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Ein Hoch auf den, der die fehlenden Geschenke besorgt

AlexKaishauri / photocase.com

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Ich hätte gar nicht erst anbieten dürfen, die fehlenden Geschenke für Weihnachten noch zu besorgen. Damals, als eine Woche vor Weihnachten noch die Hälfte meiner sechzehnköpfigen Familie keine hatte. Vor allem, das ist mir heute klar, hätte ich es nicht so gut machen dürfen. Nicht die geheimen Wünsche der Familienmitglieder erahnen, nicht drei Tage lang Geschenke einkaufen, die ihnen am Schluss tatsächlich gefielen.

Seitdem bin ich nämlich der Joker. Wer zu Weihnachten nichts Geeignetes für Mama, Papa, Schwester, Bruder, Neffen, Nichten, Enkel:innen findet, wendet sich vertrauensvoll an mich. Und das sind seither eigentlich so ziemlich alle. Sie wissen schließlich, dass ich es schon regeln, mindestens Rat wissen werde, dass ich ihre Geschenkeretterin bin. Und eigentlich ist das ja auch gut so. Denn so wird der Familienfrieden gewahrt.

In einer Großfamilie hat die Vorweihnachtszeit schließlich nur in den seltensten Fällen etwas Besinnliches und Entspanntes. Denn bei Familien ab einer gewissen Größe wird es schnell sehr unübersichtlich – umso mehr, wenn sich jede:r beschenken will. Gehen wir mal (harmlos) von der Zahl zwölf aus: Zwei Eltern, zwei Großeltern, drei Kinder, zwei Partner:innen und drei Kindeskinder. In einer solchen Konstellation haben die meisten Beteiligten unterschiedliche Budgets, unterschiedliche Ansprüche, aber auch unterschiedliche Beziehungen zueinander.

Man braucht den Koordinator, den Besorger, den Retter der Geschenke im Fulltime-Job

Wenn die 18-Jährige sich ein Tattoo wünscht, ihre Geschwister das ermöglichen wollen, Oma aber lieber Weihnachten schwänzen würde, als das passieren zu lassen, hat man beispielsweise ein Problem. Oder wenn einer nur fünf, die andere 30 Euro zu einem größeren Geschenk dazu geben will. Oder wenn zwei dasselbe kaufen. Alles nicht so einfach, wenn das mindestens zwölf mal zwölf, also 144 mal durchdacht werden muss – und am Ende eben doch jeder macht, was er will.

Und daher braucht man sie: die Koordinatorin, den Besorger, die Retterin der Geschenke. Jemanden, der Wünsche und Ideen sammelt, diese dann an alle kommuniziert, die Zuschläge verteilt und entstehende Lücken selbst stopft.

Ein Fulltime-Job im Dezember. Beim ersten Mal habe ich ihn sogar noch gerne gemacht. Es ist nun drei Jahre her, ich war arbeitssuchend und hatte mehr Zeit zur Verfügung, als mir lieb war. Da machte es mir Freude, täglich durch die Stadt oder über Weihnachtsmärkte zu marschieren und Geschenke für jedes Familienmitglied auszusuchen. Ich mochte den Weihnachtsstress.

Jetzt allerdings habe ich einen realen Fulltime-Job. Und eigentlich keine Zeit mehr, um all die Geschenke zu retten. Doch egal, wie oft ich das kommuniziere – am Ende hoffen sie doch alle auf mich. Rufen an, schreiben um Hilfe. Und ich kann nicht nein sagen und rette weiter. Schließlich weiß ich erstens durch all die Hilferufe ja inzwischen wirklich besser als jedes andere Familienmitglied, was sich wer gerade denkt, wer wie viel ausgeben mag und so weiter und so fort.

Oft fällt den anderen zu spät ein, dass es auch einen Geschenkeretter für den Geschenkeretter braucht

Zweitens hat sich meine innere Einstellung gegenüber Geschenken nicht verändert: Mir ist irre wichtig, dass Weihnachten für jeden gut ausgeht. Dass jeder bekommt, was ihm gefällt. Dass sich keiner blöd fühlen muss, weil er schlecht beschenkt wurde oder schlecht beschenkt hat. Dass jeder zumindest ein bisschen überrascht ist von dem, was er da bekommt.

Manchmal führt dieser Ehrgeiz aber dazu, dass ich mich schlecht fühle. Zum einen hat das mit fehlender Anerkennung für die Strapazen zu tun. Wenn jemandem das Geschenk eben doch nicht gefällt und mich wer anders dafür verantwortlich macht zum Beispiel. Oder aber auch, und das ist ein bisschen egoistisch, wenn das Geschenk so gut gefällt, dass der Beschenkte dem Bezahlenden um den Hals fällt und in Tränen ausbricht – und die Anerkennung am eigentlichen Geschenkeretter vorbeigeht. Alles schon vorgekommen.

Die eigentliche Krux an der Sache ist aber eine andere: Zum Geschenkeretter oder zur Geschenkeretterin wird meistens die Person, der die Schenkerei am wichtigsten ist, der das einfach liegt. Denn sie drückt über Geschenke Liebe aus. Und fühlt sich im Umkehrschluss auch geliebt, wenn sie besonders schön beschenkt wurde.

Aber bis allen anderen einfällt, dass es noch einen Geschenkeretter für die Geschenkeretterin braucht, ist es meistens schon zu spät. Vergangenes Weihnachten lag eine Horde Geschenke unter dem Baum. Aber darüber, dass keine Überraschung für mich dabei war, konnten mich nicht mal die lächelnden Gesichter meiner Familie hinwegtrösten.

*Die Autorin möchte anonym bleiben, um den ständig gefährdeten Familienfrieden auch weiterhin aufrecht erhalten zu können.

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