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Männer, warum schreibt ihr so schäbige Anmachen auf Tinder?

Auf Tinder schreiben Männer Frauen oft sexistische und plumpe Anmachen. Hat das schon jemals gut funktioniert?
Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Liebe Männer,

wenn ich Tinder öffne, dann meist aus zwei recht simplen Gründen. Der eine: Mir ist wirklich langweilig. Und sich durch diverse Datingprofile mit teils lustigen, teils komischen Selbstbeschreibungen zu swipen, behebt dieses Problem zumindest vorübergehend. Der zweite Grund: Obwohl ich an Tinder mittlerweile wirklich niedrige Erwartungen habe, habe ich noch immer die leise, nervige Hoffnung, diesmal endlich meinen Wunschpartner zu finden. Allerdings wird diese Hoffnung meist schnell im Keim erstickt, wenn mir Männer Anmachsprüche wie diese schreiben: „Du bist einsam. Ich bin einsam. Lass mich dich einsamen.“ Aha. 

Klar, es ist normal, dass auf Dating-Apps mal ein blöder Anmachspruch fällt, wie in Clubs eben auch. Und natürlich gibt es auch sehr höfliche, zuvorkommende Männer, ebenso wie respektlose Frauen. Trotzdem habe ich inzwischen eine beunruhigend große Ansammlung an Screenshots auf meinem Handy, die mir Freundinnen von Tinder-Chats schicken. Auf ihnen sind jede Menge schäbige Anmachsprüche zu sehen. Zum Beispiel: „Kannst du mich genauso hart spielen wie deine Playlists?“ Oder, als ein Mann die peruanische Flagge, die meine Freundin auf ihrem Bild hochhielt, mit der österreichischen verwechselte: „Wo genau aus Österreich bist du denn her? Da gibts ja richtige Leckerbissen.“ Alle diese Sprüche sind anzüglich, plump, oft respektlos und sexistisch, aber nie lustig. Fällt euch das selbst gar nicht auf? Oder könnt ihr einfach nicht besser flirten?

Besonders charmant wird es, wenn die Zeit nicht mal mehr für absurde Spitznamen wie „Puppe“ oder „Prinzessin“ reicht, sondern Männer direkt zu konkreten Vorschlägen übergehen, wann, wie – das heißt in welcher Stellung – und wo man Sex haben könnte. Mein persönlicher Favorit: „Hey, willst du im Aldi vögeln?“ Im Supermarkt. Wie praktisch. Die Einkaufsliste kann ich dann auch direkt noch abhaken. 

Statt auf die Sprüche zu antworten, löse ich die Matches mit solchen Männern meist kommentarlos auf. Manche meiner Freundinnen sind so verärgert, dass sie eine sarkastische oder wütende Nachricht zurückschicken. Aber noch nie hatten wir wegen solcher Sprüche Lust auf ein Date mit euch. Was versprecht ihr euch davon, Frauen schäbige Sätze auf Tinder zu schreiben? Dass wir das attraktiv finden? Mutig? Oder vielleicht sogar witzig? Und was ist falsch an einem simplen „Hey, hast du Lust mal was trinken zu gehen?“ 

Bitte, klärt uns auf. 

Eure irritierten, aber neugierigen Frauen.

Die Antwort: 

 

Liebe Frauen,

ich lese hier eure Frage und verstehe die Welt nicht mehr. Der „Einsamen“-Spruch zählt zu meinem absoluten Standardrepertoire, ach, was sag ich: Er ist das Flaggschiff meiner Anmachen! Meine letzten langjährigen Partnerinnen und unzählige wunderschöne Begegnungen hab ich ihm zu verdanken. Und es liegt ja auch auf der Hand, warum: „Ich bin einsam.“ – Mut zur Schwäche zeigen und Fallhöhe aufbauen. „Du bist einsam.“ – Empathiefähigkeit beweisen und Gemeinsamkeiten etablieren. „Lass mich dich einsamen.“ – Alle aufgebaute Erwartung mit einem fulminanten Wortwitz voller vulgärer Raffinesse zum Einsturz bringen! Schallendes Lachen und sofortige, uneingeschränkte Bereitschaft zum Verkehr am anderen Ende!

Das würde vielleicht der Tinderer schreiben, der der geistige Vater des „Einsamen“-Spruchs ist. Ich weiß es nicht. Weil ich liebe Sachen schreibe. Unlustig manchmal, ja. Einfallslos – definitiv. Aber schäbig nicht. Hoffe ich zumindest. Wir kommen darauf zurück. Jedenfalls musste ich mich, um eure Frage zu beantworten, ein bisschen umhören und habe die drei von euch zitierten Beispiele anderen tindernden Männern aus meinem Umfeld vorgelegt. Keiner der Befragten meinte, er würde jemals sowas schreiben. 

Die meisten von uns haben zumindest schon mal  plumpe Anmachen geschrieben – aus verschiedenen Gründen

Was aber geht in denjenigen vor, die die von euch zitierten Nachrichten für eine gute Idee halten? Ich würde von einer Mischung aus mittlerer bis schwerer Blödheit und in Misogynie kanalisierter Verbitterung ausgehen. Nicht ausschließen würde ich außerdem, dass bei diesen Männern ein Großteil der romantischen Sozialisierung aus Pornos bestanden hat, in denen ja irgendwas Dahingefaseltes mit „Leckerbissen“ oder „hart“ völlig ausreichend ist, um Frauen näher zu kommen.

Soviel zumindest zu diesen richtig schäbigen Sprüchen. Aber bevor wir uns jetzt von jeder Schuld freisprechen, sei gesagt, dass zwar nicht alle von uns Text-gewordene Dick-Picks verschicken, wohl aber viele bei weiterem Nachhaken mindestens schon so plumpe Anmachen wie „Hey Babe, du bist hot“ geschrieben haben. Und hierfür habe ich ich ein paar ausführlichere Erklärungen sammeln können. 

Einmal hieß es da, das eine gewisse Einfallslosigkeit daher kommen könnte, dass Männer sehr oft die erste Nachricht schicken müssten. Die bleibt dann, auch wenn sie lustig oder einfach nur nett ist, trotzdem oft unbeantwortet, was dazu führt, dass man irgendwann nicht mehr wisse, was funktioniert und deswegen manchmal prolligen Stumpfsinn schreibt. 

In eine ähnliche Richtung geht die Erklärung, dass man, wenn man gerade horny und oder betrunken ist, schlichtweg ein bisschen dümmer wird und vielleicht aus fehlendem Empathievermögen davon ausgeht, dass es der Frau, die man anschreibt, gerade genauso geht. Außerdem, sagte einer der Befragten, fördere das Konzept des Matches zusätzlich so eine Haltung. Denn es suggeriert, dass die Frau einen ja schonmal gut findet, sich womöglich schon in das eigene Profil verliebt hat und schon anbeißt, wenn man nur „Hey Süße“ schreibt. Ich habe auch mehrmals gehört, dass man sich ja selbst, als Mann, total über ein „Hey Süßer“ freuen würde. Wobei das sicher auch nicht für alle Männer gilt – und insgesamt von vielen Menschen als übergriffig und grenzüberschreitend wahrgenommen wird. 

Auf der anderen Seite wurden plumpe Sprüche damit begründet, dass viele das Gefühl haben, als Mann auf einer Dating-App von vornherein ohnehin als erbärmlicher Lustlurch wahrgenommen zu werden. Und wenn man sich dann auch noch besonders viel Mühe mit einer ausgeklügelten Line macht, wirkt man dann nicht noch needyer? Die Lösung: Von vornherein die Ablehnung in Kauf nehmen und irgendwas Plattes hinrotzen. Was natürlich trotzdem kein Grund für sexistische Beleidigungen sein darf.

Grundsätzlich wäre es wünschenswert und auch zielführender, wenn  wir weg von einem Überzeugungs- und Überredungs-Mindset hin zu entspannter, wertschätzender Kommunikation kämen. Ihr kleinen Zuckermäuschen.

Eure Tindermänner

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