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Sex beim ersten Date ist kein Zeichen für Unverbindlichkeit

Illustration: Daniela Rudolf / Foto: Freepik

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Es war ein wirklich schöner Abend mit Lea. Trotz der prätentiösen Weinbar, in der wir sitzen, habe ich das erste entspannte Tinder-Date überhaupt. Wir erzählen über unser enges Verhältnis zu unseren Geschwistern, warum wir die neue Stadt so mögen, in die wir beide gerade gezogen sind und lassen uns darüber aus, wie krampfig die meisten unserer One-Night-Stands waren. Das Gelächter, die Berührungen und später die Küsse – alles ist wunderbar unbekümmert und zugewandt.

Beim Knutschen schlingt Lea einen Arm um meine Hüfte und greift mir mit der anderen fordernd ins Nackenhaar. Und eigentlich sitzt sie auch schon halb auf meinem Schoß. Aber während ihre Hand unter meinen Pullover wandert, hört sie plötzlich auf, schaut mich prüfend an und sagt: „Ich würd Dich gern mit zu mir nehmen. Aber wenn ich das mache, dann wird das eine heiße Nacht. Und wenn wir beide allein nach Hause gehen, kann es vielleicht mehr werden.”

Und da steht sie im Raum, diese ebenso alte wie bescheuerte Auffassung: Typen verlieren das Interesse, wenn Frauen sie zu schnell ranlassen. Mich wundert das nicht, die Ratgeberseiten der sogenannten Frauenzeitschriften sind schließlich zugepflastert mit diesen angeblich wirkungsvollen Tipps. In gefühlten 90.000 Variationen steht da eigentlich immer nur das Eine: „Lass ihn zappeln, dann wird er mehr wollen und sich so richtig ins Zeug legen!”

Es gibt in meinem Freundeskreis durchaus sehr unterschiedliche Auffassungen zu diesem Thema. Meine gute Freundin Mareike hält Beziehungen für Politik in Max Webers Sinn: „ein starkes langsames Bohren von harten Brettern”. Deswegen folgt Mareikes Politik dem Prinzip: Gebohrt wird frühestens nach sechs Monaten. Was für eine Quälerei.

Natürlich gibt es – vor allem bei den ersten Treffen – jede Menge legitime Gründe zu sagen: „Nein, ich will das (noch) nicht.” Zum Beispiel, weil du mit drei Weißwein intus deinem Urteilsvermögen misstraust und du unsicher bist, ob der Typ dich wirklich wertschätzt oder doch nur auf Trophäen-Jagd ist. Oder weil du schon ein bisschen zu verschossen bist und Sorge hast, enttäuscht zu werden. Nur besteht diese Gefahr dummerweise immer, für Männer wie für Frauen. Und sie wird auch nicht verschwinden, wenn du erst beim zweiten oder hundertsten Date mit deinem „Love Interest“ schläfst. Nach mehreren Monaten würden meine Sorge wachsen, dass der künftige Akt eher einer langwierigen Aushandlung eines Abkommens zwischen zwei verfeindeten Fürstentümern gleicht. Und nichts mehr mit vergnügter Vereinigung zu tun hat.

 

Ich habe nach dem Sex noch nie gedacht: „Die Festung ist erstürmt. Ich ziehe weiter zum nächsten Burgfräulein” 

 

Nicht falsch verstehen: Das Setzen und Kommunizieren von persönlichen Grenzen finde ich gut und wichtig. Es ist mir extrem unangenehm, wenn mich jemand als übergriffig empfindet. Aber künstlicher Sexentzug taugt einfach nicht, um meine ritterlichen Absichten zu testen. Vor allem nicht, wenn mein Date signalisiert hat, dass sie eigentlich auch sehr viel Lust hat. Wenn es zur Sache ging mit einer Frau, mit der ich mir mehr vorstellen konnte, habe ich jedenfalls noch nie gedacht: „So, die Festung ist erstürmt und unterworfen. Ich zieh dann mal weiter zum nächsten Burgfräulein.” 

 

Ich selbst hatte eine zweieinhalbjährige, sehr innige Beziehung mit Sarah. Nach unserem ersten Date kam sie nackt aus meinem Badezimmer, huschte an der offenen Tür meines Mitbewohners vorbei in mein Zimmer, kniete sich vor mich und knöpfte meine Hose auf. Und später kam die ebenso liebevolle und lange Beziehung mit Frederike, die drei Wochen lang mehrfach bei mir schlief, aber erst in der vierten Woche mit mir. Bis dahin wollte sie erst Mal kuscheln und sich höchstens ein bisschen an mir reiben. Vier Wochen warten, das ging noch in Ordnung, fand ich. Aber in keinem der beiden Fälle hatte mein Bindungswille etwas mit dem Zeitpunkt zu tun, zu dem wir Sex hatten. Sondern mit der Aussicht auf eine Art Alltag und vielleicht sogar einen gemeinsamen Lebensentwurf.

 

An meinem mangelnden Interesse an einer Beziehung ändert sich nichts, wenn eine Frau mich warten lässt

 

Umgekehrt ist es genauso: An meinem mangelnden Interesse an einem geteilten Leben wird sich nichts ändern, wenn eine Frau mich warten lässt. Und genau das war auch das Problem mit Lea, denn mit ihr sah ich absolut keine Beziehungsperspektive. Sie bereitete seit Monaten ihre Karnevalsfeierei vor, ich flüchte in der Zeit der Schunkel-, Sauf- und Kotz-Orgien immer zu meinen Eltern. Sie steht am liebsten um halb sechs morgens auf, ich bin eine chronobiologische Voll-Eule. Sie kauft monatlich Musicaltickets, ich verachte „Bodyguard“ und „König der Löwen“. Kurz: Unser Beziehungs-Alltag wäre ein ziemlich fades Aneinandervorbei-Gewurschtel.

 

Als ich Lea sagte, dass ich nicht glaubte, dass aus uns mehr werden könnte, war sie überrascht und auch ein bisschen getroffen. Wir gingen getrennte Wege, blieben aber in Kontakt. Lea lernte dann ziemlich schnell ihren jetzigen Freund Gero kennen. Sie hatte ihn als One-Night-Stand mit nach Hause genommen und dachte, sie sähe ihn nie wieder. Aber dann lud er sie morgens zum Salsa-Tanzen ein und Musicals mochte er auch. Leas (neue) Erfahrung zeigt, was auch eine Studie der Universität Iowa belegt: Wenn beide an einer ernsthaften, längerfristigen Beziehung interessiert sind, ist es ziemlich wumpe, wann sie sich gegenseitig die Kopf- und Intimfrisuren unordentlich machen.

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