein Pro und Contra: 

Eva findet Pärchen-Adventskalender romantisch:

Das Internet vermittelt einen falschen Eindruck vom Paar-Adventskalender. Google ich „Adventskalender Pärchen“, lande ich in den verschiedensten Online-Shops. Sie verkaufen Kalender, die mit Teebeuteln, Pralinen und Sexspielzeugen gefüllt sind. Auch 24 vorgedruckte Liebesschwüre können bestellt werden. Oder lustige Comicfiguren, die einem jeden Tag ein Kompliment machen. Kommerzkitsch für Leute, die glücklich „I Love You“-Kissen aufschütteln.

Aber es geht doch auch viel persönlicher, gedankenvoller. Die neue Geschichte des Lieblingsautors in 24 Streifen schneiden. Ebenso viele Songs runterladen. Jeden Tag eine andere Postkarte schicken. All den Krimskrams einpacken, der von Januar bis November nur kleinlich wäre.

Der Adventskalender ist die jährliche Möglichkeit, den Lieblingsmenschen mit Alltagsaufmerksamkeit zu überhäufen. Jene, die wir ihm in den Anfangszeiten täglich zukommen ließen. Die wir irgendwann aber für zu kitschig hielten oder im Alltag nach der ersten Verliebtheit immer öfter vergaßen und schließlich ganz wegließen.

„Wir haben ja alles!“ – Ja, und? Geschenke sind Gedanken

Doch nichts ist besser als diese kleinen, unaufgeregten Liebesbeweise. Sie halten die Beziehung frisch, sie sind ein guter und relativ simpler Weg, dem anderen zu zeigen, wie oft und gerne man an ihn denkt. Vielleicht sind sie damit sogar besser als die großen Gesten oder Geschenke, die vermeintlich Beziehungsgeschichte schreiben. Der Adventskalender bietet die Chance, das Kleine-Geschenke-Schenken wenigstens einmal im Jahr aufleben zu lassen. Es dadurch vielleicht neu zu erlernen und damit auch den Rest des Jahres etwas öfter in Erwägung zu ziehen.

Und selbst, wenn nach dem 18. Türchen die kreativen Ideen ausgehen – was solls: Auch abgepackte Kekse und Gummibärchen verkürzen die Zeit bis Heiligabend. Hat ja Mama damals nicht anders gemacht. Gemeckert haben wir darüber nie, oder? Doch irgendwann zwischen Fahrprüfung und der ersten Steuerrechnung verlor der Adventskalender seinen Glanz. Er wurde für viele zu einer lästigen Pflicht. Wer seinem*r Partner*in trotzdem einen schenkt, wird als unfreie*r Pseudo-Romantiker*in verspottet. Pah! Arme Menschen, die so denken. Sie verbieten vermutlich auch die Bescherung an Weihnachten. „Wir haben ja alles!“

Ja, und? Geschenke sind Gedanken. Mache ich beides gerne und oft. Und sollte ich noch viel öfter tun. Alle anderen übrigens auch. Lasst uns sämtliche Geschenkgelegenheiten ergreifen! Das Leben ist ernst genug. Da ist jede kleine Nettigkeit viel Wert. Lasst uns also Adventskalender befüllen oder leeren, uns über den Inhalt freuen. Niemals auf diese 24 Aufmerksamkeiten verzichten.

Quentin findet Pärchen-Adventskalender kitschig:

Von der Existenz der Pärchen-Adventskalender wusste ich bisher wenig, was ich allerdings weniger als Wissenslücke, denn als Bestätigung einer im Zweifel doch recht nützlichen Filterblase meinerseits betrachte.

Nachdem mir Kolleg*innen dann den Inhalt dieser im Schlimmstfall selbst gestrickten, selbst gehäkelten, oder – Gott bewahre – selbst gefilzten Ekelbeutelchen beschrieben, wurde mir aufrichtig schlecht. Sie erzählten von herzförmigem Vollkorngebäck, Gutscheinen für „1x Massage nach einem stressigen Arbeitstag“ oder für in weihnachtlichen Kontext gebettete sexuelle Gefallen, wie zum Beispiel ein Adventsengel, der dem Weihnachtsmann seinen prall gefüllten Sack ... Abgründe also, die eigentlich bei jedem Menschen mit einer gewissen Restwürde Trennungs- oder wenigstens Zölibatgedanken auslösen müssten. Ich hoffe, da haben sie übertrieben, die Kolleg*innen. Ich befürchte nicht.

Für mich  ist die Vorstellung der Pärchen-Adventskalender abschreckend. Wenn schon das Stilbewusstsein und ein natürliches Verständnis von Zuneigung versagt, kann man dann nicht wenigstens an eine gewisse Reife zweier Erwachsener apellieren? Diese Menschen wollen im Zweifelsfall selbst mal Kinder haben, sie wollen von diesem Nachwuchs, den Kolleg*innen, dem Umfeld und ja, hoffentlich auch dem*der Partner*in selbst, ernstgenommen werden.

Basteln sie sich dann auch Kartoffeldruck-Laternchen für den Martinsumzug?

Und dann hängen sie sich einen Haufen Filzbeutelchen mit „lecker Schoki“ und anderen „süßen Aufmerksamkeiten“ über’s Bett? Basteln sich diese Paare dann auch gegenseitig Kartoffeldruck-Laternchen für den Martinsumzug? Schaut die Zahnfee noch manchmal vorbei?

Ein seltsames Leben tut sich da auf. Vielleicht gibt es ja auch Paare, die den Adventskalenderkram tatsächlich ansatzweise würdevoll über die Bühne bringen. Deren Kalender wie Designmöbel aussehen und 24 arschcoole Objekte enthalten – wahrscheinlicher ist aber doch die rot-weiß-grüne Variante der traurigen Peter-Pan-Paare.

Ich für meinen Teil bin dankbar, nicht in einer durchinfantilisierten Welt leben zu müssen, in der man den Liebsten auf dem Niveau einer Krabbelgruppe begegnet. Und dass ich für Zuneigung jeder Art nicht auf Gutscheine angewiesen bin.

Hinweis: Dieser Text wurde am 3. Dezember 2017 erstmals veröffentlicht und jetzt noch einmal aktualisiert – die Frage ist immerhin noch genauso aktuell. 

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