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„Dafür dürfen doch nicht die Überreste Verstorbener benutzt werden“

Foto: Rina Gechtina, Jenny Havemann, privat; Bearbeitung: jetzt

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Am Montag hat das „Zentrum für politische Schönheit“ (ZPS) in Berlin eine Säule enthüllt, in der sich angeblich Asche von Opfern des Holocaust befinden soll. Sie steht in Sichtweise des Berliner Reichstags, auf dem Gelände der ehemaligen Krolloper, in der 1933 das Ermächtigungsgesetz unterzeichnet und die Macht der Nationalsozialisten gefestigt wurde. Ziel des ZPS: Die Union davor warnen, mit der AfD zu koalieren und ihr so den Weg zur Macht zu ebnen. 

Doch über die gewollte Botschaft der „Gedenkstätte gegen den Verrat an der Demokratie“ sprach in den vergangenen Tagen kaum jemand. Stattdessen wurde harsche Kritik an der Säule mit der angeblichen Asche laut. Dem ZPS wurde Instrumentalisierung der Holocaust-Opfer und Leichenschändung vorgeworfen, der Grünen-Politiker Volker Beck stellte sogar Strafanzeige wegen Störung der Totenruhe.

Mittlerweile hat sich das ZPS für die Aktion entschuldigt, man habe die religiösen und ethischen Gefühle von Überlebenden und Nachkommen der Getöteten nicht verletzen wollen. Die Säule wird nun vorerst wieder verhüllt, eine für Samstag geplante Demo abgesagt. Wir haben mit jüdischen Menschen darüber gesprochen, was sie von der Aktion und der Reaktion des ZPS auf die Kritik halten.

„Das ist wie die HIV-Werbekampagne von Benetton, in politisch und mit toten Juden“

Eliyah Havemann, 44, ist Autor, IT-Spezialist und der Sohn des deutschen Liedermachers Wolf Biermann. Sein Großvater wurde in Auschwitz ermordet. Havemann konvertierte 2009 zum Judentum und lebt seit 2010 in Israel.

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Foto: Jenny Havemann

„Ich habe über Twitter von der Aktion mitbekommen und meine erste Reaktion war so eine Art Ekel. Wie kann man sowas machen? Ich gehe zwar nicht davon aus, dass in der Säule tatsächlich Asche von meinem Großvater ist, das ist ja statistisch beinahe unmöglich – aber allein der Gedanke, dass es sein könnte, war einfach schauderhaft. 

Die Aktion ist anmaßend, daran ändern auch der viel zu späte Abbruch am Mittwoch und die halbherzige Entschuldigung nichts. Die Opfer des Holocaust werden hier auf eine Art und Weise instrumentalisiert, die völlig ignorant ist und aus jeder Pore Selbstgerechtigkeit atmet. Das ist wie die HIV-Werbekampagne von Benetton, in politisch und mit toten Juden statt mit HIV-Infizierten. Auf meinen Tweet mit der Frage, ob sie sich Gedanken darüber gemacht haben, was Angehörige der Opfer dabei denken oder fühlen, haben sie geantwortet: ,Wir haben die Opfer der Lieblosigkeit entrissen.‘ (Das ZPS hat diesen Tweet mittlerweile gelöscht, Anm. d. Red.).

Wie bitte? Ich meine: Wart ihr schon mal in Yad Vashem? Habt ihr schon mal was vom ,Marsch der Lebenden‘ gehört? Und von all dem, was wir als Juden und Jüdinnen und als Staat Israel tun, um diesen Verbrechen zu gedenken? Was nehmt ihr euch raus?

Wenn man schon meint, im Namen der jüdischen Opfer zu sprechen, dann sollte man wenigstens unsere Sprache sprechen. Und unsere Sprache ist es nicht, Überreste oder vermeintliche Überreste an einem zentralen Platz in Berlin auszustellen. Wir gedenken der Toten, aber wir schauen dabei immer auch auf das Leben und die Überlebenden. Wir zeigen zum Beispiel auch von den Opfern des Holocaust immer Fotos, auf denen sie noch leben, und nie Bilder der Leichenberge.

Im Nachhinein ist mir noch aufgefallen, dass auf dem Banner neben der Säule ,Hier begann die letzte deutsche Diktatur’ steht. Irgendwie haben sie wohl vergessen, dass die DDR auch eine Diktatur war. Als doppelt Betroffener, dessen Großvater Opfer des Nationalsozialismus geworden ist und der als Kind die Mauer überwinden musste, um seine Familie zu sehen, fand ich das zusätzlich schockierend.

Eigentlich ist es schade, weil das ZPS ja auch schon gute Aktionen gemacht hat. Ich habe mich zum Beispiel über ,Soko Chemnitz‘ schlapp gelacht, das war echt eine gute Idee, wenn auch nicht ganz legal. Aber diese Aktion jetzt ist komplett kontraproduktiv für das, was sie eigentlich erreichen wollen – dabei teile ich das Ziel sogar. Ich lehne die AfD und jede Normalisierung in der Beziehungen zu ihr ja auch ab. Aber das ZPS wird damit leben müssen, dass es jetzt nicht mehr ernst genommen werden kann.“

„Ganz bestimmt darf nicht ausgerechnet das ZPS darüber entscheiden, wie ihnen die letzte Ehre erwiesen wird“

Avital Grinberg, 24, ist Vorstandsmitglied der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD).

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Foto: Rina Gechtina

„Als ich am Montag vor der Säule stand, bin ich sehr wütend geworden. Ich fand sie einerseits widerlich und andererseits lächerlich. Das Zentrum für politische Schönheit maßt sich an, das eine ,Gedenkstätte‘ zu nennen, obwohl es eher nach einer schlecht organisierten Kleindemo aussieht. 

Unabhängig davon, ob in der Säule tatsächlich Asche von verstorbenen Jüd*innen und anderen Opfern des Nationalsozialismus ist oder nicht, finde ich die Aktion furchtbar.

Ich weiß, dass das ZPS Menschen schocken möchte und es als politisches Kalkül nutzt, aber dafür dürfen doch nicht die Überreste Verstorbener benutzt werden, deren Lebensende ein absoluter Albtraum war! Wir stehen heute vor der großen Herausforderung, Erinnerungskultur neu zu denken, weil es nicht mehr viele Zeitzeug*innen gibt und jede Generation anders tickt. Den Versuch, die Asche zu finden, finde ich eigentlich gut – aber es kann nicht sein, dass diese instrumentalisiert wird und Jüd*innen nicht in Frieden ruhen dürfen. Und ganz bestimmt darf nicht ausgerechnet das ZPS darüber entscheiden, wie ihnen die letzte Ehre erwiesen wird. Ich bin mir zu hundert Prozent sicher, dass niemand von uns in so einer Säule landen wollen würde. Hinzu kommt, dass sie an katholische Reliquien erinnert, also Überreste von Heiligen, die auf einem Altar ausgestellt und angebetet werden – und das ist im Judentum klar verboten. 

Was mich besonders wütend gemacht hat, war ein Tweet des ZPS, in dem Stand, dass es Asche sei, ,die keinen mehr interessiert‘ (Das ZPS hat diesen Tweet mittlerweile gelöscht, Anm. d. Red.). Das ist einfach nur geschmacklos und anmaßend. Es gibt in Deutschland ein florierendes, vielfältiges jüdisches Leben. Mit solchen Aktionen werden wir stigmatisiert und ausschließlich in eine Opferrolle gedrängt.

Ich kann mir kaum vorstellen, dass sich das ZPS nicht hat denken können, welche Wellen die Aktion schlagen würde. Das neue Statement auf ihrer Homepage endet auf der Note, dass sie nicht wissen, wohin nun mit der Asche, was suggeriert, dass die Säule an sich das geringere Übel ist. Anstatt die Jüdische Community damit zu beruhigen, dass sie sich, in Absprache mit Expert*innen, darum kümmern werden, einen würdigen Ort zu finden, hat mich das nur noch mehr beunruhigt. 

Eine Aktion als Warnung an die Politik und an die Demokratie sowie eine Warnung vor der AfD sind sehr legitim, aber dafür wieder die Tote-Jüd*innen-Karte zu ziehen, ist vollkommen unangebracht. Hätte sich das ZPS im Vorfeld mit jüdischen Verbänden abgesprochen, hätte ihnen jeder einzelne davon abgeraten.“

„Was mich besonders verstört hat, ist, wie abstrakt meine toten Vorfahren behandelt werden“

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Foto: privat

Mike Samuel Delberg, 30, ist Präsidiumsmitglied des jüdischen Turn- und  Sportverbands Makkabi Deutschland und im Vorstand der CDU Moabit.

„Ehrlich gesagt konnte ich die Aktion erst mal nicht einordnen. Ich kannte das Holocaust-Mahnmal, das das ZPS neben Björn Höckes Haus aufgestellt hat, und das fand ich ganz interessant. Deswegen war ich gespannt, was sie diesmal mit ihrer Aktion aussagen wollten, und ich glaube nach wie vor, dass sie eine gute Intention hatten. Dass sie auf etwas aufmerksam machen wollten, was tatsächlich in Vergessenheit gerät: Oft wissen wir nicht, auf was für einem Boden wir laufen, aber wenn man mal in einem ehemaligen Konzentrationslager war, versteht man, dass wir wirklich vom Tod umgeben sind.

Aber ich muss auch mit Nachdruck diejenigen unterstützen, die sagen, dass die Aktion nicht bis zum Ende gedacht war. Zum einen wurde die Totenruhe gestört. Auf der anderen Seite hat das Ganze für die Nachfolgegeneration von Holocaust-Überlebenden und -Opfern eine sehr persönliche Note. Ich habe mit Freunden gesprochen, die Nachkommen in der zweiten und dritten Generation sind, und die waren schockiert. Sie haben gesagt: ,Wenn ich mir vorstelle, dass dort ein Stück meines Großvaters liegt, dann weiß ich nicht, wie ich damit umgehen soll.‘ Wenn in der Säule wirklich Asche und Knochenstücke sein sollten, hat das ZPS aus Menschen eine Sache gemacht.

Man stelle sich vor, jemand würde auf einem Berliner Friedhof Urnen ausgraben und ausstellen. Oder die Skelette der Ermordeten des Völkermords in Ruanda. Oder Überreste von Sklaven aus den ehemaligen europäischen Kolonien in Afrika. Das wäre undenkbar. Was mich an der Aktion des ZPS darum besonders verstört und gestört hat, ist, wie abstrakt meine toten Vorfahren behandelt werden. Das waren Menschen, die von den Nazis entmenschlicht wurden, und diese Entmenschlichung hat in dem ,Kunstprojekt‘ leider einen sehr schmerzhaften Höhepunkt erreicht. 

Diese Abstraktion jüdischen Lebens begegnet mir auch in meinem alltäglichen Leben. Es gibt noch immer diesen durchsichtigen Schleier, der dich anders macht, nur, weil du jüdisch bist. Wenn du dich offen jüdisch zeigst, wirst du oft zu einer Art Ausstellungsstück. Als gewählter Repräsentant kann ich damit leben und beantworte gerne die Fragen interessierter Menschen – aber wenn ich dann so eine Aktion sehe, zeigt es mir, wie abstrakt und ,unnormal‘ jüdisches Leben in Deutschland noch teilweise ist. 

Eines der selbst ausgerufenen Ziele des ZPS war eine Warnung an die Union, nicht mit der AfD zusammenzuarbeiten. Im Konrad-Adenauer-Haus sind wir alle der Meinung, dass es keine Koalition mit der AfD geben wird. Natürlich gibt es in einer großen Volkspartei verschiedene Stimmen und mit AfD-Sympathisanten bin ich definitiv nicht einer Meinung. Ich bekämpfe diese Meinungen aber nicht, indem ich die unvergleichbaren Gräueltaten des Holocausts buchstäblich ausgrabe und als eine Art ,ewige Schuld‘ anklagend vor die Nase setze. Diese Meinungen ändert man, indem man solchen Menschen den aktuellen, für uns Juden leider sehr realen Hass, greifbar und verständlich macht.

Wir sind ein ganz normaler Teil der Gesellschaft. Viele von uns wurden hier geboren, sind unser ganzes Leben lang Deutsche. Und genauso wie jeder andere Deutsche haben wir den Wunsch nach einem erfüllten und ruhigen Leben, als Teil der vielfältigen Gemeinschaft unseres Landes. Wir leben diesen Wunsch bereits – ganz erfüllt ist er jedoch noch nicht.“

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