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Die eigene digitale Vergangenheit auf Facebook
Wie das eben so ist in einer neuen Stadt: Ich habe ein paar Facebookfreunde mehr. Wie man das eben so macht nach ein paar Bier in der Kneipe oder ein paar Mal essen gehen in der Mensa. Manche davon werden womöglich echte Freunde. Freunde, mit denen man irgendwann brunchen geht oder an die Ostsee fährt, wer weiß. Aber vorerst: nette, fremde Menschen. Und hier fängt schon das Problem an.
Nach zwei Portionen fettiger Nudeln weiß man im Grunde immer noch wahnsinnig wenig übereinander. Und wenn dann die Anfrage aufpoppt, bei Facebook oder sonstwo, dann schaut man sich eben das Profil an. Und klickt, weil man ja sonst nichts zur Hand hat, auch mal zurück ins Jahr 2011.
Das ist an sich nichts Schlimmes. Wenn wir aber durch Timelines scrollen und Gruppenfotos von Jugendreisen auf Mallorca oder Titelbilder mit Sonnenuntergängen und unangenehm bedeutungsschwangeren Lebensweisheiten finden – dann haben wir das im Kopf, wenn wir uns das nächste Mal in der Kneipe treffen. Mein Neufreund denkt dann an die melancholischen Edith-Piaf-Zitate, die ich mit 16 gerne gepostet habe. Heute würde ich das nie machen. Aber für den Neufreund ist dieser Quatsch jetzt Teil meiner Person.
Facebook gibt es mittlerweile seit über zehn Jahren, Instagram seit sechs. Heißt: Wer von Anfang an (oder einen guten Teil dieser Zeitpsanne) dabei war, hatte mittlerweile Zeit genug, um sich weiterzuentwickeln – und um das, was er oder sie früher gut fand, ganz schön peinlich zu finden.
Könnte man natürlich auch löschen, den ganzen Quatsch. Aber das wäre auch irgendwie merkwürdig. Es ist ja nicht so, dass man sich wirklich richtig schämt für sein altes Leben. Es ist nur schwierig, den neuen Freunden begreiflich zu machen, dass man das alte Leben, das da zu sehen ist, vielleicht ein Stück weit hinter sich lassen möchte.
Wir sind immer nur ein Passwort von unserem alten Ich entfernt.
Wegziehen und wenigstens ein bisschen jemand anderes werden, das war vor zehn Jahren bestimmt noch leicht. Heute aber steht hinter allem ein mediales Backup, eine Schablone unseres alten Lebens, die uns und andere immer alles mit früher vergleichen lässt.
Im besten Fall hat man einen Bruch mit seiner Vergangenheit natürlich gar nicht nötig. Aber etwas Veränderung wünscht sich jeder hin und wieder – bietet sich ja an, sich selbst ein bisschen neu zu erfinden, wenn man die Stadt verlässt.
Wie sich ein Neuanfang für unsere Eltern angefühlt haben muss, das können wir heute nur erahnen. Endgültiger vermutlich, freier. Einfach irgendwo hinfahren, wo nichts mehr an das alte Leben erinnert, das können wir heute auch noch. Wir sind aber immer nur ein Passwort von unserem alten Ich entfernt.
Das kann dann schon mal einengen, das Gefühl, dass ein richtiger, sauberer Neuanfang eigentlich gar nicht möglich ist. Nicht mal in einer neuen Stadt. Die alte Timeline zieht ja mit um. Nach Ausbrechen und Reset fühlt sich das jedenfalls oft nicht an.
Ja, das ist ein Aufruf! Zurückscrollen, soweit es geht!
Unsere Chroniken halten uns viele Jahre vor, wie wir mal waren. Und das – hier kommt jetzt der entscheidende Dreh – hält uns eben von etwas ab, zu dem wir leider sehr oft neigen: Wir polieren unsere Jugend auf. Mal nur für uns, mal im Kneipengespräch. Die Geschichten des früher Erlebten werden spannender, als sie wirklcih waren. Das ist nicht mal böse gemeint. Aber es führt dazu, dass man leicht vergisst, dass man nicht schon immer in Berlin Mitte gewohnt hat und nicht immer so cool und souverän war, wie man sich grade fühlt. Man hört auf, daran zu denken, dass man an einem Ort großgeworden ist, an dem es vor allem Spielstraßen, Weber-Grills und Thuja-Hecken gab.
Es ist schön, wenn man da ab und zu dran erinnert wird. Weil es dazu gehört. Weil es gut ist, zu wissen, dass man nicht immer nur Mate getrunken hat, sondern auch mal Cola-Korn. Ist ja halb so schlimm, dass man mal auf einer Tequila-Tuesday-Party war. Oder dass man in der Projektwoche in der elften Klasse echt scheiße aussah. Und es hat schließlich auch etwas Rührendes an sich, wenn man mal das eigene Profil durchschaut und auf ein knapp fünf Jahre altes "Jaaaaa, miese Facharbeit endlich fertig" stößt.
Man vergisst nicht, wo man herkommt und wer man war, bevor man erwachsen wurde. Wenn man weiß, wie es früher war, erlebt man die Dinge, wie sie jetzt sind, viel bewusster.
Ja, das ist ein Aufruf! Einfach mal zurückscrollen, soweit es geht und einfach ein bisschen was lesen. Auch die Kommentare. Und die Verlinkungen erst! Im eigenen Profil, in fremden Profilen. Auch, wenn man erst zweimal zusammen in der Mensa war, egal. Es war dann ja doch bei allen ähnlich, irgendwie. Einfach nochmal zurückdenken an Projektwochen und empfindsame Teenager-Seelen. Mitunter ziemlich peinlich, auf jeden Fall. Aber: Sich seine digitale Vergangenheit ab und zu nochmal anzuschauen, ist der Garant für absolute, souveräne Realness.