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„Eine Pandemie-Versicherung hätte uns viel Leid erspart“

Foto: Thomas Dworaczek (Sea You Festival); Bearbeitung: jetzt

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Zehntausende Menschen waschen sich tagelang nicht, trinken aus denselben Beerpong-Bechern und tanzen dicht an dicht in der Menge – ein Szenario, das in der Prä-Corona-Zeit auf Musikfestivals selbstverständlich war. Nun ist all das aber nicht mehr erlaubt, das Coronavirus könnte sich sonst rasant ausbreiten. Stattdessen sollen wir einen Mindestabstand von eineinhalb Metern zu anderen Menschen einhalten, Maske tragen und regelmäßig und gründlich Händewaschen. Maßnahmen, die auf einem Musikfestival nicht umsetzbar sind. Vergangene Woche hat die Bundesregierung daher alle Festivals und andere Großveranstaltungen bis Ende August verboten. Darunter auch das „Sea You Festival“ nahe Freiburg mit eigentlich etwa 40 000 erwarteten Besucher*innen. Welche Konsequenzen das hat, erzählt Daniel Schmidt, einer der Veranstalter.

jetzt: Daniel, du veranstaltest Festivals, jetzt finden keine statt. Heißt das, du bist jetzt arbeitslos?

Daniel Schmidt:  Nein, ganz und gar nicht, ich habe jetzt zwei Monate lang extrem viel Arbeit. Zurzeit sitze ich ununterbrochen am Telefon, muss Mails schreiben und Dinge organisieren. Unser Ziel ist es nämlich, dass das Festival nächsten Sommer mit ungefähr dem gleichen Line-Up stattfinden kann. Ich hoffe, dass wir 75 bis 80 Prozent der Künstler*innen umgelegt bekommen. Das alles umzuplanen, ist enorm viel Aufwand und zudem auch ziemlich teuer.

Bekommen die Künstler*innen für dieses Jahr eine Art Ausfallhonorar?

Nein, das nicht. Wir müssen den Künstler*innen keine Gage zahlen. Die Pandemie ist eine Form von höherer Gewalt, da greifen glücklicherweise einige Regularien. Allerdings bleiben wir häufig auf den Booking Fees sitzen – also den Gebühren, die wir an Management-Agenturen gezahlt haben. Das sind in der Regel 15 bis 20 Prozent der Gage, also viel Geld. 

Insgesamt hätten wir rund 70 namhafte Künstler*innen gehabt, darunter etwa Paul Kalkbrenner, Boris Brejcha, Fisher und Alle Farben. Ich habe in den vergangenen Tagen mit einigen Agenturen gesprochen und gefragt, ob sie die Acts nicht einfach kostenlos auf nächstes Jahr umlegen können. Die meinten dann, dass sie beispielsweise auch die Miete für ihr Büro in der Innenstadt bezahlen müssen, genau wie ihre Mitarbeitenden und deshalb nicht einfach umsonst arbeiten können. Auf der einen Seite verstehe ich das natürlich, auf der anderen Seite kommen so ziemlich hohe Kosten auf uns zu, wenn die Booking Fees doppelt anfallen. Wir hoffen hier auf Kulanz und Solidarität, insofern es den Partnern eben möglich ist.

„Gekaufte Tickets behalten auf jeden Fall ihre Gültigkeit für das nächste Jahr“

Wie viel kostet dich die Absage des Festivals insgesamt?

Alles in allem werden meine Geschäftspartner und ich im diesem Jahr einen sechsstelligen Betrag verlieren. Neben den Buchungsgebühren für die Künstler*innen gibt es noch andere Posten. Wir haben schon sehr viel für Werbung und Reisen ausgegeben. Während wir nichts einnehmen, haben wir außerdem laufende Kosten, müssen die Miete für unser Lager und Büro sowie unsere Angestellten bezahlen. Einige Mitarbeiter*innen sind in Kurzarbeit.

Können Unterkünfte für Künstler*innen nicht einfach storniert werden?

Hotels in der Regel schon. Privatjets allerdings nicht. Wir hätten einige Künstler*innen mit einem Doppel-Booking im Programm gehabt, sprich mittags bei uns in Freiburg auflegen und am Abend dann in Rumänien oder Belgien. Für die haben wir bereits verbindlich Privatjets gebucht, einer kostet da schnell mal 12 000 Euro. 

Überlebt ihr als Veranstalter des Festivals diese Einbußen finanziell?

Auch wenn es harte Zeiten sind: Diese eine Saison packen wir das, das können wir überbrücken. Wenn das Festival allerdings nächsten Sommer noch einmal ausfallen würde, dann nicht.

Könnt ihr bisher gekaufte Tickets dann angesichts eurer Lage überhaupt zurückerstatten?

Wie es mit den Tickets aussieht, können wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht verbindlich sagen – außer, dass bereits gekaufte Tickets auf jeden Fall ihre Gültigkeit für das nächste Jahr behalten. Wir hoffen, dass möglichst viele das Ticket im nächsten Jahr nutzen und wir somit möglichst wenig Geld zurückerstatten müssen.

Wovon hängt das denn ab?

Gerade diskutiert der Gesetzgeber ja über die sogenannte Gutscheinlösung. Die würde bedeuten, dass die Veranstalter den Ticketinhaber*innen im Fall einer Pandemie-bedingten Absage nicht den Preis erstatten müssen, sondern ihnen einen Gutschein geben dürfen, wenn die Tickets vor dem 8. März gekauft wurden. Gültig sollen die Gutscheine bis zum 31. Dezember 2021 sein. Bis Ende 2021 müssen die Veranstalter die ausgefallenen Veranstaltungen nun nachholen, sonst müssen sie den Käufer*innen von Tickets das Geld zurückerstatten. Die Idee ist ein guter und wichtiger Schritt für alle Festival- und Konzertveranstalter, denn diese Branche war als erste von den Versammlungsverboten betroffen und sie wird die letzte Branche sein, die da wieder herauskommen wird. Durch ein solches Gesetz würde der Kultur ein Stück weit geholfen werden. Noch besser wäre es natürlich gewesen, wenn wir eine Pandemie-Versicherung gehabt hätten – die hätte uns viel Leid erspart.

„Wäre eine Atomkraftwerk in der weiteren Umgebung in die Luft geflogen, hätte unsere Versicherung gegriffen“

Eine Pandemie-Versicherung?

Eine Versicherung, die den Ausfall eines Festivals übernimmt, wenn es wegen einer Pandemie abgesagt wird. Ich schätze, die Hälfte der bekannteren Festivalveranstalter hat so eine Versicherung. Vor allem die ganz großen wie Rock am Ring oder Southside. Wir haben im Februar noch versucht, eine solche Versicherung abzuschließen. Das war aber natürlich so, als wolle man für ein brennendes Haus noch schnell eine Brandschutzversicherung abschließen. Es war unmöglich, da noch was zu bekommen. Wäre eine Atomkraftwerk in der weiteren Umgebung in die Luft geflogen, eine Bombendrohung ausgesprochen worden, das Veranstaltungsgelände aufgrund wetterbedingter Schäden unbespielbar gewesen, hätte unsere Versicherung gegriffen. Für den aktuellen Pandemiefall sind wir jedoch nicht versichert.

Kennst du Leute in der Festivalbranche, die diese Krise finanziell nicht überstehen werden?

Ja, leider schon. Vor allem im Bereich der Zulieferer. Eine uns zuarbeitende Service- und Sicherheitsfirma hat bereits mitgeteilt, dass sie nicht überleben werden. Auch viele Gastroanbieter haben es schwer, genau wie Firmen, die uns mit Licht und Technik versorgen oder etwa unser Becher-Anbieter. Ich bin gespannt, ob und inwieweit es diese Unternehmen nächstes Jahr noch geben wird. Die gesamte Lieferkette für ein Musikfestival ist sehr, sehr lang, und muss jetzt von Grund auf neu geprüft werden für das kommende Jahr.

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