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Traut euch im Urlaub endlich wieder, Touristen zu sein!

Foto: g-mikee / photocase

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Es gibt einen Verlag, der sich „Not For Tourists“ nennt. Nicht für Touristen. Die Stadtführer, die er herausgibt, tragen den gleichen Namen. Die einzelnen Bände, egal ob für Amsterdam, New York oder Minneapolis, sehen von außen extrem unauffällig aus: Sie sind alle komplett in schwarz und weiß oder grau gehalten, es steht „NFT“ drauf und der Name der Stadt. Fertig. Die New York Times kommentierte das mal so: „For people who don't want to be seen carrying a guidebook.“ 

Diese Menschen, die nicht mit einem Reiseführer in der Hand gesehen werden wollen, gibt es wirklich. Vor allem junge Deutsche bemühen sich auf Reisen oft so sehr, nicht als Touristen aufzufallen, dass genau dieser Versuch mittlerweile als Klischee-Merkmal junger deutscher Touristen gilt (und damit die eh längst veralteten Socken in Sandalen abgelöst hat). Und die Forschung hat auch schon einen Begriff für das Phänomen: „Post-Tourismus“. 

Der Post-Tourismus, also die anscheinend sehr moderne Art, Urlaub zu machen, ohne Urlauber zu sein, ist ein riesiger Fehler. Genau genommen ist sie sogar: schrecklich dumm und respektlos und noch dazu irre anstrengend. Darum wird es Zeit, dass wir uns alle endlich wieder trauen, Touristen zu sein.

Post-Touristen, das sind die, die in Städten lieber nur durch Wohnviertel statt auch mal durchs historische Stadtzentrum laufen, sich weigern, den beliebtesten Wanderweg zu gehen, und nicht dabei gesehen werden wollen, wie sie ein Schild lesen, auf dem etwas zu einem Gebäude erklärt wird. In ihren Reiseführer (den sie natürlich trotzdem besitzen) linsen sie nur im Café, und zwar so, dass niemand anderes den Umschlag sehen kann. Insgesamt wollen sie am liebsten als Einheimische durchgehen. Also bloß nicht an der Kreuzung verwirrt aussehen! Innerlich in Jubel ausbrechen, wenn man nach dem Weg gefragt wird (den man natürlich nicht kennt)! Und zutiefst beleidigt sein, wenn man nachträglich feststellt, dass der Taxi-Fahrer einen abgezockt hat! 

Ein Tourist ist kein Einheimischer, sondern ein Gast

Aber ein Tourist ist eben kein Einheimischer. Also sollte er sich auch nicht anmaßen, wie einer behandelt werden zu wollen. Das steht ihm gar nicht zu. Er ist Gast und als Gast hat man höflich und zurückhaltend, demütig, respektvoll und interessiert zu sein. Und dankbar. Und als Gast, der für ein Abendessen mehr Geld ausgibt, als der Taxifahrer in einer Stunde verdient, muss man es zwar nicht gut finden, wenn er einem zu viel berechnet, aber aufregen muss man sich darüber auch nicht unbedingt.

Viele erliegen dem ganzen „Ich will wie ein Einheimischer sein“-Wahn aber nicht bloß, weil sie sich fürs Tourist-Sein schämen. Sondern auch, weil sie glauben, dass sie am meisten aus ihrem Urlaub „mitnehmen“ und über Land und Leute lernen, wenn keiner merkt, dass sie im Urlaub sind. Und das ist völliger Blödsinn! Am meisten nimmt man aus dem Urlaub mit, wenn man auch mal die touristische Infrastruktur mit ihren Stadtführungen und Rundfahrten und Umgebungskarten nutzt, den Reiseführer immer griffbereit hat und sich alle Schilder durchliest, die einem begegnen. Und: Wenn man zugibt, dass man von ziemlich vielen Dingen, vom Essen über den öffentlichen Nahverkehr bis hin zur Art, wie man sich begrüßt oder verabschiedet, bisher noch nicht so richtig viel Ahnung hat – aber gerne mehr darüber erfahren möchte. 

Man sollte also ruhig raushängen lassen, dass man fremd ist. Zulassen, sich fremd zu fühlen. Nicht, indem man sich daneben benimmt. Aber indem man Fehler macht und sie sich eingesteht. Indem man nach dem Weg fragt oder danach, wie man das Essen essen soll. Indem man so verloren aussieht, wie man sich grade fühlt, und darum von jemandem angesprochen wird, der einem gerne helfen möchte. Und ja, vielleicht sogar, indem man in bescheuerte Touristenfallen tappt und sich zum Beispiel vom Taxifahrer abzocken lässt. Denn erstens ist das viel einfacher als sich dauernd um Lässigkeit zu bemühen. Und zweitens ist verwirrt oder verunsichert sein eine der wichtigsten Erfahrungen, die man auf Reisen machen kann. Vielleicht sogar die Erfahrung überhaupt. Denn erstens erfährt man dabei sehr viel über sich selbst. Und zweitens versteht man anschließend die Menschen besser, die in der Heimat, in die man wieder zurückkehrt, fremd oder neu sind.

Es ist nicht immer da am besten, wo niemand ist

Und obwohl man für all das mit Einheimischen in Kontakt kommen und sprechen muss, sollte man sich ruhig auch immer wieder der eigenen Herde anschließen, heißt: den anderen Touristen. Natürlich muss man nicht zu jedem Sightseeing-Hotspot rennen, an dem man dann vor lauter Menschen und ihren iPads, mit denen sie Fotos machen, nichts mehr sieht. Aber an sich gilt: Da, wo Touristen gerne hingehen und rumgucken, gibt es eben meistens auch wirklich etwas besonders Schönes oder Interessantes oder Faszinierendes zu sehen. Auch, wenn viele es vielleicht nicht glauben wollen: Es ist nicht immer da am besten, wo niemand ist. Und die einzigen Strände, die wirklich für immer geheim und einsam bleiben werden, sind oft die hässlichen Strände.

Liebe verschämte Reisende, die ihr da draußen in den Wohnvierteln rumirrt und euch lieber die Zunge abbeißen wollt, als jemanden nach dem Weg zu fragen: Traut euch endlich wieder, Touristen zu sein! Umarmt diese Rolle! Macht Stadtführungen mit und lest mitten in der Stadt im Reiseführer. Lacht drüber, wenn ihr irgendwo viel zu viel bezahlt habt. Guckt ratlos, wenn ihr ratlos seid, tragt einen Sonnenhut, wenn ihr die Tropensonne nicht vertragt, studiert jede Infotafel, die ihr finden könnt, macht Fotos, und geht auch mal dahin, wo alle hingehen. Es lohnt sich. Und vor allem ist es sehr, sehr viel weniger anstrengend. Ihr habt doch schließlich Urlaub.

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