- • Startseite
- • Mommy-Kolumne
-
•
Mama-Kolumne Folge 16: Der ewige Vergleich mit den anderen
In dieser Kolumne geht es um Schwangerschaft und Eltern-Sein, um die Hürden, das Glück, die Mythen rund ums Thema Baby. Unsere Autorin ist Mutter einer dreijährigen und einer einjährigen Tochter. Folge sechzehn: Der Vergleich mit den anderen.
Eine gewöhnliche Szene am Frühstückstisch: Meine gut gelaunte Tochter fragt nach einem Joghurt. Ich hole einen Becher aus dem Kühlschrank, mache ihn auf und stelle ihn samt Löffel auf ihren Platz. Und bemerke meinen Fehler erst, als es bereits zu spät ist. Ihr Blick fällt auf den geöffneten Joghurt – auf den nicht von ihr selbst geöffneten Joghurt – und eine Welt bricht zusammen.
Ja, Wutanfälle gehören zum Kleinkindalter dazu. Besonders in der Autonomiephase, die sich bis ins fünfte Lebensjahr ziehen kann. In dieser testen Kinder nicht nur ihre Grenzen aus und werden selbstständiger, der Entwicklungsstand ihres Gehirns führt auch zu einer schlechteren Impulskontrolle und einem Emotionsüberschuss. Folgerichtig berichten viele Eltern in dieser Zeit von Wutausbrüchen, die von Kleinigkeiten ausgelöst wurden. Bei Instagram gibt es dafür sogar das Hashtag #ReasonsMyKidIsCrying.
Und trotzdem habe ich mich bei dem ein oder anderen Heulkrampf dieser Art schon gefragt: Ist das jetzt eigentlich noch normal?
Der Abgleich mit der Norm ist für Eltern allgegenwärtig. Das beginnt schon in der Schwangerschaft, in der man sich bei jedem Symptom fragt, ob das ein Grund zur Sorge sein könnte. Ist das Kind schließlich auf der Welt, ändern sich lediglich die Fragen: Ist es normal, dass das Baby so viel schreit? Ist es normal, dass die Windel schon so lange leer ist? Nach ein paar Monaten dann dreht sich alles um die körperliche Entwicklung (Ist es normal, dass mein Kind noch immer keine Zähne hat?), die motorischen Fähigkeiten (Ist es normal, dass es noch nicht laufen kann?) und das gezeigte Verhalten (Ist es normal, wegen solcher Kleinigkeiten auszuflippen?). Auch bei ärztlichen Untersuchungen wird darauf hin geprüft, ob sich das Kind normal entwickelt und altersgerecht auf Tests reagiert und in Gesprächen mit anderen Eltern dreht sich viel darum, was die Kinder schon können.
Mein größter Wunsch ist, dass es meinen Kindern gut geht
Vor allem bei meinem ersten Kind führt meine Unsicherheit oft dazu, dass ich mich an Normen orientiere und den Vergleich mit Gleichaltrigen suche – und erleichtert bin, wenn ich von befreundeten Eltern ähnliche Geschichten höre. Die Sorge, dass etwas eben nicht normal ist und dass diese Abweichung von der Norm ein Anzeichen für ein Problem, also eine Krankheit oder eine Entwicklungsstörung sein könnte, kann ich nicht ganz verdrängen. Mein größter Wunsch ist es, dass es meinen Kindern gut geht, sie gesund sind, glücklich sind, sozial akzeptiert werden. Und das setzt mein Kopf manchmal gleich mit: Dass sie normal sind.
Nur, was heißt schon normal?
In den ersten Lebensjahren macht der Körper einige mächtige Veränderungen durch. Das Kind wächst, es lernt ständig neue Sachen, das Gehirn reift. Wann was genau passiert, dafür gibt es oft nur grobe Richtwerte. Beispielsweise gibt es Kinder, die schon mit ihrem ersten Milchzahn auf die Welt kommen. Andere sind bei ihrem ersten Zahn bereits ein Jahr alt. Dazu gibt es Quengel-Phasen, die kommen und gehen und die bei jedem Kind zu anderen Zeitpunkten auftreten können. Einige Verhaltensweisen „verwachsen“ sich mit der Zeit, und am Ende des Tages haben Kinder auch einfach verschiedene Persönlichkeiten.
Eigentlich muss es also nicht verunsichern, wenn das ein oder andere gleichaltrige Kind schon etwas mehr kann, scheinbar weniger starke Wutausbrüche hat oder sich anders verhält. Sollte ein wichtiger Meilenstein in der Entwicklung noch fehlen, dann würde das ja ohnehin bei den regelmäßigen Untersuchungen bei Kinderärzt:innen oder den Gesprächen mit den Kita-Erzieher:innen zur Sprache kommen.
Völlig entspannt zu bleiben, wenn das eigene Kind von der Norm abzuweichen scheint, ist jedoch leichter gesagt als getan. Eine befreundete Mutter beschäftigt beispielsweise gerade sehr, dass die Erzieher:innen der Kita eine Hochbegabung bei ihrem Sohn vermuten. Sie macht sich nun Sorgen, dass er sozial ausgegrenzt werden könnte, dass er sich in der Kita oder später in der Schule unterfordert fühlt oder seine Normabweichung zu anderen Hindernissen führt, die ihm die Integration in unser Bildungssystem und in die soziale Gesellschaft erschweren könnten. Auf der Suche nach Anzeichen dafür hat sie deshalb aktuell ein großes Bedürfnis, die Verhaltensweisen ihres Sohnes mit denen meiner Tochter und anderer Kinder abzugleichen.
Ich verstehe den Drang zum Austausch, denn auch ich würde frühestmöglich wissen wollen, sollte etwas in der Entwicklung meines Kindes auf eine Krankheit oder eine Störung hinweisen, wegen der eine medizinische Behandlung nötig oder eine gezielte Förderung und Unterstützung sinnvoll sein könnten. Trotzdem stresst es mich auch, dass wir aktuell viel mehr als ohnehin schon darüber reden, welches Kind im Bekanntenkreis was kann und was noch nicht.
Es verunsichert zu hören, was andere scheinbar schon längst können
Natürlich ist das ganze kein Wettbewerb und ich weiß, dass sich jedes Kind in seiner eigenen Geschwindigkeit entwickelt. Zwar gibt es ein paar härtere Deadlines, beispielsweise sollte man schon zur Ärzt:in gehen, wenn das Kind mit 20 Monaten noch immer nicht laufen kann. Aber bis dahin lernen Kinder eben unterschiedliche Sachen unterschiedlich schnell. Das sehe ich ja auch bei meinen eigenen Kindern: Obwohl meine zweite Tochter viel früher krabbeln konnte als meine erste, sieht es bisher so aus, als würde sie etwas länger zum Laufen lernen brauchen.
Trotzdem verunsichert es zu hören, was anderer scheinbar schon längst können, und es macht mich auch stolz, wenn ich feststelle, dass mein Kind etwas schon kann, was Gleichaltrige noch nicht können. Ich kann mich davon nicht freimachen.
Im Zweifel sollten Eltern sich bei Sorgen um die altersgerechte Entwicklung oder Verhaltensweisen professionell beraten lassen, das Gespräch mit Erzieher:innen und Kinderärzt:innen suchen oder Frühförderung in Anspruch nehmen.
Was aber auch schon helfen kann: Die Einteilung in „normal“ und „nicht normal“ abzulegen. Was wir als Norm betrachten, ist oft nur ein flüchtiger, oberflächlicher Eindruck unserer direkten Umgebung. Etwas als normal und die Abweichung als unnormal zu betrachten, greift zu kurz und bewertet stark. Ich mag deshalb das Konzept der Neurodiversität. Damit werden Unterschiede in der Funktionsweise des Gehirns wertfrei beschrieben und darauf hingewiesen, dass diese natürlich und wertvoll sind. Denn wir alle sind neurodivers: Keine zwei Gehirne funktionieren genau gleich.
Wenn vermeintliche Abweichungen von der Norm – ob es fehlende motorische Fähigkeiten sind oder eine Neurodivergenz wie ADHS oder Autismus – zu Herausforderungen im Alltag des Kindes führen, dann hilft der Austausch mit anderen Betroffenen und Fachkräften. Das Wichtigste ist, dass eigene Kind so zu akzeptieren, wie es ist, und es dabei zu unterstützen, ein glückliches Leben zu führen.