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„Als queerer muslimischer Mensch fühlt man sich oft heimatlos“

Ademir Karamehmedovic wünscht sich mehr Offenheit.
Foto: Julius Matuschik

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Ademir Karamehmedovic (26) aus Baden-Württemberg identifiziert sich als queer und muslimisch. Am 23. Juli will er gemeinsam mit anderen queeren Muslim:innen auf der CSD-Parade in Berlin demonstrieren – vermutlich als erste queer-muslimische Gruppe auf einem deutschen CSD.  

Im Interview erklärt er, weshalb die Gruppe bei der Pride mitläuft und was es bedeutet, queer und muslimisch zu sein.

jetzt: Wieso ist es deiner Meinung nach notwendig, als queere Muslim:innen in einer extra Gruppe beim Christopher Street Day mitzulaufen?  

Ademir: Ich war letztes Jahr mit einigen Freundi:nnen beim CSD. Dort habe ich ein Schild hochgehalten, auf dem „Allah loves equality“ stand. Da ist mir aufgefallen, wie viele verstörte Blicke ich abbekommen habe, insbesondere von älteren schwulen weißen Männern. In dem Moment war für mich ganz klar: Wir als queere Muslim:innen müssen uns dort einen Raum erkämpfen. Es muss möglich sein, auf dem CSD queer und sichtbar muslimisch sein zu können.   

Was erhofft ihr euch von dem Auftritt?  

Als queerer Muslim steht man sowohl in der queeren als auch in der muslimischen Community vor Herausforderungen. Wir brauchen uns nichts vormachen: Die muslimischen Communities haben ein strukturelles Problem mit Queerfeindlichkeit und queere Communities haben oft ein Problem mit antimuslimischem Rassismus. Es ist wichtig, dass wir Präsenz zeigen und das Tabu, das mit diesem Thema einhergeht, durchbrechen. Ich erwarte von beiden Communitys mehr Akzeptanz und Toleranz.

Du hast gerade die muslimische Community kritisierst. Hast du dabei manchmal die Befürchtung, dass du antimuslimische Ressentiments schüren könntest?

Ich bin Teil dieser Community. Ich möchte darin etwas bewegen. Ich räume meinen Platz in meiner Gemeinde, in meiner Moschee, nicht, und ich bin an konstruktiver Kritik an ihr interessiert. Nicht an einer pauschalen Abwertung von Muslim:innen. Bei Kritik an der muslimischen Community ist es wichtig zu schauen, von wem sie kommt und warum sie getätigt wird.

„Die Breite muslimischen Lebens muss sichtbar werden“

Welche Bedeutung könnte diese Teilnahme am CSD für die queer-muslimische Community haben?

Sichtbarkeit ist ein ganz entscheidender Aspekt. Queere Muslim:innen finden im Diskurs um den Islam noch viel zu selten statt. Bei der Berichterstattung über Muslim:innen geht es oft um dieselben Themen: Integrationsprobleme, Kopftuch, Terrorismus. Doch das wird den Muslim:innen nicht gerecht. Über diese Vielfalt wird nicht gesprochen. Wie tickt die muslimische Unternehmerin? Welche Sorgen machen sich muslimische alleinerziehende Väter? Welche Hoffnungen haben queere muslimische Jugendliche? Es gibt sowohl konservative als auch liberale Muslim:innen. Die Breite muslimischen Lebens muss sichtbar werden. Und wir fangen an mit dem CSD in Berlin.

Queere muslimische Menschen sind von unterschiedlichen Arten der Diskriminierung betroffen. Wie wirkt sich das auf ihre Leben aus?

Jedes queere Kind sehnt sich nach Gemeinschaft. Und zwar ab dem Moment, in dem es realisiert, dass es anders ist. Für muslimische queere Menschen ist es schwerer, diese Gemeinschaft zu finden. Als queerer muslimischer Mensch fühlt man sich oft heimatlos, weil man in den muslimischen Communitys nicht offen queer, und in den queeren Communitys nicht offen muslimisch sein kann.

Was könnte man gegen diese Diskriminierung tun?

Es braucht Sensibilität und Offenheit gegenüber Queersein im Islam. Bevor ich zu diesem Interview gekommen bin, habe ich meine Instagram-Abonnent:innen gefragt, an was sie bei diesem Thema denken. Auf diese Frage erhielt ich Kommentare wie: „Geht das überhaupt?“ oder „Das ist doch ein Tabuthema“. Wir müssen offener sein für die unterschiedlichen Facetten des Islams.

Hast du manchmal ein unwohles Gefühl, wenn du offen als queerer Muslim auftrittst?

Ich erhalte viele Hasskommentare, doch ich mache mir da nichts draus. Ganz im Gegenteil, auf digitalen Plattformen antworte ich diesen Menschen sogar gerne freundlich. Obwohl sie gelegentlich meinen Tod wollen, wünsche ich ihnen Frieden im Herzen. Bei mir entsteht bei Anfeindungen eine Trotzreaktion. Ich lasse diese Menschen nicht gewinnen. Meinen Platz in der queeren und muslimischen Welt lasse ich mir nicht nehmen, weil ich auch dazugehöre. Im Grunde denke ich über die Anfeindungen nicht nach, sondern freue mich auf die CSD-Demo, bei der wir mehr Sichtbarkeit einfordern und unseren Raum erkämpfen werden.

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