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Ich höre gerne Avicii und David Guetta, na und?

Foto: Fredrik Persson, AP; Bearbeitung: jetzt

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Es war Aviciis erster Todestag, als mich die Nachricht von einem guten Freund erreichte: „Die spielen im Radio heute den ganzen Tag diese Awitschi-Kacke. Wie kann man das nur geil finden? So ein einfallsloser und langweiliger Chart-Mist.“ Er weiß, dass ich Avicii-Ultra bin und wollte mich provozieren. Das tat weh.

Nun ja, zugegebenermaßen war es nicht das erste und auch nicht das letzte Mal, dass mein Musikgeschmack derart beleidigt wird. Denn DJ-Popmusik von Avicii, David Guetta, Felix Jaehn und so weiter wird von vermeintlichen Musik-Experten gerne als „Mainstream-Kacke“ abgetan. Es heißt dann oft, ich hätte ja keine Ahnung von Musik. Und genau das finde ich traurig. Denn nur weil ich in manchen Augen nicht die deepste und alternativste Musik höre, bin ich nicht musikalisch ungebildet. Wer hat überhaupt festgelegt, dass man nur über Musik reden darf, wenn man einen super ausgefallenen Musikgeschmack hat? Diese Arroganz, mit der sich solche Möchtegern- oder meinetwegen auch echten Musikkenner über mich erheben, kann ich nicht verstehen. Auch ich bin keine Expertin, aber ich habe immerhin über längere Zeit ein Instrument gespielt, kann Noten lesen und setze mich mit Musik (ja, auch mit anderer) auseinander.

Irgendwie scheint „einfach“ konstruierte Musik  etwas mit Menschen zu machen

Und trotzdem ertappe ich mich immer wieder in Situationen, in denen ich mich für meinen Musikgeschmack, der diesem verpönten Mainstream zuzuordnen ist, ungewollt schäme. Natürlich ist Avicii bei meinem Spotify-Jahresrückblick auf Platz eins – und ich habe wirklich lange darüber nachgedacht, ob ich das denn jetzt wirklich auf Instagram posten kann, so wie es gerade alle mit ihren Lieblingskünstlern machen.

Ich erinnere mich noch gut an den Anfang meiner Studienzeit, als meine neuen Freunde beim gemütlichen Abend in der WG aufgeregt über das neueste fancy Album irgendeines unbekannten Alternative-Künstlers diskutierten, während ich schweigend daneben saß. „Was hörst du eigentlich so?“, fragten sie mich. Ich antwortete ehrlich. Stille. Nach einer Weile kam dann der Satz in leicht abwertendem Tonfall: „Also eher so Mainstream.“

Nach solchen Abenden fragte ich mich manchmal, ob ich denn überhaupt zu solchen Studentengruppen dazugehören könnte. Finden sie mich jetzt uncool, weil mein Musikgeschmack nicht so krass alternativ und individuell ist?  

Mir ist bewusst, dass EDM-Pop oft auf den gleichen drei oder vier Akkorden beruht und die Stücke häufig eine ähnliche Struktur haben. Auch die Texte sind meist nicht sonderlich originell. Aber muss Musik immer wahnsinnig anspruchsvoll sein? Vielleicht ist genau das der Grund, warum diese DJs so massentauglich und erfolgreich sind. Über 36 Millionen monatliche Hörer hat David Guetta bei Spotify, bei den Chainsmokers sind es 38 Millionen, Avicii kommt auf knapp 26 Millionen Hörer.

Irgendwie scheint „einfach“ konstruierte Musik also etwas mit Menschen zu machen, sei es die Eindringlichkeit der Melodien oder von mir aus auch zu einem Teil die Gewohnheit und der Wiedererkennungswert. Warum sonst singen alle lauthals bei „Titanium“ von David Guetta im Club mit, warum sonst wird Aviciis einstiger Sommerhit „Wake me up“ auch heute noch auf Partys gespielt? Ich liebe es jedenfalls, zu dieser Art von Musik zu tanzen und zu singen. Sie berührt etwas in mir und lässt mich sofort mitwippen. Bei den ruhigeren Stücken kann ich meine Gedanken schweifen lassen oder auf die Texte hören, deren Sinn sich mir direkt erschließt. Zu monotonen Beats oder deepem Indie-Rock kann ich nicht abgehen. Aber ich verurteile auch niemanden, der das tut.

Es ist okay für mich, wenn Menschen EDM-Pop unerträglich finden

Ich kann nachvollziehen, wenn Menschen lieber „handgemachte“ Musik hören möchten und die Authentizität von Künstlern auf der Bühne schätzen. Auch ich mag das. Ich finde es auch cooler, wenn DJs ihre Musik selber schreiben und ihre Tapes bei Live-Shows nicht einfach nur abspielen, sondern in Echtzeit mixen. Aber wenn mir gerade ein Lied gefällt, dann ist das für mich nicht mehr so wichtig – es packt mich trotzdem.

Und damit möchte ich definitiv nicht die künstlerische Leistung von DJs wie Avicii  herunterspielen. Er galt in der Szene als Ausnahmetalent, als Genie mit einem ausgesprochen guten musikalischen Gespür – was seinen Wahnsinns-Erfolg innerhalb weniger Jahre erklärt. Und: Er schrieb seine Musik selbst, was viele dieser Musikkenner vielleicht genauso überraschen wird, wie, dass sein Stil an ältere Musikrichtungen wie Bluegrass-Country und Rock angelehnt ist. Nur eben unterlegt von EDM-Beats. Mit seinen Hits traf er den Nerv der Zeit und seine Ohrwürmer sind heute noch in den Köpfen – offensichtlich auch derer, die seine Musik ganz schlimm finden.

Es ist okay für mich, wenn Menschen EDM-Pop unerträglich finden und es ihnen zu „mainstreamig“ ist, weil sie ihre Person gerne komplett über ihren Musikgeschmack definieren. Auch ich kann manche Musikrichtungen nur schwer ertragen. Aber ist das ein Grund, andere zu dümmeren Menschen zu erklären? Ich jedenfalls bin es leid, mich ständig wegen meines massentauglichen Musikgeschmacks belächeln zu lassen.

Meinen Spotify-Jahresrückblick habe ich übrigens doch noch in meine Insta-Story gepostet. Am selben Tag habe ich gesehen, dass ich danach zwei Follower weniger hatte.

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