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Was ein Baby alles verändert

Alles wie bisher? Nicht ganz.
Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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In dieser Kolumne geht es um Schwangerschaft und Eltern-Sein, um die Hürden, das Glück, die Mythen rund ums Thema Baby. Unsere Autorin ist Mutter einer zweijährigen Tochter. Folge neun: Muttertät.

Die Erkenntnis, auf einmal Mutter zu sein, traf mich wie ein Blitz. Dabei hatten mein Mann und ich jahrelang immer wieder darüber gesprochen, ein Kind bekommen zu wollen und ich schließlich monatelang aktiv versucht, schwanger zu werden. Und auch während der Schwangerschaft fühlte es sich an, als sei ich bereits Mutter. Schließlich spürte ich durchgehend die Anwesenheit meiner Tochter, erst durch Begleiterscheinungen wie Morgenübelkeit oder meinen wachsenden Bauch und später ganz direkt durch ihre Tritte und Bewegungen. Und ich trug bereits damals viel mütterliche Verantwortung, verzichtete für mein Baby auf rohen Fisch oder schlief in einer für sie guten Position, die für mich selbst recht ungemütlich war. Die Elternschaft war also wirklich nichts, das uns überraschend passiert wäre.

Und dennoch sah ich nach der Geburt meine Tochter an und dachte wieder und wieder: „Wow, das ist mein Baby. Ich bin jetzt eine Mutter.“ Es war, als hätte ich ein Level geknackt, als hätte ich erst mit der erfolgreichen Geburt den Titel „Mama“ für mich freigeschaltet. 

Empfinden Väter das auch so? Mein Mann unterstützte mich schließlich bei allen Schwangerschaftsbeschwerden und sprach regelmäßig durch meine Bauchdecke hindurch mit dem Baby. Trotzdem veränderte sich für ihn zunächst nicht ganz so viel wie für mich, sein Elternwerden war ihm sicher nicht in jeder Sekunde so präsent wie mir. „Vater wird man mit der Geburt des Kindes, Muttersein beginnt schon mit dem positiven Schwangerschaftstest“, sagte mir einmal eine Hebamme. Doch so einfach ist es nicht, glaube ich. Denn auch bei vielen Partner:innen oder Adoptiveltern beginnt die Elternschaft sicherlich schon mit der Vorfreude und den Vorbereitungen auf die Ankunft des Babys.  

Eltern zu werden läuft ähnlich ab wie die Pubertät

Dass Elternschaft und besonders Mutterschaft kein Moment, sondern eine ganze Entwicklungsphase mit mehreren Ebenen ist, befand auch die amerikanische Anthropologin Dana Raphael. Bereits vor etwa 50 Jahren begründete sie die Wortneuschöpfung „Matrescence“, angelehnt an das englische Wort für Pubertät. Mittlerweile trendet auch das deutschsprachige Pendant „Muttertät“ in den sozialen Medien.

Der Begriff soll verdeutlichen, dass das Mama- oder Elternwerden ähnlich abläuft wie die Pubertät: Mit zum Teil körperlichen und psychologischen, aber auch zwischenmenschlichen und beruflichen Veränderungen. Wusstet ihr zum Beispiel, dass sich die Gehirne von Müttern unter anderem durch Hormone verändern, um ein besseres Gespür für den mentalen Zustand ihrer Babys zu bekommen? Und auch bei Vätern hat man Veränderungen im Hormonhaushalt und Gehirn festgestellt. Ausgelöst werden diese Veränderungen unter anderem durch äußere Reize wie den Schrei des Kindes, weshalb Wissenschaftler:innen davon ausgehen, dass auch bei Adoptiveltern oder Großeltern körperliche Veränderungen stattfinden, sobald sie sich intensiv um ein Kind kümmern. 

Natürlich gibt es aber auch die deutlich sichtbareren Veränderungen in der Muttertät: Meine Brüste werden zum Beispiel nie wieder so aussehen, wie vor meiner Schwangerschaft, und auch meine zahlreichen Schwangerschaftsstreifen am Bauch werden nur verblassen, nicht verschwinden. Die Schwangerschaft und die Stillzeit führen aus vielen Gründen zu einem ganz neuen Körpergefühl für Frauen. Während der an sich schönen Stillzeit gab es dennoch Momente, in denen ich mich immer mehr aufzulösen schien. In denen ich nicht mehr war außer die völlig erschöpfte Nahrungsquelle meiner Tochter.

Und auch wenn ich stolz darauf bin, was mein Körper geleistet hat und die Rückbildungsübungen mir zum Glück ein Stückchen meiner alten Stabilität zurückgegeben haben: Mein Körper wird sich wohl nie wieder so anfühlen wie vor der Schwangerschaft. Das ist in Ordnung, doch damit meinen Frieden zu schließen, hat Zeit gebraucht.  

Unter der neuen Elternschaft können auch Beziehungen zu Freund:innen leiden

Doch viel mehr als der neue Körper nehmen mich die psychischen Veränderungen ein. Seit der Schwangerschaft ist meine Tochter mein Lebensmittelpunkt. Ihre Bedürfnisse kommen immer an erster Stelle. Meine beste Freundin, mein Mann, jeder andere Mensch – sogar ich selbst – werden neben ihr immer den Kürzeren ziehen. Der Schauspieler Ryan Raynolds hat das sehr treffend beschrieben. In einer Late-Night-Show sagte er einmal über seine Frau Blake Lively: „I used to say to her, ‚I would take a bullet for you.‘ And the second I looked into that baby’s eyes, I knew in that exact moment that if we were ever under attack, I would use my wife as a human shield to protect that baby.“

Für Außenstehende ist das manchmal nur schwer nachvollziehbar. Darunter können auch Beziehungen zu Freund:innen leiden, vor allem, wenn diese keine Kinder haben. Denn egal wie sehr sich Eltern auch vornehmen, das Baby würde wenig Einfluss haben auf ihre bisherige Persönlichkeit, Hobbies oder Gesprächsthemen: das wird es. Vor allem in der ersten Zeit. Bei einem viel Aufmerksamkeit fordernden Baby kann bereits eine kurze Dusche schwer in den Alltag zu integrieren sein – geschweige denn ein Kinoabend mit dem Freundeskreis. Anfangs schaffte ich es nicht mal, einmal in der Woche zu einem Videocall mit meinen engsten Freund:innen. Und wenn doch, hatte ich ohnehin nichts zu erzählen – abgesehen davon, was mein Baby den ganzen Tag so gemacht hatte.  

Das 50/50-Parenting-Konzept geht bei vielen Paaren nicht auf

Mit den Monaten wurde das wieder besser, mein Mann und ich fanden uns in unseren neuen Rollen ein und konnten uns irgendwann gegenseitig Freiräume für Hobbies oder Verabredungen schaffen. Wobei auch das nur phasenweise klappt, denn Kleinkinder sind nicht immer pflegeleichter als Babys. Viele Paare stellen außerdem schnell fest, dass ihr vor der Geburt durchdachtes 50/50-Parenting-Konzept nicht immer aufgeht. Zum Beispiel, weil das Kind eine Zeit lang nur bei Mama einschläft, weil man finanziell stärker auf das Gehalt des einen angewiesen ist oder weil der eine sein Hobby doch leichter aufgeben kann als der andere.  

Ich merkte, neben der Rolle als Mama auch noch eine Partnerin und gute Freundin zu sein, Karriere zu machen und ein Hobby zu haben, ist quasi unmöglich. Man muss immer wieder neue Prioritäten setzen und als Paar sein Modell finden. Ich verdiene derzeit zum Beispiel mehr als mein Mann, deshalb arbeite ich in Voll- und er in Teilzeit. Die Bring- und Abholzeiten in der Kita unserer Tochter passen ihm besser, auch für Essenkochen und Wäschewaschen hat er mehr Zeit als ich. Wenn ich von der Arbeit nach Hause komme, löse ich ihn vom „Kind-Dienst“ ab, dann gehört meine Zeit zu 100 Prozent unserer Tochter. Mein Mann geht derweil meistens mit dem Hund oder macht Wäsche.

Erst wenn sie schläft, haben mein Mann und ich Raum für uns als Paar – wenn gerade keiner von uns eine Verabredung hat. Daher war es sogar eine terminliche Herausforderung für uns, ein zweites Mal schwanger zu werden. Denn auch für Sex muss man im Alltag Zeit und Energie haben. Doch nun, etwas mehr als zwei Jahre nach der Geburt unserer ersten Tochter, erwarten wir im November die Ankunft unseres zweiten Kindes.

Weil ich beim Erscheinen dieser Folge bereits im Mutterschutz und anschließend in Elternzeit sein werde, pausiert die Mommy-Kolumne bis zum nächsten Frühjahr. Dann komme ich mit neuen Folgen und neuen Themen zurück, von Kita-Eingewöhnung bis zu (hoffentlich nur wenigen) Geschwisterrivalitäten.

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