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„Die Politik hat von oben herab entschieden“

Foto: Fotostudio Roeder; Bearbeitung: jetzt

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Anfang des Jahres hat Michael Piazolo (Freie Wähler), bayerischer Staatsminister für Unterricht und Kultus, bekanntgegeben, wie die bayerische Staatsregierung dem Lehrermangel entgegenwirken möchte: Grundschullehrer*innen sollen in den kommenden Jahren pro Woche eine Stunde mehr Unterricht geben, zusätzlich sollen sie, genauso wie Mittelschullehrer*innen in den kommenden Jahren kein Sabbatical machen, nicht vorzeitig in den Ruhestand gehen dürfen. Außerdem müssen Lehrer*innen in Teilzeit ihre Stunden deutlich aufstocken. Als Reaktion gab es in vielen Städten Demonstrationen von Lehrer*innen. Der Widerstand der Lehrer*innen stößt aber auch auf Kritik. Ihnen wird Faulheit vorgeworfen, da sie nicht einmal bereit seien, nur eine Stunde mehr im Monat zu arbeiten und das, obwohl sie ohnehin schon sehr gute Arbeitsverhältnisse hätten. Wir haben mit drei Betroffenen darüber gesprochen, was sie von den Plänen halten.

„Uns Lehrern wird keine Wertschätzung entgegengebracht“

sebastian hatib

Sebastian Hatib

Foto: Fotostudio Roeder

Sebastian Hatib, 33, Mittelschullehrer in Dachau

„Ich arbeite seit vier Jahren an der Mittelschule und führe derzeit eine fünfte Klasse. Ich bin sehr unglücklich über dieses Maßnahmenpaket. Es wird uns Lehrern keine Wertschätzung entgegengebracht. Anstatt den Beruf attraktiver für potentielle Lehramtsstudenten zu machen, werden ausschließlich kurzfristige Maßnahmen ergriffen. Was soll bei einem stündlichen Mehraufwand bei weiterhin ungleicher Bezahlung wertschätzend sein? Mich als junger Mittelschullehrer treffen die Maßnahmen zunächst noch nicht ganz so heftig. Ich muss keine Stunde mehr arbeiten und habe mich noch nicht mit einem Sabbatjahr beschäftigt. Ich bin aber natürlich solidarisch mit den betroffenen Kollegen. Dass an der Mittelschule die Zusatzstunde nicht eingeführt wird, liegt allein daran, dass bei uns ohnehin schon Land unter ist und die Regierung diese Mehrarbeit in Zukunft nicht ausgleichen kann.

Diese Personalnot wird sich in den nächsten Jahren noch verschärfen. Ich arbeite weit mehr als 40 Stunden pro Woche. Besonders während Jahrgangsstufentests. In dieser Zeit werden mehrere Proben in kürzester Zeit hintereinander geschrieben und korrigiert. Ich will zudem meinen Unterricht so gestalten, dass ich alle meine Schüler ihrem Leistungsstand entsprechend abholen kann. Deshalb ist der Aufwand sehr groß und jetzt schon kaum stemmbar. Dass Menschen uns Lehrern vorwerfen, dass wir nur jammern und diese Stunde mehr doch kein Problem sei, kann ich insofern nachvollziehen, dass viele keine Ahnung haben, wie viel zusätzliche Arbeit da noch drinsteckt und weiterhin hinzukommt – siehe Inklusion, Erziehung der Schüler etc.“

„Wir dürfen nicht vergessen, dass wir einfach auch sehr gute Arbeitsbedingungen haben“

Mareike*, 33, Grundschullehrerin aus München

„Ich habe von den geplanten Maßnahmen durch eine E-Mail vom Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverband erfahren, die ich erst mal nur überflogen und zur Kenntnis genommen habe. Als ich am nächsten Morgen in die Schule kam, war das Lehrerzimmer schon in heller Aufregung. Ich kann verstehen, dass sich die Leute beschweren, aber mich persönlich betreffen die Maßnahmen nicht wirklich. Ich möchte kein Sabbatical machen, habe ohnehin schon eine Vollzeitstelle und denke, dass sich bei mir die eine Stunde zusätzliche Arbeit nicht sonderlich bemerkbar machen würde.

Viele Kolleginnen und Kollegen beschweren sich, dass wir ohnehin schon so viel zusätzliche Arbeit neben dem Unterricht machen müssten. Das stimmt natürlich, aber ich denke, wenn man effizient zu Hause arbeitet, dann ist das auch nicht zu viel. Ich selber schaue, dass ich mir meine Zeit so einteile, dass ich ungefähr auf eine 40-Stunden-Woche komme. Ich kann verstehen, dass sich viele Kolleg*innen über die neuen Maßnahmen ärgern, aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir zum Beispiel mit dem Beamtenstatus und der Unkündbarkeit einfach auch sehr gute Arbeitsbedingungen haben. Es gibt im Vergleich zur freien Wirtschaft und vor allen Dingen im Vergleich zu Erzieherinnen und Erziehern noch immer sehr viele Privilegien. Ich sage immer: Die Jacke des Staates ist eng, aber warm.

Was mich viel mehr störte als die vorgeschlagenen Maßnahmen selbst, war, dass man uns Lehrerinnen und Lehrer nicht gefragt hat, wie man dem Lehrermangel entgegenwirken könnte. Die Politik hat von oben herab entschieden. Ich fände es zum Beispiel gut, wenn Gymnasiallehrer*innen genauso viel verdienen würden wie Mittel- und Grundschullehrer*innen, sie also auf die Gehaltsstufe A12 runtergehen würden, da sie ohnehin schon deutlich weniger Stunden arbeiten als wir. So wären die Stellen an Grund- und Mittelschulen viel attraktiver und das eingesparte Geld, könnte in das Gehalt von Erzieher*innen fließen.“

„Wir arbeiten noch immer mit den Rahmenbedingungen von vor 50 Jahren“

monika faltermeier

Monika Faltermeier

Foto: Fotostudio Roeder

Monika Faltermeier, 35, Gymnasiallehrerin und nach Zweitqualifikation tätig an einer Mittelschule, Vorsitzende des jungen BLLV

„Die vorgestellten Notmaßnahmen gegen den Lehrermangel in Bayern treffen genau diejenigen, die ohnehin schon wahnsinnig viel arbeiten und rackern. Es ist eine Ad-Hoc-Lösung, die die Löcher nur kurzfristig stopfen wird. Außerdem wirkt es so, als sei dieses Problem erst plötzlich aufgetreten, dabei warnen wir als Verband bereits seit Jahren vor dieser Situation. Mich ärgert, dass es in der Diskussion nun so wirkt, als ob wir uns nur über diese eine Stunde Mehrarbeit beschweren. Aber darum geht es überhaupt nicht. Es gibt Personen, die in Teilzeit gearbeitet haben und das plötzlich nicht mehr dürfen. Die gehen nicht aus Jux und Tollerei in Teilzeit, sondern schaffen es beispielsweise aus gesundheitlichen Gründen nicht, Vollzeit zu arbeiten.

Durch diese Notmaßnahmen werden teilweise auch Lebensplanungen über den Haufen geworfen. Wir haben im Kollegium eine ältere Kollegin, die wir für ihren geplanten Ruhestand bereits verabschieden wollten. Durch die Notmaßnahmen weiß sie jetzt nicht, ob sie nun doch noch ein Jahr weiterarbeiten muss. Es steht außer Frage, dass wir Lehrkräfte diese Situation den Kindern zuliebe überbrücken und den Karren aus dem Dreck ziehen. Alle Lehrer, die ich kenne, würden diese eine Stunde mehr arbeiten, wenn sie wüssten, dass gleichzeitig Maßnahmen ergriffen werden, die das Problem langfristig lösen. Dabei sollte die Politik bedenken, dass unsere Aufgabengebiete in den vergangenen Jahren stetig gewachsen sind: Erziehung, Inklusion, Digitalisierung, Demokratie-Erziehung und vieles mehr. Allerdings arbeiten wir noch immer mit den Rahmenbedingungen von vor 50 Jahren.“

*Der Name der Lehrerin ist geändert, da sie befürchtet, aufgrund ihrer Meinung negative Reaktionen aus dem Kollegium zu bekommen. Ihr eigentlicher Name ist der Redaktion bekannt.

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