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Welches sexistische Klischee würden Frauen sofort abschaffen?

Es gibt so viele sexistische Klischees, dass es schwerfällt, das schlimmste von ihnen zu identifizieren.
Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Liebe Frauen,

wie war euer Tag? Wartet, sagt nichts! Lasst uns raten: Wart ihr vielleicht einkaufen? Hoffentlich nicht mit dem Auto – wir wissen ja alle, wie schlecht ihr damit umgehen könnt. Besser zu Fuß. Wobei, ohne Navi und mit eurem Orientierungssinn dürftet ihr wohl ziemlich lange gebraucht haben zum nächsten Supermarkt. Wo ihr dann wahrscheinlich ganz brav mit einer Einkaufsliste Schminksachen, Putzzubehör und möglichst gesunde Lebensmittel gekauft habt, um euch und euer kleines Heim schön sauber und ordentlich zu halten und in jeder Hinsicht der Norm zu entsprechen, wie ihr’s eben mögt. Natürlich nicht mit Bargeld gezahlt, um Kopfrechnen zu vermeiden.

Welches der vielen Vorurteile gegenüber Frauen könnt ihr am allerwenigsten ertragen?

Nach drei Stunden vor dem Spiegel habt ihr dann daheim weiter online geshoppt mit der Kreditkarte eures Mannes, bis der nach Hause gekommen ist, euch hilflose Dinger dominant um die Hüfte gefasst und euch die Welt erklärt hat. Vermutlich habt ihr ihn dann zugeplappert mit irgendwelchen passiv-aggressiven Lästereien über eure Freundinnen und mit einem erwartungsvollen Seitenblick ganz nebenbei erwähnt, wieviele von denen mittlerweile schwanger sind. Nach ein paar willkürlichen Emotionsausbrüchen und ziemlich viel Hausarbeit habt habt ihr euch ihm abends im Bett dann völlig unterworfen.

Ja, ich glaube, das war’s vorerst. Mehr fällt mir gerade nicht ein. Obwohl: Ihr werdet nach dieser Aufzählung von sexistischen Klischees wahrscheinlich zittern vor Wut, weil ihr bekanntlich auch keinen Humor habt.

Uff. Das war übel. Pardon. Es ist da ein bisschen mit mir durchgegangen. Natürlich ist das alles Quark. Zweck dieser Einleitung war eigentlich nur, euch vorzubereiten auf die Frage: Welches der vielen Vorurteile gegenüber Frauen könnt ihr am allerwenigsten ertragen? Sie sind natürlich alle nur verschiedene Schattierungen von kacke und sollten am besten samt und sonders vom Angesicht der Erde getilgt werden. Aber welches ist das ärgerlichste Klischee? Welches führt die Kackparade an? Wenn ihr die Option hättet, von heute auf morgen ein einziges Vorurteil aus den Köpfen verschwinden zu lassen – welches wäre es?

Eure Männer

Die Antwort:

Liebe Männer,

autsch, das tat weh. Danke, dass ihr uns ein weiteres Mal an die Existenz dieses Kackhaufens erinnert habt. Es ist ja nicht so, als hätten wir ihn vergessen. Nur: Ab und an möchten wir einfach gern die Luft anhalten, um ihn nicht zu riechen. Zum Beispiel neulich, als ich mit einer Freundin und ihrem Hund Steve spazieren war. Es war kalt. Und ja, ich gebe zu, ich hatte vielleicht nicht die beste Wahl an Jacke getroffen. Das ist auch einem männlichen Artgenossen aufgefallen. „Hey Ladys, ihr seht ein wenig verfroren aus. Aber euch Frauen ist ja eh immer kalt.“, sagte er zu uns. Natürlich war er dann auch noch so „nett“ und hat uns seine körperliche Wärme „angeboten“. Luft anhalten hat da nicht viel genutzt. Die Kacke war schon längst am Dampfen. Innerlich vor Wut und äußerlich am Schuh. Denn als wären Sprüche dieser Art nicht schon genug, habe ich für den Rest des Tages wirklich Kacke mit mir rumgetragen. Danke, Steve.

Wenn ihr uns also fragt, welche sexistischen Klischees nerven, können wir euch auf Anhieb zig nennen. Höchstwahrscheinlich wurden wir noch am selben Tag mit einigen von ihnen behelligt. Dazu benötigen wir nicht einmal eine unangenehme Begegnung beim Spaziergang. Bei mir reicht ein Blick aus dem Fenster auf die Werbeplakatwand gegenüber. Darauf zu sehen sind ein Staubsauger – und eine halbnackte Frau. Es ist verdammt schwierig, sich auf ein Klischee festzulegen. Wir haben die Qual der Wahl.

Wenn ihr uns fragt, welche sexistischen Klischees nerven, können wir euch auf Anhieb zig nennen

Ich habe mit Freundinnen darüber diskutiert. Immer dann, wenn wir dachten, ein Vorurteil gefunden zu haben, das nun wirklich niemand mehr braucht, fiel uns ein anderes ein, das das vorherige auf der Kack-Skala noch mal übertrifft. Und manchmal waren wir uns auch einfach nicht einig. Während eine Freundin die Vorurteile am schlimmsten fand, die besonders herabwürdigend sind, wollte eine andere über solche reden, die ein traditionelles Frauenbild besonders stark reproduzieren. Und letztendlich konnten wir uns nicht entscheiden, weil wir das komische Gefühl hatten, alle anderen Klischees zu relativieren, wenn wir uns auf ein einziges Vorurteil festlegen. Ihr seht also: Es ist ein wenig komplizierter. Aber so sind wir Frauen nun mal: kompliziert.

Moment, eigentlich wollte ich euch nur ein wenig Sarkasmus zurückschleudern, aber vielleicht bin ich auch meiner Antwort auf der Spur: Frauen sind angeblich kompliziert. Seid mal ehrlich: Wann habt ihr das Klischee schon einmal benutzt, um euch eine unangenehme oder nervige Situation zu erklären? Bei eurem letzten Date? Als eure Freundin sich nicht entscheiden konnte, was sie zum Bewerbungsgespräch anzieht? Als eure Kollegin euch von den Problemen mit dem Chef erzählt hat? Beim letzten Telefonat mit eurer Mutter? Und jetzt seid wirklich ehrlich: Wie oft habt ihr in solchen Momenten innerlich mit den Augen gerollt und uns nicht ernst genommen, weil ihr die Situation selbst als unkompliziert empfunden habt?

Wir sind nicht kompliziert – wir müssen auch in den alltäglichsten Situationen einfach viel mehr mitdenken als ihr 

Ich lege mich fest: Wenn ich ein einziges Vorurteil von heute auf morgen aus den Köpfen aller verschwinden lassen könnte, dann wäre es das Klischee, dass Frauen kompliziert sind. Würde es dieses Narrativ nicht geben, müsstet ihr euer Unverständnis in solchen Situationen öfter reflektieren. Nehmt beispielsweise die Frage nach dem Bewerbungsoutfit. Wir machen uns diese Gedanken nicht wegen irgendwelcher Modetrends, sondern weil wir mit dem Kackhaufen an sexistischen Klischees, der uns im Bewerbungsgespräch erwarten kann, bestens vertraut sind. Wir möchten professionell auftreten. Schick, aber bloß nicht zu schick, denn das könnte „aufgedonnert“ wirken. Wir tragen eher keinen Rock, keine Bluse mit Rüschen und auch keine knalligen Farben. Wir passen auf, dass unser Ausschnitt nicht zu tief ist und unsere Brustwarzen nicht durchscheinen. Solche Gedanken müsst ihr euch nicht machen.

Wir wissen, dass die meisten von euch uns dieses „kompliziert sein“ nicht böswillig unterstellen. Es ist aber nun mal eines dieser Vorurteile, das uns alle – auch uns Frauen –  beeinflusst. Da wir es nicht wirklich von heute auf morgen aus dem Gedächtnis unserer Gesellschaft löschen können, lasst uns doch gemeinsam daran arbeiten, es auf lange Sicht zu tun. Bevor ihr das nächste Mal innerlich mit den Augen rollt, fragt nach, was hinter den Zweifeln am Bewerbungsoutfit oder den Problemen mit dem Chef wirklich steckt. Ihr werdet merken: Wir sind nicht kompliziert, weil wir Frauen sind. Aber weil wir Frauen sind, ist für uns vieles komplizierter. Wenn ihr das beherzigt, macht ihr den Kackhaufen gleich ein wenig kleiner.

Eure Frauen

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