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Emo-Rapper Lil Peep ist tot

Foto: lilpeep / instagram

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Gustav Åhr war eine Erscheinung. Seine Haare klebten mal in gelb-blonden Strähnen an seiner Wange, mal glänzten sie hellrosa. Seine Lippen waren, das ist in den unzähligen Videos auf Instagram zu sehen, oft zu einem Lächeln verzogen, aber sein Blick, der war leer und glasig. Er verschleierte das, was wirklich in ihm vorging: seine Depressionen. Das Glasige kam von den vielen Aufputsch- und Beruhigungsmitteln, die er seinem Körper zumutete: Koks, MDMA, LSD, Oxycodon zählte er unter anderem mal in einem Interview auf. Am liebsten mochte er den Angstlöser Xanax. Ohne dieses Medikament würde er sich selbst etwas antun, sagte er bezogen auf seine Selbstmedikation in einem Interview.

Jetzt hat ihn sein Drogenkonsum anscheinend das Leben gekostet: Gestern erzählte er in einem Instagram-Video vernebelt davon, dass er sechs Xanax-Tabletten intus hätte, es ihm aber gut gehe. Wenig später schrieb er in einem Post „When I die You’ll love me." Wiederum etwas später starb er in der Nacht im Krankenhaus. Er wurde nur 21 Jahre alt. Ein offizielles Statement zu seiner Todesursache gibt es bisher nicht.

Seinen Körper zierten trashige Tattoos, sodass von seiner blassen Haut eigentlich kaum noch etwas zu sehen war. In seinem Gesicht prangten die Schriftzüge „Cry Baby“ und „Get Cake Die Young“, wobei „Cake“ so viel wie „kilo of Cocaine“ bedeutet. Darunter: ein großes, rotes Anarchie-Zeichen. Das beschreibt Åhrs Leben, die schnelle Entwicklung seiner Karriere und letztlich auch sein Standing als Influencer für ein neues Rap-Subgenre ziemlich gut. Als Grunge-Rap könnte man das bezeichnen oder als Emo-Trap, als Lil Peep hat Gustav Åhr diesen Stil maßgeblich geprägt, der von Pop-Punk-Bands wie Blink 182, den Grunge-Legenden Nirvana und modernen Rappern wie Gucci Mane beeinflusst wurde. Gustav Åhr war ein hochemotionaler, hochkreativer Anarcho und Selbstzerstörer.

Geboren wurde Åhr am 1. November 1996 in Long Beach, New York. Der Vater ist Professor, die Mutter Grundschullehrerin. Die Lebensrealität war also beschaulich in den Jugendjahren. Trotzdem litt Åhr schon seit seiner frühen Teenagerzeit an Depressionen. In der Schule lief es schlecht, die Musik wurde zum Ausweg, um den dunklen Gedanken Ausdruck zu verleihen, die einfach nicht verschwanden.

Er wollte weg. Los Angeles wurde schließlich zum Fluchtpunkt. Dort nahm er seine ersten Mixtapes und EPs in seinem Schlafzimmer fast alleine auf, wie es derzeit viele der sogenannten Bedroom-Musiker machen. Mehr als ein billiges Mikrofon, ein paar Kontakte zu Beat-Produzenten und ein Berg von in Texten katalysierten Emotionen brauchte er dafür nicht.

2015 landeten die ersten Releases auf der Plattform Soundcloud und trafen einen Nerv. Millionen Leute hörten Åhr dabei zu, wie er über seine Ängste sang, seine Drogenprobleme und seine gescheiterten Beziehungen. Jugendliche in den USA, aber auch in ganz Europa schauten zu ihm auf. Er sprach ihnen aus der Seele. Auf Konzerten wurde er fanatisch von Teenagern gefeiert, die vor zehn Jahren vermutlich Emos gewesen wären. Doch auch in der Rapszene wurde er geschätzt.

In der Modewelt galt er mit seinen schrillen Trash-Outfits als stilprägend. Auf Instagram hat er 1,1 Millionen Follower, die GQ interviewte ihn, unter anderem zu seinen Tattoos.

Seine Leidens- und Außenseiter-Hymnen wurden getragen von seinem mit heiserer Stimme vorgetragenen Singsang auf Gitarren-Akkorden und Ratter-Hi-Hats. Manchmal war dieser Singsang nur noch bloßes Geschrei und man hatte das Gefühl: Da ruft jemand um Hilfe. Sein Mixtape „Hellboy“, das im Herbst 2016 erschien, wird schließlich zum Schlüsselwerk von Lil Peep und zur Blaupause für unzählige weitere Internet-Künstler. Sie lassen sich von Åhr inspirieren: von seiner Soundästhetik, seiner Ehrlichkeit und seinem abseitigem Modegeschmack.

 

All diese neuen Künstler werden sein Erbe weitertragen. Lil Peep selbst kann dazu nichts mehr beitragen. Es baue ihn auf, wenn Fans ihm erzählen, seine Musik würde sie am Leben halten, hat Åhr mal gesagt. Ihn konnte die Musik jedoch nicht vor sich selbst schützen. Sein Rap-Entwurf wird die Popkultur der kommenden Jahre aber maßgeblich beeinflussen. 

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