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„Diese Worte sollten genug sein, um diejenigen aufzuwecken, die Entscheidungen treffen“

Foto: twitter / @ErikMarquardt / Elias Marcou / Reuters

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705 Abgeordnete sitzen im EU-Parlament. Sie halten Reden, diskutieren in Ausschüssen und stimmen über die Zukunft unseres Staatenbundes ab. Am Donnerstag kam jedoch in Brüssel jemand zu Wort, der nicht auf der offiziellen Redner*innenliste des Tages stand: Sabi, ein Geflüchteter aus Afghanistan, der sich auf der griechischen Insel Lesbos befindet. Er war nicht mal eben in die belgische Hauptstadt geflogen worden, sondern seine Stimme ertönte aus einem Handy, das Erik Marquardts Kollegin Terry Reintke ans Redner*innen-Mikro im Plenarsaal hielt. Marquardt hatte dafür auf seine Redezeit verzichtet.

Er befindet sich momentan selbst auch auf Lesbos und hatte von dort aus organisiert, dass das Statement des geflüchteten Afghanen im Parlament zu hören war. Später teilte er auch ein Video von Sabis Rede auf Twitter, ergänzt durch Fotos und Videos, die die Situation der Menschen auf Lesbos illustrieren.

Nur etwa eine Minute lang erzählt Sabi auf Englisch von der Situation vor Ort, schildert seine Eindrücke, teilt seine Ängste. „Wenn du glaubst, dass die Geflüchteten hier nicht leiden, dann versuche bitte, mit deiner eigenen Familie, mit deinen Liebsten hierherzukommen, mit einem Gummiboot über das Meer zu fahren“, hört man Sabi mit ruhiger Stimme sagen. „Versuche, ohne genügend Nahrung, Wasser und ohne einen Unterstand zu haben.“

An dieser Stelle unterbrach Katarina Barley die voraufgezeichnete Rede – die deutsche SPD-Politikerin ist momentan Vizepräsidentin des EU-Parlaments und in dieser Funktion dafür zuständig, dass die Tagesordnung und die Gesprächsregeln des Gremiums beachtet werden. Man sei hier, damit die Mitglieder des Parlaments sprechen könnten, so Barley. „Es können nicht andere Menschen in unserem Namen sprechen.“ Wenn man damit anfange, würden 450 Millionen Menschen dort persönlich vorsprechen wollen. „Es tut mir Leid“, sagte Barley entschuldigend.

Den Geflüchteten eine Stimme zu geben, ist gerade das Anliegen von vielen

Allerdings erlaubte die Vizepräsidentin, dass Sabis Statement weiter von Terry Reintke vorgelesen wurde. Die Geflüchteten hätten geglaubt, dass die Menschenrechte in der EU respektiert werden würden, trug die Politikerin Terry Reintke weiter vor. Sie seien nicht nur eine Last, könnten arbeiten und wüssten, wie man Hilfe anbietet. „Ich weiß nicht, was ich sonst noch sagen kann, denn diese Worte sollten genug sein, um diejenigen aufzuwecken, die Entscheidungen treffen“, zitiert sie Sabi. 

Den Geflüchteten eine Stimme zu geben, ist momentan ein Anliegen von vielen, die sich für die Menschen an den Grenzen der EU einsetzen. Zum einen, weil die Geflüchteten keine eigene gewählte politische Vertretung haben, die ihre Interessen vertreten. Zum anderen, weil es einen anderen Effekt auf Menschen hat, wenn sie eine Erzählung aus erster Hand hören, statt etwa eine etwas abstraktere Beschreibung von Journalist*innen. 

Erst am vergangenen Mittwochabend hat sich das auch in den viel diskutierten 15 Minuten freier Sendezeit von Joko und Klaas gezeigt, die die beiden gegen ProSieben gewonnen hatten. In „A Short Story of Moria“ schildert ein Migrant names Milad Ebrahim, unter welch schlimmen Bedingungen er auf dem Mittelmeer nach Europa kam und welch unwürdige Zustände er antraf. Die Mini-Doku schockierte die Menschen, auf Twitter trendete das dazugehörige Hashtag den gesamten Donnerstag.

Nach offiziellen Angaben sind bis Freitag mehr als 5000 Migranten in das Not-Zeltlager von Kara Tepe auf der griechischen Insel Lesbos gezogen. Viele der 13 000 obdachlosen Schutzsuchenden hatten gezögert, sich dorthin zu begeben, weil sie befürchten, dort eingesperrt zu werden. Am Mittwoch kündigte die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Ansprache zur Lage und Zukunft des Staatenbundes an, dass die Kommission in der nächsten Woche einen Vorschlag für die sogenannte europäische Asyllösung vorlegen werde. Was der beinhaltet, weiß man noch nicht, von der Leyen deutete einen Kompromiss an.

mpu

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