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Muttersein muss man lernen

Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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In dieser Kolumne geht es um Schwangerschaft und Eltern-Sein, um die Hürden, das Glück, die Mythen rund ums Thema Baby. Unsere Autorin ist Mutter einer zweijährigen Tochter. Folge acht: Das Wochenbett.

Mitten in der Nacht, kurz vor vier Uhr morgens, drückte ich mal wieder auf den kleinen Knopf neben meinem Krankenhausbett. Meine Babytochter, noch nicht einmal fünf Stunden alt, lag in meinem rechten Arm und schnappte mit wachsender Ungeduld um sich. Seit ihrer Geburt hatte sie grob einmal die Stunde ihren Schlaf unterbrochen und mir auf diese Weise mitgeteilt, dass sie Hunger hat. Jedes Mal war ich daran gescheitert, ihren kleinen Kopf ohne die Hilfe des Pflegepersonals in die Nähe meiner Brustwarze zu bekommen. 

Ich traute mich einfach nicht. Sie war so klein und zerbrechlich. Ich hatte Angst, etwas falsch zu machen. Also klingelte ich wieder und wieder nach der geduldigen Pflegekraft, die mir mit wenigen Handgriffen dabei half, mein Baby zu stillen. Eine Mutter zu sein, das muss man erstmal lernen.  

Meine Tochter wurde zur Hochphase der Coronapandemie geboren, mein Mann durfte daher nicht mit im Krankenhaus bleiben. Eine Entlassung auf eigene Verantwortung – mit Neugeborenem und nach meinem starken Blutverlust – hatte ich mir nicht zugetraut. Also verbrachte ich die erste Nacht mit unserem Baby allein im Krankenbett. Obwohl ich überglücklich war, meine Tochter endlich im Arm halten zu können, fühlte ich mich auch ziemlich allein und hätte meinen Mann gerne bei mir gehabt.  

Mit dieser Nacht begann also mein Wochenbett. In dieser Zeit, den ersten acht Wochen nach der Geburt, sind Frauen in Deutschland im Mutterschutz. Sie dürfen also nicht arbeiten und bekommen von der Krankenkasse und dem etwaigen Arbeitgeber Mutterschaftsgeld. Das ganze Leben verändert sich über Nacht und man ist allein verantwortlich für einen völlig unselbstständigen Menschen. Die Begriffe „Auszeit“ oder „Erziehungsurlaub“, die dafür manchmal verwendet werden, sind für diese Zeit deshalb völlig unangemessen.

Mein Körper gab anfangs recht wenig Milch und meine Tochter hatte deshalb ständig Hunger

Und der hat Bedürfnisse, will gefüttert, gewickelt und liebgehabt werden. Was im Bauch wie von selbst ging, läuft draußen ganz anders ab. Zum Beispiel muss das mit dem Trinken aus der Brustwarze oder der Flasche erstmal klappen. Immer wieder berichten Frauen von Stillproblemen. Wie häufig das Stillen nicht funktioniert, dazu gibt es keine Zahlen. Ich kenne jedenfalls einige Frauen, die Probleme damit hatten oder früh abstillen mussten. Zum Beispiel, weil sie nicht genug Milch produzierten, das Stillen ihnen große Schmerzen bereitete. Auch der sehr schmerzhafte und von Fieber begleitete Milchstau, bei dem ein Milchgang blockiert und sich entzündet, ist keine Seltenheit und eine große Herausforderung in der ersten Zeit mit Kind. Bei mir klappte das Stillen zum Glück ganz gut, allerdings gab mein Körper anfangs recht wenig Milch und meine Tochter hatte deshalb ständig Hunger. Zum Schlafen kam ich in der ersten Zeit daher immer nur wenige Minuten am Stück, und mein Rücken litt unter den sitzenden und stehenden Stillpositionen.  Im Liegen zu stillen, dafür brauchten wir ein paar Wochen Übung –  es war aber ein absoluter Gamechanger.    

Und dann ist da noch die Sache mit dem Weinen. Denn das Geschrei seines Baby richtig zu deuten, braucht Übung: Wann ist ihm zu warm, wann zu kalt, wann hat es Hunger, wann Bauchweh? Wann ist es müde und wann einfach nur schlecht gelaunt? Und dann wären da noch die zig kleinen Gegenstände, an denen es sich verschlucken kann. Und der juckende Pilz, der von der zu lang getragenen Windel kommen kann. Kurz gesagt: Pausen gibt es nicht. Denn sogar wenn meine Tochter mal schlief, schielten wir mit einem Auge zu ihr, um die Atmung zu überprüfen. Zwar ist der plötzliche Kindstod deutlich seltener geworden, doch die Angst davor bei Eltern noch immer groß.

Die Geburt war ein physisches und psychisches Extremereignis, das verarbeitet werden muss

Nun ist das Wochenbett aber auch jene Zeit, in der sich die Mutter eigentlich ganz in Ruhe von der Geburt erholen müsste. Denn selbst, wenn alles ohne Komplikationen verlief und es Mutter und Kind körperlich gut geht, ist eine Geburt ein extremes Ereignis. Nach Bauchgeburten müssen mehrere Schichten durchtrennten Gewebes verheilen, auch nach einer vaginalen Geburt schwemmen wochenlang Blut, abgestorbenes Gewebe und Wundwasser als sogenannter Wochenfluss aus der Gebärmutter. Dazu kommt körperliche Schwäche, denn die vom Schwangerschaftsbauch an die Seite gedrängten Organe und Muskelstränge ploppen nicht einfach straff und stark wieder dorthin zurück, wo sie mal waren. Und das sind nur einige wenige der vielen körperlichen Herausforderungen.  

Eine Geburt – selbst die sehnsüchtig erwartete Geburt eines Wunschkindes – kann außerdem tiefe psychische Wunden hinterlassen. Der sogenannte Babyblues, also ein Stimmungstief nach der Geburt, den mehr als die Hälfte der Mütter durchleben, ist hormonell bedingt und klingt normalerweise nach kurzer Zeit von selbst ab. Doch etwa zehn bis 15 Prozent der Mütter leiden an einer postpartalen Depression, auch Wochenbettdepression genannt. Mögliche Ursachen gibt es viele, von Problemen in der Beziehung über zu hohe Ansprüche an sich selbst bis hin zu einem traumatischen Geburtserlebnis. Das Krankheitsbild ist dabei schon so alt wie die Menschheit selbst – und in Deutschland die häufigste Todesursache für Mütter um die Zeit der Geburt.  

Dabei kann man erste Anzeichen dieser Störung rechtzeitig erkennen: Den Müttern fällt es schwer, eine emotionale Bindung zu ihrem Kind aufzubauen, sie fühlen sich gefühlstaub, sind unglücklich und rastlos. Bereits bei leichteren Symptomen empfinden sich viele Frauen deshalb als schlechte Mütter und Versagerinnen, was wiederum tiefe Schuldgefühle auslösen und in eine Abwärtsspirale führen kann. Im schlimmsten Fall entwickeln sich bei unbehandelten postpartalen Depressionen irgendwann Suizidgedanken oder Gewaltfantasien. Übrigens können auch Väter solche Störungen entwickeln.  

Ich bin sehr froh, nach der Geburt meiner Tochter keine Wochenbettdepression und auch keinen spürbaren Babyblues entwickelt zu haben. Doch obwohl ich überglücklich war, sie endlich im Arm zu halten und die Zeit mit ihr genießen konnte, brachten mich die ersten Wochen an meine Grenzen. Nie in meinem Leben habe ich mich so schwach und unwohl in meinem Körper gefühlt. Ich hatte viel Blut verloren und konnte kaum laufen. Gleichzeitig floss Wundwasser wie ein Wasserfall in die gigantisch großen Wöchnerinnenbinden. Statt nach dem Pinkeln Toilettenpapier zu benutzen, konnte ich mich nur mit lauwarmen Wasser untenrum säubern – und selbst das tat weh. Meine Körpermitte fühlte sich an, als bestünde sie nur aus meiner Wirbelsäule – umgeben von Wackelpudding. Ich war kreidebleich, meine Haut voller Unreinheiten und meine Haare wirkten stumpf. Eigentlich hätte ich ein paar Tage absolute Ruhe und anschließend einen Wellnessurlaub gebraucht. Und vor allem eines: Schlaf. 

Weil ich als menschliche Milchflasche ziemlich eingespannt war, musste mein Mann sich um alles Andere kümmern

Doch auf den wartete ich vergebens. Die ersten Wochen schlief unsere Tochter nie länger als eine halbe Stunde am Stück, konnte nur beim Trinken einschlafen oder hörte nur auf zu schreien, wenn sie durch die Wohnung getragen wurde. Auch im Kinderwagen schlief sie höchstens mal eine Viertelstunde. Im Grunde wäre sie wohl am glücklichsten gewesen, wenn sie 24 Stunden am Tag mit meiner Brust im Mund hätte verbringen können.  

Weil ich in meinem neuen Leben als menschliche Milchflasche ziemlich eingespannt war und vor Schwäche kaum stehen konnte, musste mein Mann sich um alles Andere kümmern: Einkaufen, kochen, mir ein Getränk bringen, Windel wechseln, Wäsche waschen, Baby in den Schlaf tragen, mit dem Hund gehen, putzen, Papierkram für Elterngeld und die Geburtsurkunde ausfüllen. Ich bin ihm dafür sehr dankbar – auch wenn mir völlig bewusst ist, wie selbstverständlich das sein sollte. Doch viele Mütter haben diesen Support von Vater, Familie oder dem Freundeskreis nicht. Sie müssen diese körperlich und psychisch harte Zeit irgendwie allein durchstehen.  

Mein Appell deshalb: Wenn ihr eine frischgebackene Mutter kennt, fragt nicht nur nach dem Wohlbefinden ihres Babys. Fragt auch danach, wie es ihr geht. Bringt ihr Essen vorbei, das sie ein paar Tage versorgt. Geht für sie einkaufen, passt ein paar Minuten auf das Kind auf, damit sie mal kurz duschen oder in Ruhe auf Toilette gehen kann. Fragt, wie ihr sie unterstützen könnt. Und wenn sie ihrem Kind die Flasche und nicht die Brust gibt, fragt nicht kritisch nach. Es wird einen Grund geben.  

Zum Glück erholte ich mich langsam, aber sicher von der Geburt, und die Schlafphasen unserer Tochter gingen auf immerhin eine Stunde am Stück hoch. Langsam begann unser neuer Alltag als Familie. Für meinen Mann und mich bedeutete das: vom Liebespaar zu Eltern zu werden. Was es bedeutete, sich in diesen Rollen und als Familie zu finden, darum geht es in der nächsten Folge. 

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