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Warum Moshpits besser sind als ihr Ruf

Sieht von oben manchmal aus wie eine Ansammlung von Atomen: der Moshpit.
Illustration: FDE

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Schwitzende Körper – große, kleine, dicke, dünne, ganz egal – die alle gemeinsam einen großen Kreis bilden und umherspringen. Ein bisschen wie Atome, die sich im Rhythmus der Musik anziehen, aufeinanderprallen und sich im nächsten Moment wieder voneinander abstoßen. Alles ist eins. Alles ist Energie, Emotion, Ekstase. Der Anblick eines gepflegten Moshpits erfüllt mich bei Konzerten jedes Mal wieder mit einem Gefühl tiefster Zufriedenheit. Manchmal stürze ich mich selbst ins Getümmel und tanze und springe mit. Andere Male stehe ich vergnügt am Rand und beobachte die Moshenden wie eine Mutter ihre tobenden Kinder. 

Doch nicht jede Person teilt meine Liebe zu Moshpits. Einige fühlen sich durch den exzessiven und raumgreifenden Tanzstil gestört und in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Oder haben Angst, unfreiwillig in einen Moshpit hineingezogen zu werden. So wie die Autorin dieses Stück. Auch das kann ich absolut nachvollziehen. Moshpits sind in der Tat nicht ungefährlich und besonders auf unerfahrene Konzertbesucher:innen können sie einschüchternd oder gar bedrohlich wirken. In der Regel lassen sie sich aber recht leicht umgehen, wenn man weiß, worauf man achten muss. Moshpits formieren sich naturgemäß in der Mitte des Publikums, wo Menschendichte und Energielevel am höchsten sind. Wer unter keinen Umständen in einen Moshpit geraten möchte, sollte sich also eher am Rand aufhalten. Auch in den Reihen ganz vorne ist man einigermaßen sicher.  

Entstanden sind Moshpits bereits Anfang der 80er Jahre im Umfeld der Punk- und Metalszene

Moshpits an den Rand zu verbannen oder ganz zu verbieten, ist daher meiner Meinung nach der falsche Ansatz. Schließlich bilden sie einen festen Bestandteil der Konzert- und Festivalkultur. Entstanden sind Moshpits bereits Anfang der 80er Jahre im Umfeld der Punk- und Metalszene. Nach und nach setzte sich der eigenwillige Tanzstil dann auch in anderen Musikstilen durch. Inzwischen ist der Moshpit im Mainstream angekommen und von vielen Live-Veranstaltungen nicht mehr wegzudenken.  

Abgesehen davon gibt es aber auch ganz praktische Gründe, die fürs Moshen sprechen. Denn auch wer sich nicht aktiv an Moshpits beteiligen möchte, kann von ihnen profitieren: Ein Zwei-Meter-Riese versperrt dir die Sicht auf die Bühne? Das Bier der betrunkenen Person neben dir schwappt andauernd gefährlich in deine Richtung? Kein Problem – Moshpit regelt! Er hält die Menge in Bewegung und mischt die Karten neu. Mit etwas Glück kommst du sogar ein paar Reihen weiter nach vorne, ganz ohne Drängeln.  

In einem guten Moshpit herrschen Respekt, Rücksicht und Solidarität

Es mag von außen vielleicht nicht so wirken, aber in einem guten Moshpit herrschen klare Regeln. Moshpits feiern die friedliche (!) und geregelte (!) Eskalation. Hier geht es keineswegs um mutwilliges Verletzen oder aggressives Dominanzgehabe. Niemand wird gegen seinen Willen gezwungen mitzumachen – und wenn jemand zu Boden geht, wird sofort aufgeholfen. Wer sich überwindet und sich ins Gemenge wagt, wird nicht selten positiv überrascht. Denn gegenseitiger Respekt, Rücksicht und Solidarität haben oberste Priorität. Wer das anders sieht, hat das Prinzip eines Moshpits nicht verstanden. Unter idealen Voraussetzungen sind Moshpits Orte gelebter Gleichberechtigung: Sie zelebrieren ein friedliches Miteinander unabhängig von Geschlecht, Alter, sozialer Herkunft und Nationalität. Soweit zumindest die Theorie… 

Dass die Praxis bedauerlicherweise oft anders aussieht, ist nicht zu leugnen. Das Problem ist in den meisten Fällen jedoch nicht der Moshpit, sondern das Publikum: Gerade außerhalb der Punk- und Metalszene sind viele Konzertbesucher:innen  nicht vertraut mit den ungeschriebenen Gesetzen des Moshpits. Das ist im besten Fall nervig, im schlimmsten Fall gefährlich.  

Erst dieses Jahr habe ich ein Festival besucht, auf dem Bands aus ganz verschiedenen Musikrichtungen spielten. An einem der Tage folgte auf eine Metalband ein Hip-Hop-Act. Und siehe da: Innerhalb kürzester Zeit veränderte sich die Stimmung im Publikum spürbar. Während beim ersten Auftritt einige Metalheads ohne größere Zwischenfälle friedlich vor sich hin gemosht hatten, musste der zweite Auftritt mehrfach unterbrochen werden, um Verletzte aus der schubsenden Menge zu bergen. Solche ehrenlosen Pöbelgruben haben den Namen Moshpit nicht verdient! 

Die Künstler:innen auf der Bühne tragen eine gewisse Verantwortung

Doch auch die Künstler:innen  auf der Bühne tragen meiner Meinung nach eine gewisse Verantwortung: Sie können an ihre Fans appellieren und für mehr Respekt und Umsicht unter den  Zuschauenden sorgen. Von der Bühne aus haben sie einen guten Überblick und können sich über das Mikrophon mühelos Gehör verschaffen. Außerdem haben ihre Worte meist mehr Gewicht als Hinweise vom Veranstalter.  Andere Bands wie die „Blackout Problems“ versuchen auch, auf ihren Konzerten aktiv Safe Spaces zu schaffen. Sie bitten männliche Fans, ihre Shirts aus Solidarität mit ihren Mitmenschen anzubehalten und eröffnen Moshpits für diverse Personen. 

Beispiele wie diese lassen mich weiterhin daran glauben, dass Moshpits nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis zu Orten gelebter Gleichberechtigung werden können. Alles, was es dafür braucht, ist ein Mindestmaß an Rücksicht und Empathie. In diesem Sinne: Habt Spaß, aber passt aufeinander auf! 

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