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Der Shutdown wirkt wie ein Brennglas für die Beziehung

Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Langzeitliebende werden es bestätigen: Nach einigen Jahren Beziehung ist es gar nicht mehr so leicht, einander zu überraschen. Mein Mann und ich haben es neulich dennoch geschafft. Leider nicht im besten Sinne: Zum ersten Mal in der zehnjährigen Geschichte unserer Beziehung verbrachte ich, zu einem Wutknäuel zusammengerollt, eine Nacht auf dem Sofa. Wälzte mich auf der schmalen Liegefläche von Rechts nach Links, hasste meinen Mann und hasste Corona.

„Das ist uns ja noch nie passiert“, resümierte er am nächsten Morgen. Nicht mal in unserer schlimmsten Beziehungskrise vor sechs Jahren. Der Witz dabei: Heute, nur wenige Wochen später, weiß ich nicht mal mehr, worüber wir so heftig gestritten hatten. Weil wir es seit Beginn des Shutdowns andauernd taten. Mein Mann und ich, eine normalerweise absolut eingespielte Einheit, erkannten uns selbst kaum wieder.

Aber andererseits, was war überhaupt noch wiederzukennen? Keine Arbeitstermine, keine Reisen, keine Treffen mit Freund*innen. Wenn nicht mal eine*r von uns für ein paar Stunden ins Büro verschwand, waren wir zusammen. Jeden verdammten Tag. Und hatten plötzlich so viel Gelegenheiten, uns über Kleinigkeiten zu fetzen, wie nie zuvor. Es ist schon erstaunlich, wie viele Tränen ein schnöder Hinweis auf die Krümel am Küchenboden nach sich ziehen kann. Oder wie verzweifelt man einer simplen Zwischenfrage „Du verstehst mich einfach nicht!“ entgegenschreien kann.

Und am Ende gab es — nach wochenlanger Flaute — sogar Versöhnungssex

Nach meiner Sofanacht war es war natürlich ein Leichtes, in Corona das Arschloch zu indentifizieren, das unsere sonst so starken Nerven in billige, ständig reißende Gummizüge verwandelt hatte. Aber wenn wir ganz ehrlich waren, hatte das Virus mit all seinen Begleiterscheinungen noch ganz andere Qualitäten: Es holte Themen hoch, die im Untergrund schon lange da waren, aber im normalen Alltag mit all seinen Ablenkungen ganz selbstverständlich untergingen. Jetzt hingegen, wo wir zusammen in Einzelhaft saßen, lag unsere Beziehung wie unter einem Brennglas, und zwar nackt. Endlich einmal konnten wir sie uns ganz genau anschauen.

Was dabei herausgekommen ist, würde an dieser Stelle wohl zu weit führen. Aber das Streiten hatte ein Ende. Und am Ende gab es — nach wochenlanger Flaute — sogar Versöhnungssex. Im Zimmer herrschte Halbdunkel, und als ich meinen Mann mit seinem ungewohnten Corona-Bart so über mir ackern sah, war ich für eine Sekunde gar nicht mehr so sicher, mit wem ich es da eigentlich machte: dem Typ, der jede Nacht Rücken an Rücken mit mir einschlief, oder einem völlig Fremden — so viele neue Facetten hatte ich an ihm entdeckt.

Das hier ist der letzte „Sex im Shutdown“-Text. Und weil ich finde, dass Abschiede ruhig ein wenig pathetisch sein dürfen, möchte ich euch einen letzten Rat mit auf den Weg durch die Isolation geben: Sitzt es nicht aus, wenn ihr euch gegenseitig auf den Sack geht. Wenn ihr die nervigen Angewohnheiten eures*eurer Liebsten nicht mehr aushaltet. Wenn jetzt plötzlich alles zutage tritt, was sich sonst immer versteckt hält. Sondern schaut genau hin, was da passiert und warum. Die Corona-Pandemie mag zwar ein Arschloch sein. Aber auch Arschlöcher halten manchmal Lektionen für uns bereit.

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