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Ethisch korrekt Klamotten kaufen ist nicht schwer

Foto: Cam Morin / Unsplash

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Es gibt eine Sorte von Texten, die  alle prophylaktisch ganz toll finden – auch wenn sie am Ende immer vergessen, den Text selbst zu lesen. Weil das Thema einfach zu wenig knallt. Dieser Text könnte so einer werden. Es geht nämlich um Kleidung und unter welchen Bedingungen und mit welchem Chemikalien-Einsatz sie meist produziert wird.

Die Verwirrung und Frustration bei Kund*innen darüber, dass es angesichts der Fülle von Fair-Trade-Siegeln und Textilstandards nicht einfach ist, so einzukaufen, dass man der Umwelt und seinen Mitmenschen möglichst wenig antut, ist groß. Und dass es Anlass für Zertifizierung gibt, sieht man, wenn man sich mal anschaut, mit welchen Chemikalien unsere Kleider in Berührung kommen, bevor sie in die Geschäfte kommen. 

Alles echt übel – und alles echt bekannt

Hier eine kleine Auswahl der beliebtesten Chemikalien, die bei der Klamottenproduktion zum Einsatz kommen:

  • Bromierte Flammschutzmittel dienen bei Textilien zum Brandschutz – und gelten laut EU-Wasserrecht als "besonders gefährlich", weil sie endokrin wirksam sind und Wachstum und Entwicklung der Geschlechtsorgane schädigen können.
  • Chlorbenzole werden als Lösungsmittel eingesetzt – und schädigen zum Teil Leber, Schilddrüse und das zentrale Nervensystem (ZNS).
  • Chlorierte Lösungsmittel sollen Chemikalienrückstände von Textilien entfernen – schädigen die Ozonschicht und können bei Tieren, wie Menschen das ZNS, die Leber und Nieren schädigen. 
  • Chlorphenole werden in der Textilindustrie als Biozid eingesetzt – sind für Wasserorganismen hochgiftig und können beim Menschen Organe schädigen. 

Wie gesagt: Das war nur eine kleine Auswahl. 

Die meisten dieser Stoffe sind in der EU übrigens seit langem verboten, aber das hilft wenig, wenn der überwältigende Großteil der Textilproduktion in Ländern stattfindet, die das alles nicht so eng sehen. 

Und die Probleme der Textilindustrie hören ja nicht bei der Verwendung giftiger Chemikalien in der Produktion auf. Spätestens seit dem Fabrikeinsturz von Rana Plaza in Bangladesch im Jahr 2013, bei dem mehr als 1130 Menschen ums Leben kamen, hat jede*r eine ziemlich genaue Vorstellung, unter welchen Arbeitsbedingungen unsere Klamotten zum Teil hergestellt werden. Es gibt also gute Gründe, warum der Kauf von Kleidern gut überlegt sein sollte – und warum es sinnvoll ist, dass es solche Siegel gibt.

Der Siegel-Wirrwarr nervt – das Gejammer darüber noch viel mehr

Ja, es nervt, dass es zu viele verschiedene Siegel gibt und man als laienhafte*r Konsument*in nicht gleich sehen kann, ob sie nicht doch nur eine ziemlich dreiste Form des Greenwashings sind.

Aber was ebenfalls in nicht geringem Maße nervt: das Gejammer der Kunden, die sich in ihrer Argumentationskette am Ende fast schon gezwungen sehen, dann doch bei H&M (Primark, Forever 21, ...) einzukaufen. Weil sie, wie sie dann sagen, „sich einfach nicht mehr auskennen“.

Das ist nun wirklich kompletter Quatsch – und ziemlich scheinheilig. Zum einen erscheint gefühlt jede Woche in diversen Publikationen ein Text, der genauestens erklärt, wie und wo man fair produzierte Mode einkaufen kann, die (und dieser Nebensatz muss scheinbar IMMER vorkommen) nicht öko aussieht, sondern echt total schick. Es ist auch tatsächlich nicht zu viel verlangt, sich mal genau durchzulesen, welche Siegel welche Standards garantieren – das dauert ungefähr 30 Minuten. Und wer in der Lage ist, sich die Texte seiner Lieblingsband zu merken, der kann sich auch die fünf Siegel merken, auf die es ankommt. 

Zum anderen weiß wirklich jede*r schon fast instinktiv, welche sehr einfachen Maßnahmen man ergreifen könnte und sollte, um den eigenen Konsum so fair wie möglich zu gestalten. Nämlich:

  • Mal nichts kaufen. Klar, das ist schwer für Menschen, die Mode mögen. Aber wie viele Klamotten brauchst du wirklich? Eine Greenpeace-Studie besagt, dass in Deutschland bis zu zwei Milliarden (das ist eine Zahl mit neun Nullen) Klamotten im Schrank versauern – ungefähr 40 Prozent. Und was braucht man tatsächlich? Zwei Jeans, eine Stoffhose, zwei Röcke, zwei Kleider, Unterwäsche, Socken, zehn T-Shirts, drei Pullover, drei Hemden, ein Anzug / ein festliches Kleid. Wenn du die alle wirklich trägst (Stichwort: „kon-marie the shit out of your closet“), dann kommst du damit ohne Weiteres und sehr gut gekleidet über die Runden. Wenn du nicht gerade in der Modeindustrie arbeitest.
  • Deine Kleider gut behandeln. Regelmäßig im richtigen Waschgang waschen, lose Knöpfe annähen, offene Säume (siehe Punkt 4) mit der Nähmaschine ausbessern, altmodisch geschnittene Kleider upcyclen, Löcher stopfen (heißt ganz neu „visible mending“ und ist in Japan und in den USA ein großer Trend). Ist alles möglich, kann sehr gut aussehen, und wenn du noch weitere Fragen hast, stelle sie deiner Großmutter.
  • Second-Hand einkaufen. Die umweltfreundlichste Klamotte ist die, die gar nicht erst hergestellt wird und damit keine Ressourcen verschwendet. In jeder Kleinstadt gibt es Second-Hand-Läden von zugegebenermaßen schwankender Qualität, es gibt Ebay, es gibt den Kleiderkreisel, bei dem Shoppingsüchtige ihre Sucht zu refinanzieren versuchen. Es gibt wirklich mehr als genug Möglichkeiten und keine Entschuldigung.
  • Die beste Qualität kaufen, die dein Budget hergibt. Dann kannst du auch einen fairen Preis bezahlen. (Du weißt genau, dass keine Hose zehn Euro im Einzelhandel kosten kann, wenn in der Produktionskette alles mit rechten Dingen hergegangen sein soll.) Und gute Qualität lohnt sich immer. Zum Beispiel Schuhe: Kaufst du die billig zusammengeklebten Plastik-Schleicher, sind sie am Ende der Saison hinüber – und du musst dir neue besorgen. Kaufst du gut gemachte Lederschuhe (und sie müssen wirklich nicht rahmengenäht sein) und (siehe Punkt 2) pflegst sie anständig, halten die so lange, dass du sie womöglich vererben kannst. Wenn du jetzt jammerst, dass du dir das nicht leisten kannst, dann zähle mal kurz die Rechnungen deiner letzten drei H&M-Einkäufe zusammen und überlege, ob es nicht doch gehen könnte.

Alles längst bekannt, stimmt’s? Es ist halt nur die Frage, ob man sich auch daran halten möchte. Aber das ist dann wiederum eine, die jede*r mit sich selbst und dem eigenen Gewissen ausmachen muss – und keine, die man mit der fehlenden Einheitlichkeit der Siegel rechtfertigen kann.

Dieser Text wurde zum ersten Mal am 11.5.2016 veröffentlicht und am 3.6.2020 noch einmal aktualisiert.

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