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Schluss mit den stundenlangen Urlaubsfoto-Vorträgen!

Collage: Daniela Rudolf, Fotos: no mor lookism / photcase / unsplash

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Meistens beginnt es ja ganz harmlos. Damit nämlich, dass mein Gegenüber von seinem jüngsten Urlaub erzählt. Wie schön es dort war, in Marokko, Neuseeland, einem Land halt, das weit weg ist von hier, klimatisch sehr angenehm und meist noch über irgendeinen Twist verfügt, giftige Tiere oder so.

In der Regel spezifiziert mein Gegenüber seine Eindrücke dann. Wie traumhaft die Strände waren (wer erzählt schon, dass der scharfkantige Schotter genervt hat?), wie toll der Wein geschmeckt hat (mit Blick aufs Meer schmeckt auch das letzte Gesöff) oder wie herzlich die Menschen waren (wozu berichten, dass man auch saftig angepampt wurde?).

Bis dahin alles gut. Dann aber jedes Mal dieser eine, vermaledeite Satz: „Ich kann dir ein paar Fotos zeigen.“ Das ist, mit Verlaub, eine dreiste Lüge. Erstens: Mein Gegenüber kann nicht, sondern will mir diese Fotos zeigen. Zweitens: Es sind nie, nie, nie nur „ein paar“ davon. Hundert, mindestens. Vielleicht auch mehrere Hundert, ich zähle irgendwann nicht mehr mit.

Ich habe nichts gegen Urlaubsfotos. Im Gegenteil, es freut mich, wenn ein lieber Freund oder eine liebe Freundin ihre Erinnerungen mit mir teilt. Mach ich ja selbst. Ich zeige auch Fotos her, wenn ich von einer Reise zurückkomme. Wenn ich sehr gut essen oder bei einem Konzert war, irgendwas Schönes oder vielleicht auch Verstörendes gesehen habe. Doch auf die Gefahr hin, selbstgerecht zu klingen: Ich glaube, ich zeige eine sozial verträgliche Anzahl davon.

Immer gut: das Spannende vom Saulangweiligen trennen

Ist doch ein fairer Kompromiss: Die Fantastilliarden an Bildern, die man geschossen hat, vorsortieren. Eine Auswahl treffen, Dopplungen und Tripplungen vermeiden, das Wichtige vom Unwichtigen trennen, das Spannende vom, mal ehrlich, Saulangweiligen. Heißt also: ein Best-Of zusammenstellen. Wie bei einer Band. Um einen Eindruck zu bekommen, wie sie klingt, reicht eine Handvoll Songs. Wer tiefer einsteigen möchte, kann sich immer noch durch den Backkatalog wühlen.

Trotzdem passiert es immer wieder, dass mich Freunde, nun ja, gewissermaßen zwingen, stundenlang ihre Urlaubsfotos anzuschauen.

 

Neulich erst, zwei Freunde hatten mich auf ein Bier eingeladen. Sie waren seit ein paar Tagen wieder in München, ich hatte mich gefreut, sie nach mehreren Wochen wieder zu sehen. Sie kamen aus dem Urlaub, ein Land in Asien. Wir hatten uns schon zwei Stunden unterhalten, keine Fotos, nichts, weshalb in mir die Hoffnung aufkam, dass sie es schlicht vergessen haben könnten, mir ihre Urlaubsbilder zu zeigen.

 

War natürlich nicht so. Als ich schon gehen wollte, klappte der eine Freund seinen Laptop auf und stellte mir noch ein Bier hin. Einen Moment, meinte er, ich muss kurz die Präsentation starten. Mir wurde unwohl.

 

Ist das am Ende noch Kunst?

 

Da saß ich also, gekettet an meinen Stuhl oder besser: an mein schlechtes Gewissen. Ich bringe es in solchen Momenten nämlich nicht fertig, zu sagen: Zeig mir bitte nur die wichtigen Fotos, lass die faden weg. Stattdessen also ein foliantenlanger Vortrag. Ein ewiges Monologisieren über das Land, die Leute, die Straßen dort, ganz anders als bei uns, ach, interessant. Nach – realistisch geschätzt – 70 Fotos hat mein Freund erklärt, in welchem Dorf sie am dritten Tag angekommen waren. Die Reise dauerte drei Wochen.

 

Irgendwann bin ich dazu übergegangen, die Fotos einfach abzunicken. Zu sagen: Ah, schau her, der dreijährige Neffe des Hostel-Besitzers, zwei Fotos weiter immer noch süß, guck, auf dem fünften Bild hält er sein Spielzeug in der anderen Hand. Wenn ich zwischendurch zum Laptop gegriffen habe, um zügig weiter zu wischen, ein paar Fotos zu überspringen, hieß es: „Warte kurz, da muss ich noch was erzählen.“

 

Ich weiß nicht: Ist das Kunst? Hat es was Expressives, wenn man fünfmal ein nahezu identisches Foto zeigt, Titel: Kind mit Spielzeug? Bin ich am Ende zu blöd, das zu verstehen? Zu ungeduldig?

 

Der König der Nickelschrauben

 

Eigentlich egal. Ich war jedenfalls froh, als die Präsentation vorbei und der Laptop wieder zugeklappt war. Habe um ein weiteres Bier gebeten und mich noch eine Stunde mit den Beiden unterhalten. Über ihre Reise und überhaupt. Dann war der Abend wieder gut. Was sie zu erzählen hatten, war interessanter als jedes Landschafts- und Garküchen-Foto.

 

Ich weiß übrigens schon, wo ich das nächste Mal Urlaub machen werde: im Baumarkt. Zwei Wochen lang werde ich durch die Regale schlendern. Werde die Seele baumeln lassen, während ich mit meinen Fingerspitzen über Bretter verschiedenster Dicke streife. Werde mich wie der König der Rohrreiniger fühlen, der Brauseköpfe und Nickelschrauben. Werde am Imbiss verträumt meine Pommes in die Mayo tunken, den Blick über die Straße schweifen lassen, den grenzenlosen Asphalt. All das werde ich bildlich festhalten, denn: Hinterher lade ich zum Fotoabend ein. Das Bier steht schon kalt.

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