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Was wir in der Corona-Krise für die Liebe lernen können

Illustration: FDE

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Every move you make, every step you take, I’ll be watching you“. Diese Zeile aus dem wohl gruseligsten Liebeslied aller Zeiten fasst zusammen, wie ich mich am Anfang der Corona-Krise gegenüber meinem Freund verhalten wollte. Nämlich so, wie ich mich in einer Liebesbeziehung normalerweise bewusst nicht verhalte: bevormundend, übergriffig und einengend. Von meinem ersten Impuls war ich selbst überrascht, aber umso erleichterter, als ich ihn irgendwann überwinden konnte. Denn für meinen Freund ist es gesundheitlich sicherer, wenn er so wenigen Kontakten wie möglich ausgesetzt ist. Wir haben uns deshalb dazu entschieden, dass auch wir die Corona-Krise räumlich getrennt voneinander verbringen.

Die Corona-Krise verändert nicht nur, wie wir leben, sondern auch, wie wir lieben

Das war natürlich nicht so leicht: In Zeiten der Krise möchte man einer geliebten Person nah sein, auch körperlich. Allein die Vorstellung, das nicht zu können, bereitet Herzschmerz. So geht es jetzt, da sich das Coronavirus ausbreitet, wohl vielen Menschen. Jetzt, da enger Körperkontakt für bestimmte Menschen risikoreicher und Abstand plötzlich „ein Ausdruck von Fürsorge“ ist, wie Angela Merkel es in ihrer TV-Ansprache formulierte. 

Die Corona-Krise verändert nicht nur, wie wir leben, sondern auch, wie wir lieben. Dabei ist es aktuell beinahe unmöglich vorherzusehen, was diese Krise konkret hervorbringen wird. Aber wir erleben jetzt schon, dass sie für jeden Lebensbereich eine enorme Herausforderung und Belastung ist – so auch für Beziehungen. Aufgrund von Quarantäne-Richtlinien oder Vorerkrankungen ist es für manche Paare zurzeit nicht möglich, einander körperlich so nah zu sein, wie sie es gerne wären. Demgegenüber verbringen andere deutlich mehr Zeit miteinander als sonst, ziehen spontan bei dem oder der anderen ein, zumindest vorübergehend. Oder kommen aus der gemeinsamen Wohnung eben nicht mehr so oft raus wie früher. Zwischen den Extremen von vermeintlicher Zwangssymbiose und (Nah-Aber-Doch-So-)Fernbeziehung liegt gerade kaum etwas. Und was wir von der Situation erwarten, ist mindestens genauso konträr: Corona-Babys und Corona-Scheidungen. Aber weil es jetzt umso wichtiger ist, auch mal ein wenig optimistisch zu sein: Vielleicht können wir durch die Corona-Krise auch etwas für die Liebe lernen.

Lektion Nummer 1: Verzicht

 

Gerade lernen wir nämlich gezwungenermaßen etwas, das wir kaum mehr kennen (weil es in Liebesdingen wohl eher nach Mittelalter klingt): den Verzicht. Mein Freund und ich verzichten zum Beispiel vorübergehend darauf, uns körperlich nah zu sein. Natürlich vermisse ich ihn in diesen unsicheren Zeiten umso mehr. Aber wir verzichten auch im Sinne unserer Liebesbeziehung – im Sinne der körperlichen Unversehrtheit. Und weil wir das wissen, fällt es uns nicht so schwer wie erwartet. Klar, die körperliche Nähe fehlt. Trotzdem können wir nun beweisen, dass sie nicht alles ist, was in unserer Beziehung zählt. Ein intimer emotionaler Austausch ist – dem Internet sei Dank – immer noch möglich. Ängste und Sorgen können wir trotz der Distanz teilen. 

Lektion Nummer 2: Empathie

Um eine schwierige Situation – zum Beispiel zu viel Distanz oder zu viel Nähe in einer Liebesbeziehung – zu überstehen, können Paare durch die Pandemie-Bedingungen auch mehr Empathie lernen. Sich in den*die andere*n hineinzuversetzen, hilft dabei, sich auf eine gemeinsame Basis zu besinnen und Konflikte respektvoll auszuhandeln oder von vornherein zu vermeiden. Wenn man sich zofft, weil der*die Partner*in gerne dreimal die Woche einkaufen gehen würde, man selbst das aber für übertrieben hält, könnte man sich fragen: Warum ist ihm*ihr das eigentlich so wichtig? Und wie wichtig ist es mir selbst wiederum, mich durchzusetzen? Next level wäre es, das auch noch offen und ehrlich zu kommunizieren – auch wenn dabei in diesem Fall zum Beispiel offenbart wird, dass man so viel einkaufen geht, weil das im Moment Freizeit vom Partner oder der Partnerin bedeutet. Es geht dabei um ein bisschen Disziplin gegenüber sich selbst und darum – so ratgebermäßig das auch klingen mag –, das eigene Ego in Schach zu halten. In der Liebe ist das oft gar nicht so selbstverständlich.

Liebesphilosoph*innen (wie Eva Illouz oder Alain Badiou) unterstellen uns nämlich, dass wir in Zeiten des Kapitalismus vor allem auf Selbstverwirklichung aus sind. Ernste Beziehungen versteht der moderne Mensch demnach eher als Bedrohung der eigenen Unabhängigkeit. Wir stellen Bedingungen an (potentielle) Partner*innen und gehen dadurch auch weniger Risiken ein. Durch die Corona-Krise erlebt der Kapitalismus allerdings selbst, wenn nicht eine Krise, dann zumindest einen Wandel. Vor allem zeigt sich, wie fragil nicht nur dieses System, sondern auch die damit oft verbundenen Werte sind: Selbstverwirklichung und Individualismus. Während der Corona-Krise werden den meisten von uns nämlich ambitionierte Karrierepläne eher wenig nutzen. Stattdessen sind wir auf eine solidarische Gemeinschaft angewiesen. 

Lektion Nummer 3: Zusammenhalt

Die aktuellen extremen Situationen  können kleine und große Beziehungskrisen bewirken – oder auch enormen Zusammenhalt – und in manchen Fällen folgt vielleicht das eine auf das andere. Schließlich lernen wir gerade, wie wichtig es ist, einander beizustehen. Auch in Deutschland machen die Auswirkungen der Pandemie vielen Menschen zu schaffen. Sie verlieren Jobs, finanzielle Sicherheit oder sind durch zusätzliche (Care-)Arbeit überlastet. Klar ist da die Stimmung schlecht. Umso wichtiger und wertvoller ist es, jetzt für den*die Partner*in da zu sein. Denn die Krise ist zumindest dafür gut, dass sie uns dazu zwingt, uns auf das Wichtigste im Leben zu besinnen: liebevolle und solidarische Menschen zum Beispiel. Und wäre es nicht viel wert, gerade jetzt auch in der Partnerschaft zusammenzuhalten?

Das zeigt sich gerade zum Beispiel bei einem befreundeten Paar, nennen wir sie Laura und Torben. Die beiden sind aufgrund der Pandemie-Bedingungen gemeinsam in Lauras Ein-Zimmer-Wohnung gezogen. Zwar glauben sie, dass es für Paare in größeren Wohnungen auf lange Sicht psychisch leichter ist. Bislang kommen sie mit der neuen, viel engeren Situation aber gut zurecht. „Bei uns braucht es viel mehr Kommunikation, Reflexion und Willen als bei Leuten, die sich im Zweifelsfall aus dem Weg gehen können“, sagt Torben. Laura ist trotzdem zuversichtlich: „Bestimmt werden wir uns zwischendurch auch mal anzicken, aber für mich wäre es unvorstellbar, gerade jetzt getrennt voneinander zu leben.“ 

Schwere Zeiten gemeinsam durchzustehen – ob in Nähe oder Distanz – hat im besten Fall auch etwas Erhabenes. Denn in Krisen erkennen wir unsere Unterschiede am Besten – und können sie akzeptieren lernen. Kleinigkeiten, die vorher vielleicht als „deal breaker“ gegolten hätten, kann man jetzt vielleicht sogar schätzen. Einfach dadurch, dass man merkt, wie wertvoll es ist, in einer liebevollen Partnerschaft zu sein und wie heilsam und stärkend, sich beizustehen. Wir können lernen, unsere individuellen Bedürfnisse infrage zu stellen, uns in Selbstlosigkeit üben für etwas, das größer und wichtiger ist als wir selbst: die Liebe und die Gemeinschaft.

Gerade hört man immer wieder, diese Krise könne auch eine Chance sein: für ein Umdenken in Wirtschaft und Politik zum Beispiel. Aber – und das kann zurzeit einfach nicht mehr als eine Frage sein: Vielleicht ist es insbesondere eine Chance für die Liebe?

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