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„Quality Time“ mit Freund*innen ist überbewertet

Foto: Alicia Steels/unsplash

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Was man dringend braucht: Freund*innen. Was man darum auch dringend braucht: Verabredungen, damit die Freund*innen einem erhalten bleiben. Manchmal ist es aber einfach irre schwierig, diese Verabredungen neben dem stressigen Alltag unterzubringen.

Hat man nach langem Hin und Her endlich einen Termin fix gemacht (Donnerstag, 19 Uhr, Bar XY), stellt man Donnerstagnachmittag fest, dass man es frühestens um 18:30 Uhr aus dem Büro schaffen wird, dann halbe Stunde Heimfahrt plus fünfzehn Minuten einkaufen, weil man am nächsten Abend zum Essen eingeladen ist und dafür noch einen Nachtisch machen muss, dann Wäsche anmachen und merken, dass man sie eigentlich abwarten und direkt aufhängen muss, damit die Trockenzeit lang genug ist, um freitags in frischer Unterwäsche in die Arbeit gehen zu können, und eigentlich muss man diesen Nachtisch auch direkt machen, weil man es morgen zwischen Arbeit und Einladung nicht schafft. Dann der Freundin schreiben, ob man sich später treffen könne. Dann Absage der Freundin, weil sie am nächsten Morgen früh aufstehen muss, oder späteres Treffen, aber man ist irgendwie ganz gestresst und müde.

Die Lösung ist, Freund*innen in den Alltag zu integrieren

Dabei müsste das gar nicht sein. Es passiert nur, weil wir „Freund*innen treffen“ und „Verabredungen“ falsch definieren. Weil wir immer denken, dass man sich dafür in einer Bar oder einem Café, am Fluss oder im Park treffen und irgendwas machen muss, was man sonst an diesem Tag nicht gemacht hätte. Was dazu führt, dass man oft genug einfach gar nichts macht, weil es entspannt sein soll, aber alle Beteiligten stresst.  

Die Lösung ist, Freund*innen in den Alltag zu integrieren. Oder, wie es eine Autorin des Blogs „The Cut“ neulich beschrieben hat: „having friends woven in the texture of daily life“. Für ein anderes amerikanisches Magazin namens „A Cup of Jo“ erzählten Leser*innen über ihre Strategien, Freundschaften zu bewahren – und eine Leserin schrieb, sie gehe jedes Wochenende mit ihrer Schwester in den Supermarkt. Einkaufen müssen sie ja eh, also machen sie es einfach gemeinsam. Und wiederum bei „The Cut“ plädierte eine Autorin fürs „Socializing in Silence“, also dafür, Zeit miteinander zu verbringen, ohne sich die ganze Zeit miteinander zu beschäftigen: Die eine Freundin liest, während sich die andere im Nebenzimmer die Nägel lackiert. „Parallel play“ nennen Psycholog*innen das bei Kindern. Nebeneinander sitzen und jeder spielt für sich. Warum sollte das nicht auch bei Erwachsenen funktionieren? 

Ich halte das für ein perfektes Konzept: Ich kann meine Freundin an besagtem Donnerstag auch einfach zu mir nach Hause einladen. Dann trinken wir eben dort Wein und reden, während im Bad die Waschmaschine schleudert, und während ich die Wäsche aufhänge, sitzt meine Freundin mit dem Glas in der Hand im Sessel und wir sprechen weiter. Oder sie wartet in der Küche und beantwortet derweil Nachrichten auf ihrem Handy. Ich kann sie sogar fragen, ob wir uns um kurz vor sieben am Supermarkt treffen wollen, ob sie Lust hat, mit mir einzukaufen. Sicher muss sie selbst auch was besorgen. Zwei richtig fette Fliegen mit einer kleinen Klappe.

Ich könnte sie sogar zu mir einladen oder sie mich zu sich, wenn eine von uns noch ihre Steuer machen oder Mails schreiben muss. Währenddessen kann die andere ja lesen oder sich im Online-Shop eine neue Bettwäsche aussuchen. Egal, Hauptsache, man verbringt Zeit miteinander. Wenn eine Person anwesend ist, die man mag, fällt einem alles leichter. Und alles ist gemütlicher. So ähnlich, wie wenn eine Katze auf dem Sofa schläft, während man irgendwas arbeitet – nur besser.

Wer zusammen in den Supermarkt geht, hat keine hohen Erwartungen, dass das jetzt total lustig oder tiefgehend wird

Warum machen wir das nicht viel öfter? Alltägliches mit Freund*innen? Nebeneinander lesen. Mit Kopfhörern netflixen, während der andere noch arbeitet. Ein Nickerchen machen, während der andere bügelt. Gemeinsam einkaufen. Gemeinsam die Reisepässe verlängern lassen. Eigentlich macht das jeder nur mit Partner oder Partnerin. Dabei könnte man all das doch auch mit Freund*innen teilen. Und so sicherstellen, dass man sich oft genug sieht, ohne dass man dafür jedes Mal drei komplett leere Abendstunden finden muss. 

Ich kenne das zumindest von Wochenenden, an denen ich Freundinnen besuche, die in einer anderen Stadt wohnen, oder bei ihnen übernachte, weil ich dort einen Termin habe. Oder wenn ich umgekehrt solchen Besuch empfange. Man ist dann zu Gast in der Routine der anderen oder empfängt sie in der eigenen. Man ist zusammen während des Abwaschs, man kauft gemeinsam fürs Essen ein, man verbringt Zeit in der gleichen Wohnung, aber jeder für sich, schlafend, lesend, duschend. Ich liebe es, zum Teil des Alltags einer Freundin zu werden oder sie in meinem aufzunehmen. Es gibt mir ein schönes Gefühl von „Wir kommen wirklich gut miteinander aus“. Dass wir zwischendurch auch immer wieder lange Gespräche führen, schließt sich da nicht aus. Im Gegenteil.

Für einen der Texte von „The Cut“ hat die Autorin eine Psychologin zu Alltäglichkeiten mit Freund*innen befragt. „Quality Time hat nichts mit der Länge der Zeit zu tun, die man mit jemandem verbringt“, sagte sie. Wenn man an der Drogeriekasse zwei Sekunden über ein Magazin diskutiere, dann sei das auch schon „Quality Time“. „Die Zeit zu haben, sich hinzusetzen und lange Diskussionen zu führen ist auch wertvoll, aber nicht wertvoller.“ Gleichzeitig, so die Autorin, sei diese gemeinsame Alltagszeit oft sogar entspannter. Wer zusammen in den Supermarkt geht, der habe keine hohen Erwartungen, dass das jetzt total lustig oder tiefgehend wird – was bei einem geplanten Abend ja eher mal der Fall ist. Manchmal ist ein gemeinsamer Moment vorm Kühlregal lustiger als jeder an der Bar gerissene Witz. Und sich einander still Gesellschaft zu leisten, kann eine Freundschaft genauso sehr adeln wie ein stundenlanges Gespräch.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde zum ersten Mal am 10.04.2018 veröffentlicht und am 16.07.2020 noch einmal aktualisiert.

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