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Warum es „die Antifa“ nicht gibt

Foto: Robert Anasch / Unsplash

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Manchmal reicht ein simpler Satz aus, um die Twitter-Community aufhorchen zu lassen. In den USA war es Trumps Äußerung, die Antifa als Terrororganisation einstufen und verbieten zu lassen. In Deutschland twitterte die SPD-Vorsitzende Saskia Esken: „58 und Antifa. Selbstverständlich.“ Und zeigte dadurch, dass sie sich selbst mit der „Antifa“ identifiziert. Einige Politiker*innen der Koalitionspartei fanden die Aussage der 58-Jährigen allerdings weniger selbstverständlich. Der CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak entgegnete auf den Tweet, er sei „gegen Faschismus & für Demokratie und Menschenrechte“. Für ihn sei das mit einem gewaltlosen Ansatz verbunden – das stehe im Gegensatz zur Antifa.

Die Vorstellungen von der Antifa sind keinesfalls einheitlich. Bereits der Blick auf öffentlich geführte Debatten auf Twitter veranschaulicht das. Und eine Gruppierung, die sich Antifa nennt und den Begriff einheitlich definiert, gibt es auch nicht. Was also ist die Antifa und gibt es überhaupt diese eindeutige Zuschreibung zu einer bestimmten Gruppe? Wer angesichts der Fragen eindeutige Antworten erwartet, wird wohl enttäuscht werden. Aber Antworten gibt es trotzdem einige.

Die Antifa ist kein Verein und potenzielle Anhänger*innen erwerben keine Mitgliedschaft

Die Rede von der Antifa ruft bei einigen die Bilder des G20-Gipfels in Hamburg im Sommer 2017 in Erinnerung: brennende Barrikaden, Flaschenwürfe, vermummte Personen und der Schwarze Block: In der Regel wird die Antifa mit diesen Bildern in Verbindung gebracht. Darauf beziehen sich Ziemiak – oder auch Trump: Der US-Präsident macht sie auch für die gewaltsamen Proteste nach dem Tod von George Floyd durch Polizisten verantwortlich. Ein internes FBI-Schreiben, das der linksliberalen Wochenzeitschrift „The Nation“ vorliegt, kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass es keine Informationen zu einer Antifa-Beteiligung oder -präsenz bei den Protesten gäbe. Auch Sicherheitsbehörden scheinen keine Klarheit darüber zu haben, wer die Antifa ist. Das macht Sinn: Die Antifa ist kein Verein und potenzielle Anhänger*innen erwerben keine Mitgliedschaft. Daher ist auch fraglich, wer dann bei einem möglichen Verbot adressiert werden soll.

Für Jugendliche ist die Selbstbezeichnung „Antifa“ oft auch Teil einer kulturellen Identität

Der Soziologe Nils Schuhmacher lehrt im Fachbereich Kriminologische Sozialforschung der Universität Hamburg. Er ist einer der wenigen Wissenschaftler*innen, der eine empirische Studie zur hiesigen Antifa-Bewegung veröffentlicht hat. Er hält die Unterscheidung zwischen Antifa-Bewegungen in den USA und Deutschland für wichtig, wie er auf Anfrage per Mail erklärt. Die Geschichte hinter der Bewegung in den USA sei vergleichsweise jung und der Begriff Antifa eher „eine Chiffre für den Kampf gegen die Symbolfigur Trump“. In Deutschland hingegen fielen unter den Begriff eine Vielzahl verschiedener Gruppen sowie ein breites Spektrum und eine lange Geschichte. „Die erste Blütezeit eines parteiunabhängigen Antifaschismus fällt in die 1970er Jahre. Hier wurde er maßgeblich getragen von kommunistischen Gruppen“, so Schuhmacher. Inzwischen hat sich einiges getan. In den 90er Jahren kam es zu einer Ausweitung der Bewegung als Reaktion auf steigende rechte Gewalt. „Seitdem hat sich das Spektrum dieser Gruppen auf der einen Seite jugendkulturell geweitet“, erklärt Schuhmacher, „zugleich ist der Grad an verbindlicher Vernetzung und Kommunikation gerade in den letzten Jahren stark gesunken.“ Für Jugendliche ist die Selbstbezeichnung „Antifa“ oft auch Teil einer kulturellen Identität.

Der Begriff „Antifa“ umfasst Schuhmacher zufolge heute selten geschlossene Gruppen, die einer klaren Struktur unterliegen. Er unterscheidet deshalb zwischen dem Handlungsfeld der Antifa und ihrer Gruppenstruktur. „In dem Handlungsfeld engagieren sich unterschiedliche Personen, Gruppen, Organisationen. Zum Beispiel, wenn gegen Veranstaltungen der extremen Rechten demonstriert wird oder wenn Menschen wegen rassistischer Gewalt auf die Straße gehen“, so Schuhmacher. Viele Antifa-Gruppen distanzieren sich innerhalb dieses Handlungsfeldes oft von einem „bürgerlichen“ Spektrum. Schuhmacher warnt allerdings davor, dadurch von der Antifa als geschlossene Einheit zu sprechen: „Antifa ist keine Organisation mit Mitgliedschaften, es gibt keine Hauptverantwortlichen, es existiert auch kein politisches Programm im engeren Sinne, auf das alle eingeschworen wären oder eingeschworen werden könnten.“

Antifa-Bewegungen wird oft vorgeworfen, destruktiv zu handeln 

Dementsprechend gestaltet sich in Deutschland die Suche nach aktiven „Antifa“-Mitgliedern ebenso schwierig wie in den USA. Im Verfassungsschutzbericht von 2018 taucht „Antifa“ als Abkürzung von „Antifaschismus“ auf. Etwa in Bezug auf eine „Antifa-Recherche“. Gemeint ist damit die Preisgabe von gesammelten Informationen zu Akteur*innen des rechten Spektrums, die „vornehmlich im Internet oder in Szenepublikationen“ veröffentlich würden. Auf jene Recherchen bezog sich auch „Das Erste“, um Hintergrundinformationen zu einer Dokumentation über den Neonazi Stephan E. zu sammeln. Der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke galt zum frühen Zeitpunkt in Antifa-Kreisen bereits als extrem gewaltbereit. Ebenfalls halfen die Recherchen bei der Aufarbeitung der Neonazi-Vergangenheit des ehemaligen AfD-Politikers Andreas Kalbitz.

Jene Veröffentlichungen, die auch von nicht-linken Medien aufgegriffen werden, ändern oft nur wenig an dem Bild der brennenden Barrikaden, das mit dem Begriff „Antifa“ unausweichlich verknüpft zu sein scheint. „Ihr Tun umfasst weit mehr – meist sogar ganz anderes – als Gewalt“, erklärt Schuhmacher, „sie werden gerne als Randgruppe des Geschehens betrachtet, gehören aber seit gut 40 Jahren zu den engagiertesten Akteur*innen der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus.“

Dennoch sehen sich Antifa-Bewegungen stets mit dem Vorwurf einer destruktiven Haltung konfrontiert. „Es wäre falsch, ‚Antifa‘ als reine Gegenbewegung zu verstehen, die auch nur ein Thema hat. Das entspricht auch gar nicht dem Selbstbild der Beteiligten, die sich als Aktivist*innen verstehen und sich für ihre Anliegen und Gesellschaftsideen engagieren“, so Schuhmacher. Auch müsse man sich von einem pauschalisierten Protestverständnis verabschieden. Denn neben Aktionen seien auch „Recherche, interne Diskussionen, Information der Öffentlichkeit und Gestaltung jugendkultureller Räume“ Teil ihres Wirkens. „Das mag man inhaltlich vielleicht nicht alles gutheißen”, führt Schuhmacher fort, ,destruktiv‘ sind sie nun aber gerade nicht.“

Gewaltausübende Antifa-Gruppen prägen oft das Bild der eigentlich viel breiteren Bewegung

Eine Vorwurf gegen die Antifa ist ihre Gewalttätigkeit. Gewalt – ob gegen Personen oder in Form von Sachbeschädigung – wird von einigen Antifa-Gruppen durchaus ausgeübt und bekommt viel öffentliche Aufmerksamkeit. Dadurch prägen gewaltausübende Antifa-Gruppen oftmals das Bild der eigentlich viel breiteren Bewegung.

Für Schuhmacher ist es wichtig, den Begriff der Gewalt hier zu spezifizieren: „Einerseits bestimmen einzelne Akteur*innen und Gruppen das Verständnis von Gewalt. Andererseits gibt es aber bestimmte ethische Grundsätze, die von der Szene mit allgemeinen Verbindlichkeitsansprüchen versehen sind.“ Einfach ausgedrückt: Bereits Sitzblockaden können von Dritten als Gewalt ausgelegt werden, sind aber mit lebensgefährlichen Angriffen nicht zu vergleichen. Entscheidend ist allerdings, dass jede gewählte Form der Gewalt – auch gegen Personen – von der Einzelperson oder Gruppierung als begründungsbedürftig gilt. „Mit diesem Hinweis legitimiert man keinesfalls diese Gewalt und bestreitet auch nicht, dass es sie gibt“, so Schuhmacher. Aber Gewalt werde in der Antifa-Szene dauerhaft und immer wieder aufs Neue an eigenen Werten und Grundsätzen abgeglichen.

Schuhmacher hält die Ursachen und die Begründung von Gewalt innerhalb der Szene für sehr komplex. Ein wesentlicher Faktor sei jedoch der historische Bezug. „Antifa bezieht sich auf die historische Erfahrung des Faschismus und die aktuelle rechte Gewalt“, sagt Schuhmacher. Für Angehörige der Bewegung sei Gewalt durch Neonazis im Alltag durchaus präsent und führe zu einem anderen Gewaltverständnis, sodass auch die Hemmschwelle sinken könne, selbst Gewalt auszuüben. So werden Gewalttaten von der einen Seite als Angriff, von der anderen als Gegenwehr bezeichnet. 

Ein prägnantes Symbol sind die schwarz-roten Fahnen

Auch wenn es also „die Antifa“ und einen Konsens über den Umgang mit Gewalt nicht gibt, so gibt es doch szenetypische Symbole, die sich als Bekenntnisse zu einer handlungsorientierten „Antifaschistischen Aktion“ interpretieren lassen. Ein prägnantes Symbol sind die schwarz-roten Fahnen. Das ursprüngliche Logo wurde von dem Bauhausschüler Max Gebhard entwickelt und diente der „Antifaschistischen Aktion“, die sich 1932 faschistischen Strömungen entgegenstellte. Heute ist das Logo ein Markenzeichen all jener Gruppen geworden, die sich der „Antifa“ zuordnen – und weit mehr bekannt als die Gruppen selbst.

Es gibt viele Antifa-Gruppen in Deutschland und alle haben ihren eigenen Fokus, politische Ausrichtung und eigene Diskussionsstandpunkte. Was sie eint, ist ihre Identifikation mit dem Begriff „Antifaschismus“. Es gibt kein Copyright und somit kann sich von SPD bis „Königlich Bayerische Antifa“ jede Einzelperson und jeder Personenzusammenschluss dieses Begriffes annehmen.

Schuhmacher schätzt die Solidaritätsbekundungen zu #wirsindAntifa hauptsächlich als Unterstützung und Rückendeckung derjenigen ein, die sich gegen die extreme Rechte und Rassismus engagieren. Er betont, dass dies „nicht gleichbedeutend mit dem Gutheißen aller Positionen und Praktiken ist, die sich unter dem Wort Antifa versammeln“. 

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