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„Die Politik muss ihre Hand schützend über Auszubildende und Studierende halten“

Foto: suschaa / photocase.de; Bearbeitung: jetzt

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Die Corona-Krise trifft die gesamte Gesellschaft. Doch gerade Jüngere könnten besonders hart unter den Folgen leiden. Ihre Jobs sind schneller kündbar, ihre ohnehin eher niedrigen Gehälter sind bei Kurzarbeit noch einmal niedriger. Und gleichzeitig werden sie gerade vielerorts besonders gebraucht. Ein Gespräch mit Julia Böhnke, 32, Bundesjugendsekretärin bei der Gewerkschaft Verdi, darüber, was jüngere Beschäftigte in der Krise ertragen müssen – und wie man trotzdem seine Rechte einfordern kann.

jetzt: Frau Böhnke, sind Jüngere von der Corona-Krise wirtschaftlich stärker betroffen als Ältere?

Julia Böhnke: Einen Wettbewerb ums größte Leid finde ich nicht zielführend. Was aber stimmt, ist: Jüngere Menschen arbeiten überdurchschnittlich oft in befristeten Beschäftigungsverhältnissen. Bei den Unter-30-Jährigen sind es 41 Prozent. Ihre Sorgen sind nun groß, dass die Befristung ausläuft und nicht verlängert wird. Viele bangen um ihre Existenz. Hinzu kommt: Wer seinen ersten Job beginnt, fängt meist in den unteren Lohngruppen an. Da haut es umso mehr rein, wenn man jetzt Arbeitslosengeld oder Kurzarbeitergeld bekommt. Das ohnehin schon wenige Geld wird dann noch weniger.

Welche Menschen sind besonders betroffen?

Auch unter den Jüngeren gibt es Unterschiede. Beschäftigte im Einzelhandel und Gesundheitswesen haben gerade einen deutlich erhöhten Arbeitsdruck. Das ist sehr belastend. Genauso gibt es viele Jüngere, die gerade anfangen wollten mit ihrem ersten Job. Diese Menschen bekommen nun von manchen Arbeitgebern zu hören, dass fast unterschriebene Arbeitsverträge wieder zurückgenommen werden.

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Foto: Simone M. Neumann

Wenn Firmen so etwas tun, begründen sie das nun mit Corona. Muss man das immer gelten lassen?

Wenn der Arbeitgeber dazu auffordert, jetzt die Urlaubstage zu nehmen, weil es nichts zu tun gibt, dann kann man sich auf das Arbeitsrecht berufen: Man muss keinen Urlaub nehmen. Aber man sollte abwägen und betrachten, in welcher Lage sich der Arbeitgeber befindet. Jedenfalls empfehle ich, sich nicht als Individuum aufzulehnen, sondern sich möglichst an seinen Personalrat oder Betriebsrat zu wenden, weil der bei den Urlaubsgrundsätzen auch mitzureden hat. Wir werden an vielen Stellen Einschnitte sehen: Zum Beispiel, dass man am ersten Arbeitstag des Berufseinstiegs direkt in Kurzarbeit gehen muss – das kann jetzt durchaus passieren.

Und wenn man rausgeworfen wird?

Wenn man einen Arbeitsvertrag unterschrieben hat, dann können die Arbeitgeber nicht sagen: „Wir haben Corona, der Vertrag gilt nicht mehr!“ Geschlossene Arbeitsverträge behalten ihre Gültigkeit, jedoch sind neu abgeschlossene Verträge in der Probezeit von beiden Seiten ohne Angaben von Gründen kündbar.

Menschen, die weiterhin zur Arbeit gehen können, fühlen sich oft an ihrem Arbeitsplatz vor dem Virus nicht geschützt. Was kann man tun, wenn einem das Risiko zu hoch ist?

Wenn ich einen Arbeitsvertrag habe, bin ich auch in dieser schwierigen Situation in der Pflicht, meine Arbeit anzutreten. Der Arbeitgeber hat wiederum die Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Infektionsgefahr am Arbeitsplatz vermindert wird. Wichtig kann zum Beispiel sein, dass Desinfektionsmittel da ist. Dass die zwei Meter Abstand eingehalten werden – und sei es dadurch, dass man nur alle zwei oder drei Tische im Büro besetzt.

Was, wenn das nicht der Fall ist?

Wenn es einen Betriebsrat gibt, würde ich zu diesem gehen und ihn darum bitten, mit dem Arbeitgeber zu sprechen. Wenn es keinen Betriebsrat gibt, ist es gut, mit dem Betriebsarzt über die Sorgen und den Arbeitsschutz zu sprechen und ihn mit in die Vermittlung mit dem Arbeitgeber einzubeziehen.

Viele junge Menschen sind gerade in einer Lebensphase, in der sie sich bewerben, etwa weil sie mit dem Studium fertig sind. Aber wer stellt jetzt schon noch neue Leute ein?

Noch liegt der Arbeitsmarkt nicht brach wie in einigen anderen Ländern. Ich empfehle deshalb, dass man sich auf freie Stellen bewirbt, wie man es ohnehin machen würde. Es gibt ja Branchen, die weiterhin unter Fachkräftemangel leiden: zum Beispiel das Gesundheitswesen. Genauso ist es mit anderen Phasen im Berufsleben, die derzeit zu Ende gehen: Wenn man in einer Ausbildung ist und schon jetzt weiß, dass man wahrscheinlich nicht übernommen wird, sollte man sich rechtzeitig bei der Arbeitsagentur melden.

„Wir könnten später einen Fachkräftemangel bekommen – verursacht durch Menschen, die ihr Studium und ihre Pflichtpraktika nicht abschließen konnten“

Was ist mit denen, die fast mit dem Studium fertig sind? Sollte man noch ein Semester dranhängen, um nicht auf den angespannten Arbeitsmarkt zu kommen?

Wer es sich finanziell leisten kann und unter der Regelstudienzeit liegt, kann das als persönliche Entscheidung für sich treffen. Aber allgemein ist es kein guter Rat. Die meisten Studierenden finanzieren sich über Nebenjobs, die sie zur Zeit nicht ausüben können, zum Beispiel als Kellnerin im Café. Die Situation ist bei Studierenden noch einmal besonders schwierig, weil nur sehr wenige Anspruch auf Bafög haben.

Wäre es dann nicht empfehlenswert, genau jetzt als Erntehelferin oder als Kassierer zu arbeiten, wo Leute gebraucht werden?

Das würde ich nicht allgemein empfehlen. Sicher, es gibt nun mancherorts Bedarf, zum Beispiel an Aushilfen im Supermarkt. Und wenn sich Menschen auf diese Jobs bewerben möchten, dann sollten wir als Gesellschaft dafür dankbar sein. Aber auch in solch einer Krisensituation sollte man das tun, wofür man qualifiziert und ausgebildet ist. Das halte ich für sinnvoller.

Was ist mit Menschen, die im Moment ein Praktikum machen und um die sich nun kaum jemand kümmern kann?

Wir befinden uns in einer noch nie dagewesenen Situation. Umso wichtiger ist es, dass alle in den Betrieben fair miteinander umgehen und möglichst gemeinsam Lösungen für aufkommende Probleme finden. Grundsätzlich sollte das Lernen wo es geht und so gut es geht fortgesetzt werden. Dazu kann neben der Berufsausbildung und dem Studium auch ein Praktikum zählen. Viele könnten nun sagen: „Haben wir nicht größere Sorgen als ein paar Menschen in einem Praktikum?“ Aber so eine Haltung könnte sich rächen, weil wir dann später einen Fachkräftemangel bekommen könnten – verursacht durch Menschen, die ihr Studium und ihre Pflichtpraktika nicht abschließen konnten. Der Berufseinstieg verzögert sich. Und die Lage wird noch angespannter.

„Ketten-Befristungen gehören abgeschafft. Damit schafft man Arbeitnehmer zweiter Klasse, die durch die Krisensituation noch einmal stärker betroffen sind“

Glauben Sie, dass Deutschland eine neue Welle der Jugendarbeitslosigkeit bevorsteht?

Das kommt darauf an, wie der Sozialstaat auf die Krise reagiert. 2008 bis 2013, nach der Finanzkrise, hatten wir einen starken Anstieg in der Jugendarbeitslosigkeit, in Deutschland und vor allem in vielen südeuropäischen Ländern. Die Folgen der Corona-Krise lassen sich zum heutigen Zeitpunkt noch nicht abschätzen. Gerade deswegen muss nun politisch gegengesteuert werden.

Wie soll das gelingen?

Ketten-Befristungen gehören abgeschafft. Denn damit schafft man Arbeitnehmer zweiter Klasse, die durch die Krisensituation noch einmal stärker betroffen sind. Ich wünsche mir natürlich auch eine Sicherung der Arbeitsplätze für Jüngere.

Warum muss man die Jüngeren besonders schützen?

Für junge Beschäftigte ist die Aufstockung des Kurzarbeitergeldes auf 90 Prozent vom Netto-Gehalt besonders wichtig. Sie befinden sich häufig noch in unteren Gehaltsstufen und sind von einer Reduzierung besonders hart getroffen. Zum Teil gibt es aber auch Schutzregelungen: Auszubildende sind sechs Wochen lang von Kurzarbeit ausgenommen. Das ist enorm wichtig: Im Schnitt bekommt man von als Ausbildungsvergütung etwas über 800 Euro. Wenn man davon die Sozialabgaben abzieht, und davon eben nur noch 60 Prozent übrig hat – dann kann davon niemand leben. Es ist außerdem notwendig, dass Auszubildende ihre Ausbildung erfolgreich abschließen können. Die Politik muss ihre Hand schützend über Auszubildende und Studierende halten. Dafür wäre es gut, wenn auch Studierende mit einem Nebenjob, den sie nun nicht mehr machen können, unbürokratisch Hilfen wie elternunabhängiges Bafög bekommen können. Bisher ist das nicht möglich. Genauso hilfreich wäre es, wenn man die bereits gezahlten Studiengebühren zurückerstattet bekommt. Die Unis sind ohnehin geschlossen.

Gibt es Branchen, die aus der Krise verstärkt hervorgehen werden und auf die man jetzt setzen sollte?

Es gab schon vor der Corona-Krise einen Fachkräftemangel im Gesundheitswesen. Erst kurz vor Corona wurde diskutiert, ob nicht noch mehr Krankenhäuser geschlossen werden. Die jetzige Krise zeigt uns, dass wir ein gut ausgestattetes Gesundheitswesen brauchen. Und zwar mit Beschäftigten, die nicht ins Burnout getrieben werden, weil man so unterbesetzt ist. Ich hoffe, das prägt sich auch nach der Krise ins Bewusstsein ein.

Was macht Ihnen Hoffnung?

Man sagt heute immer: „Bleib gesund.“ Als Gewerkschafterin sage ich: „Bleib gesund und solidarisch.“ Ich nehme sehr viel Solidarität wahr in der Gesellschaft. Man hilft einander in der Krise. Und ich hoffe, dass sich diese Solidarität in unserem kollektives Gedächtnis halten wird.

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