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Warum gibt es Blitzermeldungen, aber keine Warnungen vor Ticketkontrollen?

Illustration: Julia Schubert

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Es ist Mittwochabend, 22:30 Uhr. Ich sitze in der Straßenbahn, höre Musik und scrolle meinen Instagram-Feed durch. Plötzlich landet eine Hand auf meiner Schulter und reißt mich aus meinem Dämmerzustand. Zwei Männer, von denen einer mich immer noch festhält, und eine Frau stehen vor mir. „Ihren Fahrschein bitte“, sagt die Frau. Mist. „Moment, da muss ich kurz suchen“, antworte ich. Wie man das eben so macht, wenn man keinen Fahrschein hat.

Ich bin erst vor Kurzem neu in die Stadt gezogen. Bis jetzt habe ich mir immer ein Ticket gekauft und wurde nie kontrolliert. Gerade jetzt, wo ich mir mein letztes Kleingeld für einen Döner aufheben wollte, passiert es zum ersten Mal. Tolles Timing. Und ein Grund, der mich natürlich nicht vor Strafe schützt. Nachdem ich auffällig lange in meinem Rucksack gekramt und meine Hosentaschen mehrmals abgeklopft habe, muss ich wohl oder übel ehrlich sein. Oder zumindest so halb. „Anscheinend habe ich mein Ticket in einer anderen Jeans zu Hause. Kann mir gar nicht erklären, wie das passieren konnte.“ Interessiert natürlich niemanden. Quittung, 60 Euro, zwei Wochen Zeit zum Überweisen. Mit dem Strafzettel kann ich zumindest noch bis nach Hause fahren.

Während ich also weiter in der Straßenbahn sitze, mache ich mir so meine Gedanken: Warum warnt einen eigentlich niemand vor Ticketkontrollen? Wenn ich Auto fahre, höre ich doch auch regelmäßig die Blitzermeldungen im Radio. Ich schaue bei Facebook. Da gibt es die Gruppe „MVV Blitzer“, in der sich Münchnerinnen und Münchner gegenseitig Hinweise geben, wo gerade Kontrolleure unterwegs sind. Im Schnitt ein Post täglich. Nicht sehr hilfreich das Ganze. Auch bei Twitter gibt es einen „MVV Blitzer“-Account, die letzte Meldung ist allerdings sieben Jahre alt. Weiter in den App-Store. Auch dort finde ich nahezu nichts. Entweder wurden die Apps gelöscht oder erst ein paar Mal heruntergeladen. Ich recherchiere weiter und finde die Website „Fare2Bandit“. Zu dem Kontrolleurs-Meldedienst, der seit 2013 existiert, gibt es auch eine Android-App. Der Entwickler Petr Pechoušek kommt aus Prag. Die meisten eingetragenen Städte sind in Tschechien, aber auch andere Metropolen sind dabei. In Deutschland sind Berlin, Hamburg, Dresden und Frankfurt gelistet.

 

„Es wird immer Leute geben, die sauer auf dich sind und sagen, du unterstützt etwas Verbotenes“

„Ich bin Webentwickler“, sagt Petr am Telefon. „‚Fare2Bandit‘ habe ich entwickelt, weil ich lernen wollte, wie man Apps programmiert. Ich wollte aber auch ein bedeutungsvolles Projekt umsetzen. Etwas, das auch anderen hilft.“ Als er selbst ohne Ticket mit der Straßenbahn fuhr, kam ihm die Idee, eine Anwendung zu entwickeln, mit deren Hilfe sich User gegenseitig vor Kontrollen warnen können. „Damals gab es in Prag ein großes Problem mit Lobbyisten, die sich in die öffentliche Verkehrsplanung eingemischt haben“, erzählt Petr. „Viele Leute fahren hier nicht wegen des Geldes schwarz, sondern um gegen das System zu protestieren. Für diese Leute gab es damals noch keine App.“ Mit „Fare2Bandit“ gewann Petr den ersten Preis der „App Parade“, Radio- und Zeitungsinterviews folgten. „Nach kurzer Zeit hatten wir schon 50 000 Zugriffe“, erzählt er. Mittlerweile lebt der Warndienst sein eigenes Leben, Petr kümmert sich nicht mehr wirklich darum.

Warum werden solche Apps nicht konsequenter weiterentwickelt? „Ich denke, da gibt es mehrere Faktoren“, sagt Petr. „Man braucht viel Zeit und, um es wirklich seriös aufzuziehen, ein starkes Team.“ Das nächste Problem: die Monetarisierung. „Es gibt bestimmt eine Möglichkeit, mit solchen Apps Geld zu verdienen, die ich aber nicht genutzt habe“, sagt Petr. „Außerdem ist da die Sache mit der Moral. Es wird immer Leute geben, die sauer auf dich sind und sagen, du unterstützt etwas Verbotenes. Mein ehemaliger Mitbewohner hat Jura studiert. Der hat mir damals gesagt, dass ich mit der App aber kein Gesetz breche.“

Das war vor sechs Jahren in Tschechien. Wie sähe die Sache heute in Deutschland aus? Und wo ist rechtlich gesehen der Unterschied zu Blitzermeldungen? „Der Unterschied liegt darin, dass Blitzer durch die öffentliche Hand aufgestellt werden. Sie sind sozusagen der verlängerte Arm der Staatsgewalt“, erklärt Rechtsanwalt Christian Solmecke. Seine Kanzlei setzt sich, auch öffentlich, immer wieder mit den Themen Schwarzfahren und Verkehrsrecht auseinander. „Wer andere Verkehrsteilnehmer warnt, verhindert die effektive Rechtsdurchsetzung und stört die öffentliche Sicherheit“, so die Ansicht einiger Gerichte. Trotzdem ist es erlaubt, auf Radarkontrollen hinzuweisen – unter bestimmten Umständen. Laut Solmecke kommt es darauf an, wie gewarnt wird: Ein Radarwarngerät oder eine Blitzer-App während der Fahrt zu nutzen, ist eine Ordnungswidrigkeit und kann einem 75 Euro Bußgeld und einen Punkt in Flensburg einbringen. Strafbar macht man sich damit aber nicht. Blitzermeldungen im Radio sind dagegen unproblematisch, da sie nur punktuell und nicht präzise oder standortbezogen warnen. Legal ist es auch, sich vor der Fahrt zu informieren, wo Blitzer stehen – dann darf man auch Blitzer-Apps nutzen.

Gerade bei den Blitzerwarnungen im Radio geht es außerdem nicht darum, Leuten ein Bußgeld zu ersparen. Ina Tenz, Programmdirektorin von Antenne Bayern, erklärt: „Die Blitzermeldungen veröffentlichen wir im Wesentlichen deshalb, weil wir die Menschen für Verkehrssicherheit sensibilisieren wollen. Die meisten Meldungen kriegen wir sogar direkt von der Polizei.“ Die Idee: Wer weiß, dass irgendwo auf der Strecke ein Blitzer lauert, fährt grundsätzlich langsamer. Bei Ticketkontrollen hat der Sender einen klaren Standpunkt: Selbst, wenn er die Möglichkeit hätte, solche Kontrollen zu melden, würde er es nicht tun. „Schwarzfahren ist eine Straftat, da geht es nicht um die öffentliche Sicherheit“, sagt Ina Tenz.

„Jemand, der vor Kontrolleuren warnt, macht sich weder strafbar, noch handelt er ordnungswidrig“

Beim Schwarzfahren ist die Gesetzeslage anders. „Die städtischen Verkehrsbetriebe werden privat betrieben. Auch geht es hier nicht um die Sicherheit des Straßenverkehrs, sondern nur um die Durchsetzung von Zahlungsansprüchen. Eine eventuelle Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch die Warnung von Kontrollen scheidet daher aus“, erklärt Christian Solmecke. „Die Verkehrsbetriebe schließen mit den Fahrgästen jeweils einen Vertrag für die Beförderung von A nach B. Zivilrechtlich ist die Schwarzfahrt ein Verstoß gegen die Beförderungsbedingungen des jeweiligen Verkehrsunternehmens.“ Wenn Kunden sich keine Tickets kaufen, halten sie den Vertrag nicht ein. Die Betriebe verlangen dann eine entsprechende Vertragsstrafe. Vorausgesetzt, man wird – wie ich – erwischt.

Ist es nun gesetzeswidrig, wenn ich einen Eintrag bei „Fare2Bandit“ oder in einer Schwarzfahr-Facebook-Gruppe mache? „Jemand, der vor Kontrolleuren warnt, macht sich weder strafbar, noch handelt er ordnungswidrig. Die Verkehrsbetriebe können daher nicht gegen die Einzelpersonen vorgehen“, sagt Christian Solmecke. Das einzige, was in Frage käme, wäre, laut dem Rechtsanwalt, ein wettbewerbsrechtlicher Anspruch gegen die App-Anbieter. Denn Kontrollen zu verhindern, könnte den Ticketverkauf behindern. Solche Verfahren gegen die App-Betreiber seien allerdings nicht bekannt. „Wer die Kontrolleure allerdings fotografiert und die Bilder postet, begeht eine Persönlichkeitsrechtsverletzung.“ Die Kontrolleure könnten Nutzer dann abmahnen oder verklagen.

Im Großen und Ganzen bräuchte man für Warnungen vor Ticketkontrollen wohl einfach zu viele Freiwillige, die durchgehend Daten in eine App eintragen. Im Gegensatz zu Blitzern bewegen sich die Kontrolleure ja auch durch die Stadt. Vielleicht findet irgendwann jemand eine Möglichkeit, das Modell erfolgreich umzusetzen. Oder der öffentliche Nahverkehr wird einfach kostenlos – Diskussionen darüber gibt es ja immer wieder.

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