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Nordmazedonien und Albanien: Der weite Weg in die EU

Foto: privat; Bearbeitung: jetzt

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Am 31. Januar 2020 um Mitternacht schrumpfte die Europäische Union um einen Mitgliedstaat und umfasst nun nur noch 27 Länder. Während das Vereinigte Königreich die EU verlassen hat, kämpfen Albanien und Nordmazedonien seit Jahren um einen Beitritt und scheitern immer wieder. Bereits 2018 bescheinigte ihnen die EU-Kommission, dass sie alle notwendigen Reformen für den Start von Beitrittsgesprächen umgesetzt haben. Trotzdem platzte der Startschuss für die EU-Verhandlungen im Oktober 2019 zum dritten Mal.

Hintergrund war, dass Frankreich, die Niederlande und Dänemark auf dem EU-Gipfeltreffen ihr Stimmrecht nutzten, um die Aufnahme von Gesprächen mit den beiden Ländern zu blockieren. Der französische Präsident Macron äußerte öffentlich, dass vor allem Albanien wegen innenpolitischer Probleme noch nicht bereit für eine Aufnahme sei. Er forderte auch, dass die EU zuerst ihren kompletten Beitrittsprozess reformieren müsste, bevor über eine weitere Aufnahme überhaupt nachgedacht werden könne.

Diese Entscheidung stieß europaweit auf viel Kritik. Der ehemalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sprach von einem „schweren historischen Fehler’’. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel bedauerte, dass es nicht zu einer Einigung kam. Sie kündigte an, das Thema erneut auf dem EU-Westbalkangipfel in Zagreb im Mai 2020 debattieren zu wollen.

Aber was bedeuten die verschobenen Beitrittsgespräche für junge Menschen in Albanien und Nordmazedonien? 

„Für mich war das Votum von Frankreich, der Niederlande und Dänemark nachvollziehbar“

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Foto: privat

Jenni, 26, Business-Analystin, wohnt in Skopje, Nordmazedonien

„Ich habe albanische Wurzeln, meine Familie lebt aber seit Generationen in Mazedonien. Das einzige, was mich hier wirklich stört, ist die politische Situation. Die mazedonische Regierung ist sehr korrupt, es gibt viel Geldwäsche, man kann niemandem in der Politik vertrauen. Die Politiker tun einfach nichts für uns Bürger. Ich gehe nie wählen und bin gegen jede politische Partei, weil sie alle zusammenarbeiten. Mein privates Umfeld teilt meine Einstellung und wir sprechen offen darüber, auch wenn es natürlich ein sensibles Thema ist.

Deshalb denke ich, dass wir jetzt noch nicht für einen EU-Beitritt bereit sind. Für mich war das Votum von Frankreich, der Niederlande und Dänemark nachvollziehbar, auch mögliche Beitrittsverhandlungen im Frühjahr sehe ich skeptisch. Dennoch hoffe ich, dass wir mittelfristig der EU beitreten können, da sich natürlich vieles für uns Mazedonier verbessern würde. Die wirtschaftlichen Transaktionen zwischen der EU und Mazedonien würden beispielsweise leichter werden. Außerdem bräuchten wir kein Arbeitsvisum für EU-Länder mehr. 

Momentan weiß ich selbst nicht genau, wie wir die politische Situation hier zum Positiven verändern können. Mich selbst in der Politik zu engagieren, kommt für mich nicht infrage. Ich interessiere mich einfach zu wenig dafür und außerdem will ich nicht von Leuten gehasst werden. Mein politisches Engagement wäre wahrscheinlich sowieso nicht erfolgreich, da es momentan nur alte Menschen in der Politik gibt, die Jugend spielt darin keine Rolle. Der einzige Politiker, den ich persönlich kenne, ist Stevo Pendarovski – mein ehemaliger Universitätsdozent und jetziger Präsident von Mazedonien. Ich habe aber schon lange keinen Kontakt mehr zu ihm.

Meine Eltern und Großeltern sprechen manchmal über Jugoslawien und wünschen sich diese Zeit zurück. Ich denke auch, dass damals vieles besser war. In Jugoslawien war alles stark reguliert, die Gesetze haben besser funktioniert. Es gab keine Grenzen und wir waren auch der EU näher. Natürlich war auch in Jugoslawien nicht alles perfekt, ich kann aber nur darüber berichten was mir meine Familie erzählt hat. Ich bin 1993 geboren, ein Jahr zuvor zerfiel der Staat. Müsste ich mich zwischen einem Beitritt zur EU oder eine Reunion von Jugoslawien entscheiden, würde ich aber definitiv die EU wählen. Da hätten wir nämlich mehr Rechte und könnten innerhalb der EU leben, wo auch immer wir wollten.“

„Wenn man uns als Einheit sieht, hält das auch Mazedonien zurück“

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Foto: privat

Igor, 34, Journalist aus Štip, Nordmazedonien 

„Ich bin politisch aktiv, aber nicht Teil einer politischen Partei, da ich das als Journalist nicht will. Denke ich an Politik in Mazedonien, fallen mir Korruption, Zweifel, Krise und Lügen ein. Seit fünf oder sechs Jahren haben wir hier eine politische Krise. Die Regierung vor der jetzigen war ebenfalls sehr korrupt, irgendwie werden wir das nicht los. Ich bin eigentlich immer wählen gegangen, aber dieses Jahr werde ich es nicht mehr tun, weil ich von der Politik enttäuscht bin. Auch wenn junge Menschen sich in Parteien engagieren, wollen sie ihre eigene Karriere vorantreiben oder sind einfach froh, einen Job zu haben. Sie interessieren sich nicht für Politik, vielleicht für ein besseres Leben. 

Von Macrons Entscheidung bin ich sehr enttäuscht, da ich wirklich dachte, dass die Verhandlungen endlich beginnen können, da wir alle Kriterien erfüllen. Wenn es bestimmte Kriterien für den EU-Beitritt gibt, kann doch nicht der Wille einer einzigen Person überwiegen, oder? Dänemark und die Niederlande haben zwar auch gegen uns gestimmt, aber Macron hat sich mehrfach öffentlich gegen uns geäußert.

Als Land haben wir uns sehr bemüht, aber trotzdem bekommen wir kein Datum für den Start einer Verhandlung mit der EU. Wir haben sogar unseren konstitutionellen Namen von Mazedonien in Nordmazedonien geändert, um den jahrelangen Namensstreit mit der griechischen Region Makedonien zu beenden. Das war eine große Sache für uns und kostete sehr viel Geld. Wir mussten alle Geldscheine einsammeln und neue drucken. In unserer Universität mussten wir alle Abschlusszeugnisse einsammeln und erneuern. Das kostet viel Energie, Ressourcen und Emotionen. Es zeigt aber auch, wie viel wir eigentlich bereit sind zu geben, um ein Teil der EU zu werden.

„Ich glaube meinen Eltern gar nichts, was sie über Jugoslawien erzählen“

Im bestmöglichen Szenario treten wir in zehn Jahren der EU bei. Ich fände es besser, wenn wir die Beitrittsverhandlungen nicht zusammen mit Albanien starten würden, wir sollten als separate Länder gesehen werden, weil wir das ja auch sind. Außerdem denke ich, dass wir Albanien weit voraus sind und wenn man uns als Einheit sieht, hält das auch Mazedonien zurück. 

Ich denke aber auch, dass ein EU-Beitritt für unsere Probleme eine Hoffnung ist, aber keine komplette Lösung. Bei einem Beitritt würde sich unser Leben nicht dramatisch verändern, wir müssen das schon selbst hinbekommen. Ich bin der Meinung, dass wir vor allem Einwanderung in unserem Land brauchen, wir müssen Menschen einführen, da uns die Leute in Mazedonien ausgehen. In unserer Universität nimmt die Zahl der Studenten ab. Vor zehn Jahren hatten wir in unserem Journalismus-Programm noch 65 Studenten und jetzt sind es nur noch drei.

Viele Menschen wollen mittlerweile eine Wiederbelebung des Staates Jugoslawien. Das überrascht mich. Ich bin überhaupt kein Befürworter und glaube meinen Eltern gar nichts, was sie über Jugoslawien erzählen. Es war eigentlich alles nur Propaganda. Trotzdem denken auch viele meiner Freunde, dass es in Jugoslawien besser war. Wir streiten dann viel darüber.“

„Ein Beitritt würde für Albanien vieles zum Positiven verändern“

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Foto: privat

Joan, 25, Leiter des Jugendzentrums aus Korça, Albanien

„Ich bin vor zwei Jahren nach meinem Studium in meine Heimatstadt Korça zurückgekehrt und lebe seitdem wieder bei meinen Eltern, um ein  bisschen Geld sparen zu können. Ich leite das Jugendzentrum und bin politischer Berater unserer Gemeinde. Ich bin Mitglied in der Sozialistischen Partei Albaniens geworden und politisch sehr aktiv. 

Die Entscheidung von Frankreich, Dänemark und die Niederlande empfand ich als sehr enttäuschend, ich dachte wirklich, dass die Gespräche über Beitrittsverhandlungen starten würden. Ich kann Macrons öffentliche Erklärung nicht nachvollziehen und ich denke, dass er grundsätzlich gegen den Beitritt von Albanien, Mazedonien oder auch Serbien ist. Macron wird sich bestimmt irgendetwas einfallen lassen, damit auch die Beitrittsverhandlungen im Frühjahr platzen. Trotzdem versuche ich, positiv zu bleiben, da beispielsweise Angela Merkel für einen Beitritt von Albanien und Mazedonien gestimmt hat. Ich verstehe einfach nicht, warum die EU nicht alle Balkanländer aufnimmt, Rumänien und Bulgarien sind doch auch schon dabei. 

Grundsätzlich glaube ich, dass die Europäische Union das beste ist, was Europa hätte passieren können. Ein Beitritt würde für Albanien vieles zum Positiven verändern. Die Albaner wären dann bestimmt auch offener dafür, ihr Land zu verlassen und in anderen europäischen Länder zu arbeiten. Vielleicht kommen dann auch mehr EU-Bürger nach Albanien, das wäre also für beide Seiten ein Gewinn. 

„Besonders die jungen Albaner halten es für falsch, sich in eine Partei einzubringen“

Was mich in Albanien aber wirklich stört, ist die Tatsache, dass sich die meisten Menschen immer nur über die Politik beschweren, aber sich selbst nicht aktiv einbringen wollen. Ich versuche in meiner Arbeit alle jungen Menschen zu unterstützen, die Teil einer politischen Partei werden wollen und zwar egal welcher. Aber besonders die jungen Albaner halten es für falsch, sich in eine Partei einzubringen. Die meisten fürchten, dass sie nicht richtig repräsentiert werden und dann ins öffentliche Kreuzfeuer geraten könnten. Ich persönlich schäme mich nicht dafür, politisch aktiv zu sein. Es braucht mehr junge Menschen mit neuen Ideen.

Ich würde es sehr unterstützen, wenn wir uns in Albanien stärker mit unseren Nachbarländern verbinden würden, um vor allem gemeinsam das Wirtschaftswachstum zu fördern. Ich denke dabei aber nicht an ein zweites Jugoslawien, das hatten unsere Nachbarländer ja schon und es ist letztlich gescheitert. Ich würde eher eine ganz neue Union befürworten, bei der man erst herausfinden muss, ob sie gut oder schlecht funktioniert.“

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