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„Ich betete, dass ich nicht schwul bin“

Illustration: Daniela Rudolf-Lübke, jetzt

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Potente Machos und prüde Jungfrauen. Über arabische Männer und Frauen gibt es viele Vorurteile. In der Kolumne Sex auf Arabisch reden sie über Geschlechterrollen, Liebe und Sex – und ihr Verhältnis zu Deutschland.

„Manchmal träume ich, dass meine palästinensische Familie mich zu Hause in Deutschland besucht. Wir sitzen zusammen an einem Tisch, den mein Ehemann und ich gedeckt haben und essen das Essen, das wir beide gekocht haben. Es ist ein schöner Traum, der wohl nie in Erfüllung gehen wird. Denn außer meiner Mutter weiß in meiner Familie niemand, dass ich mit einem Mann verheiratet bin.

Ich habe relativ früh herausgefunden, dass ich auf Männer stehe. Mit vierzehn habe ich einen gleichaltrigen Jungen aus meinem arabischen Dorf in Israel geküsst. Der Kuss war aufregend – gerade deswegen hat er mich in eine tiefe Krise gestürzt. Denn ich wollte nicht auf Männer stehen. Das ist in unserem Dorf weder sozial noch religiös akzeptiert. Anstatt meine Sexualität weiter zu erkunden, betete ich zu Gott. Ich betete, dass ich nicht schwul bin. Dass ich so werde, wie alle anderen in meinem Dorf. Die nächsten vier Jahre küsste ich keinen Jungen mehr. Bis ich lernte, mich und meine Sexualität zu akzeptieren.

Zu diesem Zeitpunkt war ich achtzehn Jahre alt und hatte endlich verstanden, dass es nichts bringt, sich selbst zu belügen. Trotzdem verheimlichte ich meine Homosexualität vor meinen Eltern und übernachtete heimlich bei Freunden in Tel Aviv oder Haifa. Bis mich eines Abends mein Vater fragte, ob ich mit Männern schlafe. Ich hatte es satt, meine Eltern zu belügen. Also sagte ich meinem Vater die Wahrheit. 

Die Stunden danach waren die schlimmsten meines Lebens. Mein Vater sagte kein Wort und stürmte aus dem Zimmer. Obwohl er mich nie geschlagen hatte, hatte ich Angst, dass er mir etwas antun würde. Um vor ihm sicher zu sein, schlief ich diese Nacht im Zimmer meines älteren Bruders. Ich konnte kaum schlafen und rechnete jeden Moment damit, dass mein Vater ins Zimmer kommen würde. Das passierte zwar nicht, trotzdem hatte ich seit dieser Nacht immer wieder Panikattacken.

„Als ich jüdische Israelis datete, hatte ich das Gefühl, dass viele von ihnen auf mich herabblickten, weil ich Araber bin“

Am nächsten Tag fragte mich meine Mutter, was mit mir los sei. „Was ist zwischen dir und deinem Vater passiert?“. Mein Vater hatte ihr das anscheinend nicht genau erzählt. Obwohl ich ein sehr enges Verhältnis zu meiner Mutter hatte, sagte ich nichts. Meine Angst war zu groß, dass sie genauso reagieren würde wie mein Vater. Ich habe meiner Mutter erst vor einem Jahr erzählt, dass ich schwul bin. Sie hat zum Glück positiv reagiert. Sie wollte zwar, dass ich in Therapie gehe. Aber heute hat sie ihre Meinung glücklicherweise geändert.

Ein halbes Jahr nach dem Streit mit meinem Vater bin ich von zu Hause nach Tel Aviv gezogen.  Ich wollte endlich frei sein und meine Sexualität ausleben. Doch als ich jüdische Israelis datete, hatte ich das Gefühl, dass viele von ihnen auf mich herabblickten, weil ich Araber bin. Als ich mich einem Israeli einmal als Palästinenser vorstellte, sagte er mir, dass ich zurück nach Gaza gehen solle. Ich fühlte mich wie ein Fremder. Also traf ich mich vor allem mit europäischen Männern, die in Israel arbeiteten. Einer von ihnen ist mein jetziger Ehemann.

Ich habe ihn 2011 durch eine israelische Dating-App kennengelernt. Er ist aus Deutschland und hat für ein paar Monate in Israel gearbeitet. Bei unserem ersten Date tranken wir in Tel Aviv Milchshakes und schwammen am Abend zusammen im Meer. Danach gingen wir zu ihm nach Hause und hatten Sex. Ich war von dem ersten Moment an verrückt nach ihm. Ich wusste einfach, dass er ein wunderbarer Mensch ist und dass ich mit ihm zusammen sein möchte.

Zwei Jahre später sind wir zusammen nach Deutschland gezogen und haben unsere Partnerschaft eingetragen. Das war überraschend unkompliziert: Ich musste nur ein paar Dokumente mitbringen und einen Vertrag unterschreiben. Am Tag meiner Hochzeit hatte ich das Gefühl, in Deutschland endlich an einem Ort zu sein, an dem Homosexuelle gleichberechtigt sind. Ich dachte damals, dass die Menschen hier offener und toleranter sind als in Israel. Dass ich als schwuler Araber den Vorurteilen endlich entkommen war.

„Als mein jüngerer Bruder mich einmal in Deutschland besucht hat, habe ich für diese Zeit extra eine Wohnung für ihn gemietet“

Heute weiß ich, dass diese Vorstellung naiv war. Zwar fühle ich mich in München, der Stadt in der ich lebe, sicher. Ich habe, anders als zu Hause, keine Angst, zu erzählen, dass ich mit einem Mann verheiratet bin. Aber auch hier bin ich  mit Vorurteilen konfrontiert. Ich werde permanent angestarrt, weil ich als Araber  anders aussehe als die meisten Deutschen. Dazu kommt noch, dass mein Ehemann und ich Eheringe tragen. In einem Wirtshaus in Bayern hat eine Frau einmal zuerst auf die rechte Hand meines Mannes und dann auf meine rechte Hand geschaut. Dann hat sie uns beide mit großen Augen angestarrt. Dass zwei Männer miteinander verheiratet sind, war für sie wohl eine ziemlich seltsame Vorstellung.

Ich liebe meine Familie und es fällt mir sehr schwer, ihr die Liebe zu meinem Ehemann zu verheimlichen. Als ich nach Deutschland gezogen bin, dachten meine Verwandten, dass ich hier nur zum Studieren bin.  Meine Geschwister wissen nicht mal, dass ich schwul bin. Als mein jüngerer Bruder mich einmal in Deutschland besucht hat, habe ich für diese Zeit extra eine Wohnung für ihn gemietet. Damit er nicht sieht, wie ich wirklich lebe. Meinen Mann hat es Anfangs verletzt, dass ich ihn verheimliche. Inzwischen versteht er aber, warum ich es tue. Ich würde meinen Verwandten gerne von ihm erzählen, denn er ist ein wichtiger Teil meines Lebens. Aber ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwierig es ist, ihnen die Wahrheit zu sagen.“

* George heißt in Wahrheit anders, möchte aber anonym bleiben. Er gehört einer nicht-muslimischen religiösen Minderheit an.  

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