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Moshpits an den Rand

Moshpits sind für Starke und Mutige super – alle anderen werden von ihnen eher eingeschüchtert.
Illustration: FDE

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„Macht mal alle die Mitte auf, ich will einen Riesen-Moshpit sehen!“, ruft Zachi von 01099 von der Bühne. Gut, denke ich genervt, geh ich halt an den Rand. Denn ich habe keine Lust auf wildes Geschubse, Wegducken und Ellbogen im Gesicht.

Leider gibt es heute kaum Konzerte mehr, die ohne all das auskommen. Ich bin nicht die Einzige, die das bedauert. „Deutschland hat ein Moshpit-Problem“, sagt zum Beispiel Adrian Vogt auf Tiktok. Er ist als @aditotoro bekannt für seine trockenen Powerpoint-Präsentationen. In einem Video spricht er von einer „Moshpit-Inflation“. Zu jedem Song würde gemosht, es brauche schon gar keinen Drop mehr. Dabei würden Moshpits eben nur manchmal passen:  Friesenjung – ja, Wildberry Lillet – nein.

So eine Moshpit-Inflation beobachte ich auch, aber ich würde noch weiter gehen. Eine Moshpit-Ampel, die auf der Bühne anzeigen könnte, ob ein Moshpit gerade angebracht wäre, wie Adrian Vogt sie vorschlägt, reicht mir nicht. Ich finde, Moshpits gehören allgemein geprüft.

Moshpit: Sinnbild patriarchaler Kultur?

Ursprünglich kommt der Moshpit aus der Metal-Kultur, er ist auch im Punk und Hardstyle verbreitet. „Mosh“, das ist ein Kunstwort aus den 80ern, es bedeutet „starke Gefühle“ oder „Chaos“. Zu moshen, heißt alles rauslassen, abgehen, abfeiern. Beim Moshpit machen die Feiernden einen Kreis in der Menge auf, zum Drop der Musik stürmen sie in die Mitte, springen herum und prallen dabei gegeneinander. Es gibt auch Variationen wie den Strudel oder die „Wall of Death“, bei der die Mosher einander wie Krieger einer Schlacht in Fronten gegenüberstehen. In meinem Freundeskreis sind die Meinungen zum Moshen geteilt, nämlich nach Geschlechtern: nur den Männern macht es Spaß, die Frauen finden es nervig bis bedrohlich. 

Für mich ist der Moshpit Sinnbild patriarchaler Kultur: Alle müssen den Größeren und Stärkeren – meist Männern – Platz machen. Kleinere, Schwächere oder Zurückhaltendere werden an den Rand gedrängt, damit die Mosher einander herumschubsen und Härte beweisen können. Die Künstler auf der Bühne heizen das oft noch an.

Dabei habe ich mich noch nie wohl gefühlt, aber seit der „Astroworld“-Tragödie 2021 wird mir erst recht mulmig. Beim Auftritt von Travis Scott, dessen Konzerte für besonders heftige Moshpits bekannt sind, brach eine Massenpanik aus. Zehn  Menschen starben im Gedränge.

Geht doch zum Rumschubsen und Pöbeln an den Rand

Manche finden, der Moshpit soll da bleiben, wo er herkommt: im Metal, Punk und Hardstyle. Einige Fans kontrollieren daher ganz genau, wer zu was moshen dürfe und wer zu was nicht. Unter einem Video, in dem Mädchen auf einem Cro-Konzert einen Moshpit aufmachen, kommentieren Tiktok-User: „Digga was war das denn“ und „ein moshpit ist erst ein moshpit wenn sich jemand die Rippen bricht“. Alles klar.

Ich war zweimal in meinem Leben freiwillig in einem Moshpit. Im ersten ging mein Schuh kaputt, im zweiten mein Knöchel. Inzwischen fehlt mir jedes Verständnis für die Mosher. Muss ich mich auf einem Konzert erst verletzen, um richtig da gewesen zu sein? Macht das Spaß, wenn es wehtut? Ich weiß, ich muss nicht alles verstehen, was anderen Spaß macht, um es respektieren zu können. Den Reiz am Bouldern, Höhlentauchen oder an Heavy Metal verstehe ich auch nicht. Und manche Menschen mögen Schmerz. Akupunktur, Sado-Maso, Thai-Massagen – all das reizt mich nicht, aber ich respektiere, wen es reizt.

Bloß: Moshpit-Fans machen ihr Hobby auch zum Problem aller anderen Anwesenden. Vor allem wenn sie mit vollem Bierbecher voran in die Mitte stürzen, haben alle was davon. Liebe Mosher, ich will euch den Spaß nicht verderben. Aber für die Zukunft habe ich folgenden Vorschlag: Geht doch zum Rumschubsen und Pöbeln einfach an den Rand. Da habt ihr ordentlich Platz. Und für alle anderen ist das Konzert sicherer und macht mehr Spaß.

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