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Jungs, warum sagt ihr nichts, wenn wir sexistisch beleidigt werden?

Foto: Wesley Tingey Bearbeitung: jetzt

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Liebe Jungs,

mir ist vor Kurzem etwas sehr Schönes passiert und erst danach habe ich gemerkt, dass ich das irgendwie schon mein ganzes Leben lang vermisst habe: Ein Freund hat mich verteidigt, als ich sexistisch beleidigt wurde. Klingt jetzt erst einmal nicht so überwältigend, aber von vorne: Ich unterhalte mich mit Freund Eins (der Gute) und Freund Zwei (der Böse, der eigentlich auch gut ist, aber manchmal kurze Aussetzer hat und wir die beiden ja irgendwie unterscheiden müssen). Kleiner, belangloser Plausch, wir sehen uns mehrmals die Woche, es gibt keine sexuellen Begehrlichkeiten, alles super easy. Eigentlich. Freund Zwei hat dann nämlich einen sehr sexistischen Spruch gebracht.

Er sagte, ich solle mir die Haare nicht kurz schneiden, weil dann könne man beim Sex nicht mehr so gut daran ziehen. (Wir haben keinen Sex und haben auch nicht vor, welchen zu haben, deswegen war der Spruch auch auf mehreren Ebenen dämlich.) Alles also sehr unangenehm, aber irgendwie auch total akzeptiert, weil man meist keinen Bock hat, eine große Nummer daraus zu machen und irgendwo tief drinnen glaubt: „Der meint das schon nicht so, ist ja immerhin ein Freund.“

Deswegen war auch alles, was ich gemacht habe, genervt die Augen zu verdrehen. Auftritt Freund Eins: Der hat Freund Zwei dann nämlich ziemlich eindeutig klargemacht, dass das gerade superuncool und unangebracht war – und das, obwohl er auch einfach nur dreckig hätte lachen können, denn immerhin war der Witz an ihn gerichtet, um sich gemeinsam über mich lustig zu machen. Das war also dieses sehr erhellende Erlebnis, bei dem ich gemerkt habe, dass mir das vorher noch nie so passiert ist, denn normalerweise bleibt so etwas einfach unkommentiert im Raum stehen, vermutlich ist das so ein komisches Bro-Code-Ehren-Ding. Deshalb unsere Frage: Jungs, warum sagt ihr nichts, wenn uns jemand sexistisch beleidigt?

Merkt ihr das vielleicht einfach nur nicht, weil das irgendwie normal ist, dass ihr untereinander so Witzchen macht? Beziehungsweise merkt ihr das schon, denkt euch dann aber: „Damit müsst ihr Mäuse schon selbst fertig werden, ihr wollt doch immer so emanzipiert sein!" Oder habt ihr vielleicht Angst, dass daraus noch viel mehr Sexismus werden könnte, wenn ihr uns verteidigt? Fühlt ihr euch dann wie ein Ritter, der auf seinem weißen Schimmel herein gestürmt kommt, nachdem wir, die holden Mägde, verzweifelt rufen, „Hilfe, ein Sexist!", und ihr dem Bösewicht dann euer Antisexismus-Schwert in die Brust rammt und wir ohnmächtig aber vor allem dankbar in eure Arme fallen? So ungefähr stellen wir uns das nämlich vor.

Sollten wir auch ein bisschen lauter sein und sozusagen den Anfang machen, damit ihr dann einsteigen könnt und euch wie in Dance-Battle-Filmen als Backgroundtänzer hinter uns positioniert und wir gemeinsam eine krasse Antisexismus-Choreo abliefern? Und wie sollen wir mit euch umgehen, wenn ihr auch mal etwas Sexistisches zu uns sagt? Euch direkt so richtig Bescheid geben, oder haltet ihr uns dann für hysterisch? Mein Freund (der nette) hat mir geraten, es wie bei seiner Katze zu machen: Fehlverhalten mit Abweisung bestrafen und gutes Verhalten (also immer dann, wenn ihr nicht sexistisch seid) belohnen – aber das ist für uns alle vielleicht auch ein bisschen anstrengend, oder?

Erzählt doch mal.

Eure Mädchen

Die Jungsantwort:

Liebe Mädchen,

erstmal: BITTE, BITTE nicht jedes Mal loben, wenn wir nicht sexistisch sind. Wie soll das denn in der Redaktion aussehen? „Morgen Berit, alles gut?" – „Guten Morgen Raphael. Klasse, dass du heute nicht das Aussehen meines Hinterns kommentiert hast, weiter so." Neeeeeeeee …

Aber klar, das Verhältnis zwischen Männern und Frauen ist bei Weitem noch nicht da, wo es eigentlich sein sollte – was dieser richtig beschissene Spruch, den dein Freund Zwei gebracht hat, zeigt. Schön, dass Freund Eins eingeschritten ist und dich unterstützt hat. Aus Jungssicht ist es nämlich tatsächlich oft nicht einfach, in so einer Situation etwas zu sagen.

Der Kampf gegen den Sexismus sollte unser aller Kampf sein, aber ihr führt ihn an

Natürlich bin ich auch schon ein paar Mal eingeschritten, wenn sehr dumme und sexistische (Tautologie hieß das glaube ich im Lateinunterricht, oder?) Sprüche von Freunden, Bekannten oder Kollegen kamen. Aber ob und wie, kommt wirklich sehr auf die Situation an. Ich habe schon von einigen Freundinnen gehört, dass sie bei solchen Sprüchen niemanden haben wollen, der für sie eine solche Situation „regelt“. Dass das übergriffig wäre und dass wir dann genau so rüberkämen, wie der edle Ritter auf dem Schimmel, der der schwachen Magd zur Hilfe kommt.

Und genau so möchte ich mich auf keinen Fall verhalten. In deinem Beispiel ist dein Freund Eins auch eingeschritten, nachdem du mit einem Augenrollen gezeigt hast, dass der Spruch dich irgendwie getroffen hat. Und ich denke, dass wir so ein Signal brauchen und auf solche Signale achten sollten – der Kampf gegen den Sexismus sollte unser aller Kampf sein, aber ihr führt ihn an, ihr gebt die Richtung vor.

Oft braucht es in so einer Situation gar keine großen Reden, keine moralische Grundsatzdiskussion – wie du gesagt hast, er ist ja eigentlich auch ein Guter, sonst wärst du ja nicht mit ihm befreundet. Oft reicht von uns dann schon einfach ein „Alter, dein Ernst?“, damit sich die Leute ertappt fühlen und checken, dass sie gerade richtig daneben gelangt haben – das gilt aber nur in dem Fall von Freunden, von denen man eigentlich weiß, dass sie zu den „Gute“ gehören und die danach auch einsichtig sind.

Komplett anders ist das im beruflichen Kontext. Denn hier sind die Einsätze ungleich höher. Man kann sich gegenseitig oft nicht gut einschätzen, falsches Verhalten kann sehr viel zerstören. Genau hier greifen die Männerbünde, die es aufzubrechen gilt. Und gerade hier ist es besonders wichtig auch als Mann eindeutig Partei zu ergreifen.

Wir wissen, dass es noch viel zu tun gibt

Denn wenn eine Frau nach einem solchen „Witz“, der eine krasse Beleidigung und Unterdrückungsinstrument zugleich ist, sich beschwert, muss sie Angst haben, dass sie hinter verschlossenen Türen von den gleichen Männern als „zickig“, „hysterisch“ „humorlos“, „verklemmt“ bezeichnet wird. Alles schon gehört, alles schon erlebt. Genau in solchen Momenten sollten wir Jungs, nachdem wir euch vielleicht einige Momente Zeit gegeben haben, euch selber zu wehren, einschreiten und in die Offensive gehen und euch verteidigen. Und wenn ihr euch wehrt, euch unbedingt zustimmen. 

Wenn ihr euch in einer Situation von uns alleine gelassen fühlt, dann habt ihr damit hundertprozentig Recht. Aber bitte nehmt nicht das Schlimmste von uns an, es gibt ja einen Grund warum ihr mit uns befreundet seid. Wir wissen, dass es noch viel zu tun gibt und sind manchmal noch ein bisschen unsicher, wie wir uns in solchen Momenten Verhalten sollen. Vielleicht könnt ihr uns ja sagen, wenn wir in einer Situation falsch gehandelt haben. So verschwindet nach und nach die Unsicherheit und wir sind für den Kampf gegen den Sexismus wieder ein Stück besser aufgestellt.

Eure Jungs

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