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Drei Generationen über Ostdeutschland

Katharina, Heidelore und Indira leben in Berlin, Brandenburg und Sachsen.
Foto: Privat

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In dieser Kolumne geht es um ein Thema, das eine Familie verbindet. Drei Generationen – drei Perspektiven. Eine Kolumne über rote Fäden.

Katharina, ihre Mutter Indira und ihre Großmutter Heidelore sind in Ostdeutschland geboren und aufgewachsen. Sie sprechen darüber, welche Rolle die DDR heute noch für ihre Identität spielt – und ob sie sich als politisch wahrnehmen.

Es antworten:

Katharina, 21, wurde in Eisenhüttenstadt geboren und ist in Brandenburg und Sachsen aufgewachsen. Nach dem Abitur zog sie nach Berlin und studiert dort Politikwissenschaft.  

Indira, 51, ist in Eisenhüttenstadt geboren und aufgewachsen. Die Wende erlebte sie damals als 17-Jährige. Heute arbeitet sie als Sachbearbeiterin und lebt in der Nähe von Meißen.

Heidelore, 81, ist in Sachsen-Anhalt geboren und lebt in Eisenhüttenstadt. Sie bekam vier Töchter und arbeitete in einer Großküche des EKO-Stahlwerks. Jetzt ist sie in Rente. Den Westen des Landes hat sie bis heute nie besucht.

Identifizierst du dich als ostdeutsch?

Katharina: Ich bin im wiedervereinten Deutschland aufgewachsen. Trotzdem würde ich sagen, dass „ostdeutsch“ auf mich zutrifft. Meine Freunde in Berlin sind alle westdeutsch sozialisiert. Da merke ich schon, dass wir unterschiedliche Familienerzählungen haben.

Indira: Wir haben in einem anderen Land gelebt, das es heute nicht mehr gibt. Das Leben und das System waren ganz anders. Das prägt einen Menschen.

Heidelore: Ja klar, wir sind ja im Osten geboren, dann fühlen wir uns auch so.

Wirst du mit deiner ostdeutschen Herkunft häufig konfrontiert?

Katharina: Manchmal vergleiche ich wie meine Freunde und ich auf das Berufsleben vorbereitet wurden. Diejenigen, die in westdeutschen Bundesländern zur Schule gegangen sind, haben viel mehr gelernt, wie wichtig es ist, sich zu präsentieren. Das nach außen zu tragen, was man zu bieten hat. Das wurde mir so nie vermittelt. 

Indira: Auf Dienstreisen hatte ich direkt viel Kontakt mit Westdeutschen. Es kam mir oft so vor, als wären Ostdeutsche in meiner Generation authentischer. Wenn wir etwas nicht wissen, dann tun wir nicht so als ob. Diese Erfahrung habe ich mit Westdeutschen damals nicht gemacht. Ich will aber auch nicht in Stereotypen denken. Das ist nur etwas, was ich bemerkt habe.

Heidelore: Ich bin noch keinem begegnet, der aus dem Westen kommt. Wir haben auch keine westdeutschen Verwandten.

Sollte man überhaupt noch über die Unterschiede von Osten und Westen sprechen?

Katharina: In einer idealen Welt nicht. Aber man sollte unterschiedliche Erfahrungen sichtbar machen. Es gibt heute noch große Repräsentationsprobleme. In der Justiz und der Politik sind leider nicht genug Ostdeutsche ihrem Bevölkerungsanteil entsprechend vertreten.  Außredem sieht man Unterschiede, wenn man sich das Rentenniveau oder die Einkommen anschaut.

Indira: Nach mehr als 30 Jahren sollte es so nicht mehr sein. Trotzdem gibt es Menschen, die nicht anerkennen wollen, dass wir einen völligen Systemwechsel erlebt haben. Ich höre heute noch die Meinung, wir im Osten sollten aufhören zu jammern. Es geht nicht darum, wer mehr Geld bekommen hat. Es geht darum anzuerkennen, was die Wende für einzelne Generationen bedeutet hat.

Heidelore: Ich finde nicht. Wir sind jetzt ein Volk. Dieses „Ost und West“ bringt die Menschen nur durcheinander. Ich kenne auch viele alte Leute, die sich den Osten zurückwünschen. Weil es damals einfacher war, und ruhiger.

Was verbindest du mit der Wende?

Katharina: Ich habe die Wende durch meine Eltern vor allem mit der Chance auf einen neuen Beruf und die Reisefreiheit verbunden. Sie waren damals überall, in Sri Lanka und Mexiko. Das hat sich geändert, als ich gelernt habe, dass durch die Wende sehr viele Ostdeutsche arbeitslos wurden und Menschen Schwierigkeiten hatten, überhaupt wirtschaftlich wieder Fuß zu fassen. Dadurch sehe ich das Ganze mittlerweile ambivalenter.

Indira: Ich erinnere mich, wie unsere Familie vorm Fernseher saß. Wir haben die Rede des damaligen Außenministers Genscher gesehen, wie er Campierenden in Prag die Ausreise erlaubt hat. Bei uns zuhause hat in diesem Moment keiner ein Wort rausbekommen. Wir konnten es alle gar nicht fassen. Meine Lehre war hinfällig geworden und ich musste mir einen neuen Beruf suchen. Meine Eltern habe ich zu der Zeit ein bisschen aus den Augen verloren, jeder war so sehr mit sich selbst beschäftigt.

Im September 1989 besetzten tausende DDR-Flüchtlinge die BRD-Botschaft in Prag. Sie hofften, von hier aus in die Bundesrepublik einreisen zu dürfen. Die Situation setzte die DDR-Führung innenpolitisch unter Druck, sodass sie die Ausreise über Prag erlaubte. Mit seiner Rede auf dem Balkon der Botschaft ging BRD-Außenminister Hans-Dietrich Genscher in die Geschichte ein – denn damit wurde die Mauer so gut wie überflüssig.

Heidelore: Zur Zeit der Wende habe ich in der Großküche vom Eko Stahlwerk hier in Eisenhüttenstadt gearbeitet. Das Werk wurde übernommen und die Arbeitsplätze erst gesichert. Irgendwann gab es aber Entlassungen und ich war gezwungen, in Kurzarbeit zu gehen. In den Westteil bin ich bis heute nie gefahren. Ich kenne da ja niemanden. Was soll ich dann da?

Inwiefern findet in deinem Leben Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit statt?

Katharina: Wir haben die DDR-Vergangenheit im Geschichtsunterricht relativ kritisch diskutiert. Auch im Studium und privat habe ich mich viel damit auseinandergesetzt. Ich habe ehemalige Gefängnisse besucht und Zeitzeugeninterviews von Menschen gesehen, die unter dem DDR-Staat gelitten haben.  

Indira: Richtige Aufarbeitung hat bei mir erst mit Katharina angefangen. Wir haben zusammen die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen besucht. Das war das erste Mal, dass ich mich mit der Stasi richtig befasst habe. Wir Ostdeutschen reden untereinander zu wenig darüber, was wir erlebt haben. Ich musste mich an eine Situation erinnern, als ein fremder Mann im Trenchcoat bei meiner Familie zu Hause aufgetaucht ist. Das war ein Stasi-Mitarbeiter, oder? Wir haben nie darüber gesprochen.

Heidelore: Nein, das war keine Stasi. Also weiß ich nicht. Da hatte ich von einer Arbeitskollegin eine Tagesdecke gekauft und die hatte die wiederum auch von einer Kollegin gekauft. Hehlerware aus dem Westen vermutlich. Ich habe mir nie einen Kopf darüber gemacht. Das mache ich bis heute nicht. Nach der Wende haben wir mit Kollegen oder Nachbarn nie darüber gesprochen.

Wie hat deine Herkunft deine Jugend geprägt?

Katharina: Die Frage, ob wir aus Ostdeutschland weggehen, oder bleiben hat uns in der Schulzeit beschäftigt. Es gab die Erzählung, dass es hier keine Perspektive für uns gibt. Wir haben uns mit Musikern wie Kraftklub identifiziert, die aus dem Osten kamen. Die greifen gut dieses Gefühl der Nachwendegeneration auf: Dass wir immer ein bisschen zwischen zwei Welten leben. Wir bekommen noch Auswüchse der Entwicklungen von früher mit, wie zum Beispiel die Perspektivlosigkeit im Osten. Gleichzeitig wollen wir uns aber auch von diesen Erzählungen frei machen und etwas Neues schaffen.

Indira: Meine Jugend war schon viel freier als die meiner älteren Schwestern. Wir haben West-Fernsehen geguckt und sind in Diskotheken gegangen. In der Schule war es möglich mit den Staatsbürgerkundelehrern zu diskutieren. Ab einem gewissen Punkt war aber auch Schluss. Das Wort Demokratie wurde uns gar nicht erklärt.

Heidelore:  Meine Familie hatte eine kleine Landwirtschaft mit Schafen und Gänsen. Ich bin zur Schule gegangen und habe nachmittags die Tiere gehütet. Während andere Kinder auf den Rummel gegangen sind, haben wir auf dem Feld Rüben gezogen. Es war trotzdem eine schöne Zeit.

Wie schaust du auf deine Heimat?

Katharina: Wenn ich heute mit Freunden durch Dresden laufe, können wir uns richtig gut vorstellen, vielleicht doch mal da zu leben. Dieser Blick ist erst dadurch gekommen, dass wir alle weggezogen sind. Ich habe aber auch noch nicht genug anderes gesehen, um das jetzt zu entscheiden.

Indira: Wir sind bewusst von Brandenburg nach Sachsen umgezogen, weil wir dort keine Perspektive mehr für unsere Kinder gesehen haben. Ich weiß nicht, ob man sagen kann, dass wir nur wegen Ostdeutschland in Ostdeutschland bleiben wollten. Aber hier ist eben unsere Familie.

Heidelore: Mein Mann und ich haben nie darüber nachgedacht, von hier wegzugehen. Erst mal kannte ich den Westen überhaupt nicht. Ich wäre vielleicht auch dort klargekommen, aber wir hatten keinen Grund zu gehen. Wir hatten hier ja alles.  

Inwieweit ist die Wiedervereinigung gelungen?

Katharina: Allein der Mauerfall und die Tatsache, dass Menschen deshalb nicht mehr politisch verfolgt werden, ist natürlich ein großer Gewinn. Es muss trotzdem noch viel aufgearbeitet werden. Auch aus migrantischen Perspektiven zum Beispiel.

Heidelore: Ich habe nicht viel zu meckern. Ich bin zufrieden, wie es ist.

Bist du politisch aktiv?

Katharina: Ich arbeite für die Initiative „Wir sind der Osten“, die sich für mehr Sichtbarkeit von Menschen in Ostdeutschland einsetzt. Und ich finde es wichtig, zu Demonstrationen zu gehen. Ich habe ein komplett anderes Verständnis vom Demonstrieren als meine Eltern oder meine Oma. Ich habe kein schlechtes Gefühl dabei.

Indira: In Dresden haben wir schon mal gegen Pegida demonstriert, aber ich glaube, ich bin da sehr ostdeutsch sozialisiert. Demonstrieren ist bei mir immer ein bisschen mit Zwang behaftet. Ich engagiere mich, aber politisch ist das nicht unbedingt.

Heidelore: Wir waren nie politisch. Auch zu DDR-Zeiten nicht. 

Gibt es für dich „Ostalgie“?

Katharina: Ich fand den Begriff Ostalgie lange Zeit ganz schrecklich, weil damit oft etwas Politisches einhergeht. Ich finde es befremdlich die Flagge der DDR aufzuhängen oder eine FDJ-Uniform zum Fasching zu tragen.

Indira: Ich habe neulich in Dresden ein altes DDR-Liederbuch gefunden, das jemand zum Verschenken vor die Haustür gelegt hatte. Ich habe es gemeinsam mit Kollegen durchgeblättert und wir haben die meisten Melodien noch gekannt. Ostalgie ist für mich das Gemeinschaftsgefühl, das in solchen Momenten entsteht. 

Heidelore: Naja, bei Familientreffen kommen immer alte Geschichten hoch. Ich denke gerne an Traditionen von damals, Ostalgie würde ich das aber nicht nennen.

Welche Filme über ostdeutsche Lebensrealitäten findest du gut?

Katharina: Filme sind für mich die Möglichkeit, abseits der Bilder meiner Eltern zu verstehen, wie das Leben damals aussah. Ich habe gerne „Die Legende von Paul und Paula“ geschaut, oder „Gundermann“ und „Good bye, Lenin!“. Ich sehe mir sowas mit meinen westdeutschen Freunden an, damit wir uns darüber austauschen können. Die verstehen viele Anspielungen nämlich gar nicht.

Indira: Der Film „Die Legende von Paul und Paula" war wirklich überraschend weltoffen. Den finde ich heute noch so sehenswert wie damals. Ich entdecke immer wieder Neues darin, was mir früher nie aufgefallen ist.  

Heidelore: Die ganzen alten Filme waren so schön. Im Fernsehen liefen russische Märchen und das Komiker-Duo „Herricht und Preil“, da kann ich mich noch dran erinnern. Die sollten heute öfter ehemalige Ostfilme im Fernsehen bringen.

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