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Call me by my name

Lange wünschte sich unsere Autorin einen anderen Namen. Heute ist sie stolz auf ihren eigenen.
Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Ich heiße Shafia. Nicht Sofia, Saphia, oder Shaf-iii-a. Shafia. Das i mehr wie ein j oder y ausgesprochen und die Betonung auf der ersten Silbe. 

Wenn in der Schule oder an der Uni die Anwesenheitsliste vorgelesen wurde, war ich immer angespannt. Eine Pause, ein nervöses Räuspern signalisierten mir schon, dass jetzt mein Name aufgerufen wird. Oder die entfernte, verstümmelte Version davon: Schafaya, Safia, Safira. Was folgte, war nervöses Rumgedruckse:

 „Oh, den Namen habe ich noch nie gehört.“

„Das ist aber kein deutscher Name, oder?“

„Können Sie das buchstabieren?“

„Hm, sehr schwerer Name. Sehr schwer.“

Mein Name ist nicht zu schwer, du machst es dir nur zu leicht

Ich wünsche mir, dass mein Gegenüber meinen Namen richtig ausspricht. Ist das zu viel verlangt? Es gibt immer noch Menschen, die mir erklären wollen, wie ich meinen eigenen Namen aussprechen soll. Vor kurzem hab ich mich einer Arbeitskollegin vorgestellt, die mich unverständlich angeschaut, den Kopf geneigt und dann sehr langsam  „Saaas-kiaaa?“ gefragt hat. So, als wäre sie nicht ganz sicher, ob ich gerade meinen eigenen Namen falsch ausgesprochen hatte. 

Shaja, Schafira, Shakira – Ich wurde schon häufiger umbenannt, als Heidi Klum „Personality“ sagen kann. Der Höhepunkt war wohl, als jemand mich angesprochen hat mit: „Wie heißt du nochmal? Scharia?“

Eine Notlösung, auf die viele zurückgreifen: Spitznamen, die eigentlich nur getarnte Spötteleien sind („Schaffner“ oder „Schäfchen“). Oder Eselsbrücken:  „Ah Shafia, wie eine Kreuzung aus Schaf und Esel, Schaf-I-AH“ oder „Also ausgesprochen wie Schaff-ja, das schaff ich ja“. 

Es ist okay, kein gutes Gedächtnis zu haben und mehrmals nach der richtigen Aussprache zu fragen. Aber es ist eine Frage von Respekt, es wenigstens zu versuchen. Es dann wieder und wieder falsch zu sagen und zu betonen, mein Name sei „zu schwer“, ist verletzend. Mein Name wird immer wieder zu etwas Fremdem, Ausländischem, Anderem gemacht und mir dabei immer wieder signalisiert: „Du gehörst nicht hier her.“

Es ist unglaublich, wie viel Menschen in meinen Namen hinein interpretieren können: meinen vermeintlichen Glauben (muslimisch, selbstverständlich), Sprachkenntnisse (natürlich Arabisch) und Herkunft (auf jeden Fall nicht deutsch). Ein älterer weißer Mann fragte mich mal, wo mein Name herkommt. Ich wollte wie immer nicht unhöflich sein. „Ist ein arabischer Name“, nuschelte ich also. Daraufhin sprach er stolz irgendwas auf Arabisch. Ich musste ihn enttäuschen: Ich weiß bis heute nicht, was er gesagt hat.

Namen können Auslöser für strukturelle Benachteiligung sein

Lange dachte ich, dass ich einfach zu sensibel sei, und meine Reaktion zu überzogen. Aber: Warum fragen Menschen nach der richtigen Schreibweise von Yannick, Janik und Jannik, berücksichtigen die Unterschiede zwischen Phillip, Philip und Philipp – aber kapitulieren, sobald sie meinen Namen hören oder lesen?

Dass mein Name immer wieder für Verwirrung sorgt und zur Diskussion gestellt wird, ist nicht nur anstrengend für mich. Namen können auch ein Auslöser für strukturelle Benachteiligung sein. Jeder dritte Mensch mit Migrationshintergrund erlebt rassistische Diskriminierung bei der Wohnnungssuche – das ergab 2020 eine repräsentative Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. „Oft reicht schon ein fremd klingender Name aus, um gar nicht erst zur Wohnungsbesichtigung eingeladen zu werden“, sagte der kommissarische Leiter der Antidiskriminierungsstelle Bernhard Franke dazu.

Bei der Arbeitssuche ließ sich Ähnliches beobachten: Eine Studie des Sachverständigenrates für Integration und Migration verglich 2014 die Chancen von Schüler:innen mit deutschem und mit türkischem Nachnamen. Sie kam unter anderem zu dem Schluss, dass Bewerber:innen mit türkischem Namen mehr Bewerbungen schreiben müssen, um zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Die Gründe dafür seien unter anderem, dass Arbeitgeber:innen ihre „eigene Bezugsgruppe“ bevorzugen würden, unbewusst Stereotypen zuschreiben oder Erwartungen an Bewerber:innen stellen würden, die auf Vorurteilen basieren. 

Dass Name und Herkunft beeinflussen, ob Jobsuchende eine Rückmeldung erhalten oder nicht, zeigte 2018 auch ein Feldexperiment des Berliner Wissenschaftszentrums für Sozialforschung, bei dem etwa 6000 fiktive Bewerbungen verschickt wurden. Auf Bewerbungen von vermeintlich Deutschen, Europäer:innen oder Ostasiat:innen gab es dabei deutlich häufiger Rückmeldungen als auf Bewerbungen von Personen mit afrikanischem oder muslimisch geprägtem Hintergrund.

Heute scheint sich das zu ändern: Untersuchungen aus den vergangenen Jahren haben ergeben, dass Unternehmen in Deutschland Diversität unter den Mitarbeitenden mittlerweile häufiger als wichtig erachten. Trotzdem bleibt auch ein übler Beigeschmack: Ich persönlich weiß nicht, wie viele unbeantwortete Jobbewerbungen auf meinen Namen zurückzuführen sind. Gleichzeitig frage ich mich nach Zusagen, ob ich sie wegen meiner Kompetenzen erhalten habe – oder nur weil ich eine pseudo-inklusive Diversity-Checkbox erfülle. Ob mein Name hier als „Token“, also als eine Art Trophäe missbraucht wird, mit der das Unternehmen sein Image aufpolieren will.

Mittlerweile finde ich meinen Namen ziemlich cool. Shafia bedeutet „die Heilende“

Lange habe ich mir wegen alledem einen anderen Namen gewünscht. Einen Namen, der Deutschen leichter über die Lippen geht und nicht so viele Fragen aufwirft. Aber den habe ich eben nicht. Und zu meinem Vornamen gibt es ja auch noch einen Nachnamen. Ich weiß nicht, wie oft ich gefragt wurde, was jetzt eigentlich mein Vorname und was mein Nachname ist. Oder wie häufig ich in Mails oder offiziellen Briefen mit Herr statt Frau Khawaja angesprochen wurde. Nur ein weiterer Grund, warum ich lange lieber einen eindeutigen Namen wie Lisa Müller haben wollte. 

Wenn ich auf Bühnen eingeladen war, habe ich mich deshalb lange nur mit meinem Vornamen anmoderieren lassen. Ich wollte es den Leuten eben nicht zu kompliziert machen. Ich wollte mir selbst nicht den Raum geben, den mein Name beansprucht. Mittlerweile finde ich meinen Namen ziemlich cool. Shafia bedeutet „die Heilende“. Und Khawaja, mein Nachname, bedeutet so etwas wie „Chef“ oder „Meister“. Das habe ich erst vor ein paar Jahren durch einen syrischen Arbeitskollegen gelernt.

Ich werde immer wieder gefragt, wie man meinen Nachnamen „richtig“ ausspricht. Die deutsche oder arabische Variante? Es ist beides okay. Ich selbst habe erst mit 16 gelernt, dass man es eigentlich Kha-wa-ja ausspricht: Das „Kha“ wie ein ch hinten aus dem Rachen gesprochen, wie bei Bach, das „wa“ eher so, als würde man „wow“ sagen und das „ja“ so wie in “Jamaika”. Mir ist es aber sowieso lieber, die Leute bleiben bei der deutschen Aussprache, als es auf Arabisch zu versuchen und dann daran zu scheitern. 

Es ist also gar nicht so schwer: Ich heiße Shafia Khawaja. Bitte nennt mich auch so.

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