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Der Bad Boy, der Präsident von Uganda werden will

Foto: Kasper Goethals

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Foto: Kasper Goethals

Der Schrecken des Präsidenten fläzt im Fahrersitz, am Handgelenk eine dicke Uhr, das Smartphone am Ohr. Sein zu tief gelegter Volvo kracht von Schlagloch zu Schlagloch. Bobi Wine schert sich nicht darum. Der 37-Jährige ist jetzt ganz Popstar, am Telefon organisiert er Auftritte in Deutschland, Frankreich und den USA. Er wirkt nicht wie ein Mann, vor dem sich ein Präsident fürchten muss. Bis er an einer Kreuzung hält. Am Straßenrand lehnen Jugendliche an ihren Mopeds, sie blicken erstaunt auf. Sie lösen sich aus den gelangweilten Posen, sie lachen, sie rufen ihm zu. „People power“, ruft Bobi Wine und reckt seine Faust aus dem Fenster. „Our power“, antworten die jungen Männer. Die Straßen der Hauptstadt Kampala, sie gehören Bobi Wine.

Eigentlich gehört Uganda Yoweri Museveni. Der 74-Jährige ist seit 33 Jahren Präsident des ostafrikanischen Landes. Die Jungs mit den Mopeds lebten noch nicht, als Museveni sich am 26. Januar 1986 zum Präsidenten erklärte. Die Mehrheit der Ugander lebte damals noch nicht: Die Bevölkerung des Landes ist die zweitjüngste der Welt, das Durchschnittsalter liegt knapp unter 16. Zwar fühlen sich die jungen Leute von Museveni nicht vertreten. Doch dieser klammert sich mit Gewalt an die Macht: Politische Gegner lässt er einsperren und ihre Unterstützer schlagen. Lange Zeit glaubte deshalb keiner an den Erfolg eines Gegenkandidaten. Jetzt betritt der Popstar Bobi Wine die politische Bühne. Und Museveni ist nervös.

Bobi Wine prägt die junge Generation Ugandas seit Jahren. In den frühen 2000ern stieg er schnell zu einem der beliebtesten ostafrikanischen Musikern auf, gewann Jahr um Jahr Awards. Sogar seine Freunde nennen ihn mittlerweile „Bobi“, obwohl er bürgerlich Robert Kyagulanyi Ssentamu heißt. Die Videos des großen, drahtigen Musikers mit Dreadlocks, bunten Shirts und schweren Halsketten kennt hier jeder. Für Ugander unter 30 existierten nur zwei große Popstars: Bobi Wine und sein Rivale Bebe Cool. „Auf dem Schulhof gab es zwei Lager, eines war für Bobi und eines für Bebe“, erzählt ein junger Mann aus Kampala, „Meine Freunde und ich waren immer für Bobi, denn Bebe ist der Sohn eines Ministers und Bobi kommt aus dem Ghetto. Er musste sich durchkämpfen.“

Der Weg aus dem Slum zum Erfolg erklärt Bobi Wines Beliebtheit: Uganda ist eines der afrikanischen Länder mit der höchsten Jugendarbeitslosigkeit. Junge Menschen aus armen Verhältnissen identifizieren sich mit dem Popstar. „Was soll ich sagen, ich hatte eine gewöhnliche Kindheit“, sagt Wine, der mit seiner Mutter und sechs Geschwistern in Kampalas Viertel Kamwokya aufwuchs. „Kamwokya ist ein Slum, das Haus war mehr oder weniger selbstgebaut, ohne Elektrizität und ohne fließendes Wasser.“ Sein Vater hatte sich den Rebellen angeschlossen, die 1979 den Diktator Idi Amin stürzten. „Er kämpfte und wurde weggesperrt, er war also nie zuhause“, sagt Wine. Seine Mutter, eine Krankenschwester, verdiente etwas Geld hinzu, indem sie Tee und Pfannkuchen am Straßenrand verkaufte. Ihre Kinder gingen zur Schule. Bobi Wine studierte später Musik an der Universität in Kampala.

Im Jahr 2016 wurde Bobi Wine wütend. So wütend, dass er Museveni direkt angriff

Bekannt wurde er als „Bad Boy“, wie er das nennt, mit Songs „über die Mädels, über die Partys, über das Weed und die Gewalt“. „Irgendwann habe ich verstanden, wie sehr ich die jungen Leute beeinflusse“, sagt er. Also änderte er die Themen seiner Texte, kritisierte soziale Missstände, die ihn an seine Kindheit erinnerten. Einen Song widmete er den strikten Gesetzen, die Straßenhändlern wie seiner Mutter das Geschäft erschwerten. Den Präsidenten verschonte er. „Ich habe Museveni lange unterstützt, so wie mein Vater“, erzählt er. Anfangs forderte Museveni das, was Wine heute fordert: ein freies Uganda ohne Unterdrückung. Paradoxerweise ist Bobi Wines Karriere sogar ein Beispiel dafür, dass Musevenis Regime einen Aufstieg ermöglicht: Wine lebt mit seiner Frau Barbie und seinen vier Kindern in einem bürgerlichen Viertel am Rande Kampalas. Aus der weißen Villa schallt Kinderlachen, im Garten wachsen Bananenbäume und das Gras ist trotz der Hitze grün. Betonmauern halten den Lärm der Stadt auf.

Doch im Jahr 2016 wurde Bobi Wine wütend. So wütend, dass er Museveni direkt angriff. „Wenn Führer zu Irreführern werden und Mentoren zu Peinigern, wenn Meinungsfreiheit zur Zielscheibe der Unterdrückung wird, dann wird die Opposition zu unserer Position“, sagt er im Intro seines Songs „Situka“. Es ist eine Kampfansage an den Präsidenten. Der Oppositionsführer Kizza Besigye hatte kurz zuvor die Präsidentschaftswahl verloren und wieder hatte es Unregelmäßigkeiten an den Wahlurnen gegeben. Bobi Wine startete seine politische Karriere. Er ließ sich bei der Parlamentswahl 2017 aufstellen und gewann einen Sitz. Seinen Ton gegen Museveni verschärfte er. Die rote Mütze wurde sein Symbol und der Satz „People Power, Our Power“ sein Slogan.

Sein Fahrer war erschossen worden. Bis heute glaubt Wine, der Schuss galt ihm

Die Regierung schien überfordert. Der Song „Freedom“ entwickelte sich 2017 in den Straßen Kampalas zur Hymne, die Radiosender spielten ihn trotzdem nicht. In den sozialen Netzwerken verbreitete sich die Nachricht, die Regierung habe den Song verboten. Die zuständige Behörde streitet den Vorwurf ab. In „Freedom“ singt Bobi Wine: „Was lehrt ihr unsere zukünftige Generation? Seht, wie unsere Führer zu Irreführern werden und unsere Mentoren zu Peinigern. Freiheitskämpfer werden Diktatoren. Sie blicken auf die Jugend und sagen wir seien Störenfriede“. Polizisten schlugen willkürlich Bürger, die auf der Straße Rot trugen. „Die wissen nicht, wie sie mit mir umgehen sollen, Mann“, sagt Wine und lacht, „Die betreiben so viel Aufwand und nehmen so viel Geld in die Hand, um eine Barriere für mich aufzubauen und ich…“, er unterbricht sich, steht auf und macht einen großen Schritt, „…benötige so wenig Aufwand um über die Barriere zu springen.“

Im August 2018 erfuhr Bobi Wine, was es heißt, Museveni gefährlich zu werden. Als er sich nach einem Treffen mit Oppositionellen in sein Hotelzimmer zurückzog, ertönte ein Schuss. Sein Fahrer war erschossen worden. Bis heute glaubt Wine, der Schuss galt ihm. „Ich hörte die Menschen in den Korridoren schreien und ich hörte die Soldaten: Wo ist Bobi?“, erzählt er. Soldaten und Polizisten hätten wenig später seine Tür eingetreten. „Einer zog eine Pistole, lud sie durch und befahl: Auf die Knie“, erzählt Wine, „Aber bevor ich auf die Knie gehen konnte, schlugen sie auf mich ein, bis ich ohnmächtig wurde.“ Wine verschwand für einige Tage in Polizeigewahrsam und in einem Militärgefängnis. Er erzählt von weiteren Schlägen und von Folter. Bis heute erinnern die krakelig gesprayten Worte „Free Bobi“ an den Mauern ugandischer Städte an die Demonstranten, die seine Freilassung forderten.

Durch die Aktion stärkte die Regierung Bobi Wine: Der Fall erhielt internationale Aufmerksamkeit, denn Wine ließt seine Verletzungen in den Vereinigten Staaten behandeln. Andere Oppositionelle kann Museveni einsperren lassen, doch seine Bekanntheit schützt Bobi Wine. Auch deshalb bemüht sich Wine um eine starke Verbindung zum Westen. Mittlerweile trägt er seine Haare kurz und ein Jackett zu schicken Hosen. Noch im Juli 2014 lehnte Großbritannien seinen Antrag für ein Visum ab, weil er in einem seiner Texte Gewalt gegen Homosexuelle befürwortete. Damals sollte er in Birmingham und in London auftreten. „Ich habe früher emotional kommuniziert und nicht logisch“, erklärt er heute. „Mit der Zeit, als Führungsperson, habe ich gelernt, toleranter zu sein. Auch dann, wenn ich jemandem widerspreche.“ Ein Führer dürfe die Freiheiten seiner Landsleute nicht einschränken.

Wenn man mit europäischen Diplomaten in Uganda über Bobi Wine spricht, bezweifeln sie, dass der Popstar Uganda führen könnte. Er sei ein Entertainer, kein Politiker. Er sei unerfahren. Und er rauche Marihuana. Tatsächlich orientiert sich Bobi Wine nicht an Denkern und Philosophen. „Ich lese nicht, ich lebe“, sagt er. Auf die Frage, wie er die Korruption bekämpfen wolle, erklärt er: „In den ersten 100 Tagen meiner Präsidentschaft werdet ihr radikale Veränderungen sehen, ihr werdet sehen, wie sich Tausende Beamte erneut um ihre Jobs bewerben müssen.“ Er wolle die Institutionen stärken. Bobi Wine weiß, wie allgemein das alles klingt. Er arbeite deshalb daran, kluge Köpfe aus dem ganzen Land hinter sich zu versammeln. Er wolle ihnen als Stimme dienen.

„Wenn faire Wahlen stattfinden würden, würde ich Museveni schlagen“, sagt er. Die Bilder in den Straßen geben ihm Recht: In Kampala hört er seinen - wie er sagt - verbotenen Song „Freedom“. In den Goldgruben im ländlichen Westen, im nördlichen Bezirk Arua tragen sie seine roten Mützen und T-Shirts auf offener Straße. Seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl in zwei Jahren hat Bobi Wine bereits angekündigt.

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