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Wie es ist, während WM-Spielen zu arbeiten

Foto: Juri Gottschall

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Was bedeutet es, arbeiten zu müssen, wenn die anderen gerade Fußballparty feiern? Was nervt, was macht Spaß, was ist anders als sonst? Wir waren unterwegs und haben fünf Menschen nach einer atmosphärischen Bestandsaufnahme gefragt:

 

Das ist der totale Ausnahmezustand

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Foto: Juri Gottschall

Sabina, 27, Restaurantleiterin in der 35-mm-Bar, am Tag des Viertelfinales Russland gegen Kroatien:

„Der Besitzer unserer Bar ist Kroate, deshalb übertragen wir die Kroatien-Spiele natürlich besonders groß. Ich bin zwar aus Polen, aber mein Freund ist Kroate, deshalb trage ich heute Abend natürlich das kroatische Trikot. Es kommt an den kroatischen WM-Abenden eigens eine kroatische Köchin und macht für alle Cevapcici. Für jedes Tor der Kroaten bekommen die Gäste einen Sliwo aufs Haus – das ist ein kroatischer Pflaumenschnaps.

Wir haben für die WM ordentlich aufgerüstet. Wir übertragen die Spiele auf mehreren Leinwänden und Fernsehern, drinnen und draußen. Es mag ja vielen Leuten in diesem Jahr so erscheinen, als bekomme man von der WM kaum etwas mit, aber dazu kann ich nur sagen: Dann waren sie noch nicht hier, wenn Kroatien gespielt hat. Das ist der totale Ausnahmezustand. Die Kroaten haben einen unglaublichen Nationalstolz, so etwas habe ich noch bei keinem anderen Länderspiel gesehen. Die rasten völlig aus, wenn ihr Land spielt. Die jubeln und feiern und kochen völlig über vor Gefühlen. Wenn ein Tor fällt, schmeißen die sich auf den Boden und übereinander, küssen den Boden, küssen einander, falten die Hände gen Himmel, beten und weinen sogar.

Schon Tage vorher ist hier alles so gut wie ausreserviert, aber es ist den Leuten egal, dann stehen sie halt, quetschen sich nebeneinander, Hauptsache sie sehen das Spiel. Die Kroaten bestellen übrigens auch nicht wie etwa die Deutschen das ganze Spiel über immer mal wieder ein Bier. Die bestellen gleich am Anfang eine Flasche Jack Daniels für die Runde.“

„Ich spiele lieber meine Geige“

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Foto: Juri Gottschall

Igor, 38, Musiker, am Tag des Viertelfinales Russland gegen Kroatien:

„Die WM ist mir völlig egal, Fußball ist mir völlig egal, ich kriege nichts davon mit. Ich mache Musik für die Menschen in der Fußgängerzone. Und unser Publikum ist weder größer noch kleiner während der Spiele und nichts ist anders als sonst. Es gibt also ganz klar – sogar in München – ein Leben abseits vom Fußball. Als Kind war ich Fan, ich bin sogar ins Stadion gegangen. Heute Abend spielt Kroatien? Ich komme sogar aus Kroatien. Aber Fußball ist nicht mehr das, was es mal war. Alles ist so langweilig und glattgebügelt, keiner sagt mehr vor laufender Kamera lustige oder böse Sachen, niemand rastet mehr aus und flucht rum. Und diese riesigen Stadien kommen mir immer mehr wie gigantische Konsum- und Kapitalismuskathedralen vor, deren einzige Funktion es ist, die Menschen möglichst klein zu halten und ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Alles voller Werbung, FIFA, unseriöser Machenschaften. Keine Welt, der ich meine Aufmerksamkeit schenken möchte. Ich spiele lieber meine Geige.“

„Wenn Fußball ist, versammeln sich manchmal bis zu 20 Leute am Stand“

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Foto: Juri Gottschall

Didi, 59, Obststandbesitzer an der LMU, vor dem Deutschlandspiel gegen Südkorea:

„Ich sitze hier mit meinem Intersound-Radio, das ist uralt, aber geht schon noch. Hab ich seit 35 Jahren, gleich am Anfang geschenkt bekommen von meinen Freunden zur Standleröffnung. Da hör ich alles drauf an, was wichtig ist. Wenn Fußball ist, versammeln sich manchmal bis zu 20 Leute ums Standl rum und hören zu und fangen an, miteinander über Fußball zu diskutieren. Das sind dann so nette Streitgespräche, so klassische Frotzeleien halt, zwischen jung und alt, alle Altersgruppen. Das mag ich, da ist was los und die Leute haben Spaß und ich habe auch Spaß. Jetzt bei der WM war allerdings bisher noch erstaunlich wenig los, ich glaub die Bayern interessiert es einfach viel mehr, wenn Bayern oder 1860 spielen als wenn Deutschland spielt. Vor dem Spiel gegen Südkorea hatte ich zum ersten Mal den Eindruck, dass ein Anflug von Fieber in der Luft liegt, dass die Leute hier mit angemalten Gesichtern, Fahnen und Trikots vorbeiradeln. Neulich beim Spiel gegen Schweden waren es ja auch erst die letzten Minuten, die für Spannung gesorgt haben. Da habe ich meinen Stand extra langsam abgebaut, um nebenbei noch ganz in Ruhe die Übertragung zu Ende zu hören. Gleich danach bin ich noch zum Odeonsplatz, um den Leuten noch ein bisschen beim Feiern zuzuschauen.“

Die Bestellungen sind viel größer als sonst

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Foto: Juri Gottschall

Maximilian, 26, Fahrradlieferdienst-Fahrer, vor dem Deutschlandspiel gegen Südkorea

„Die scheißen mich heute zum Deutschlandspiel echt zu mit Anfragen, ich komme kaum hinterher. Es ist viel mehr los als sonst, vor allem um die Uhrzeit, nachmittags um vier. Und die Bestellungen sind viel größer als sonst, weil alle, die etwas bestellen, irgendwo beim gemeinsamen Fußballgucken mit all ihren Freunden hocken und eine ganze Sammelbestellung in Auftrag geben. Hauptsächlich Burger und Pizza. Aus fast jeder Tür, die sich mir heute öffnet, kommen mir die Geräusche der Fußballübertragung entgegen. Gut für mich, denn bei so einem Anlass geben sie auch großzügiger Trinkgeld. Manchmal frage ich dann kurz, wie es grad steht, und die Leute sind total gut drauf und sagen es mir auch gleich, aber sie bleiben trotzdem kurz angebunden. Man merkt, sie wollen einfach so schnell es geht zurück vor die Leinwand und das Spiel weiterverfolgen.

Ich bin ein bisschen traurig, dass ich heute arbeiten muss, ich habe einfach total verplant, dass Deutschland heute spielt und habe mir den Tag nicht rechtzeitig geblockt. Ich habe nämlich als Jugendlicher echt engagiert Fußball gespielt und war immer total informiert. Es kommt eigentlich bis heute nicht vor, dass ich ein wichtiges Spiel verpasse. Aber ich tröste mich mit dem Gedanken, dass mir auch die heutige Schicht wieder etwas mehr Geld für meine geplante Weltreise bringt. Ich mache diesen Job nämlich gerade nur zeitweise, um die geplante Summe schneller zusammenzukriegen. Nebenbei arbeite ich ganz normal in meinem Vollzeitjob bei einem großen Münchner Unternehmen.“

„Während der WM-Spiele ist viel weniger los“

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Foto: Juri Gottschall

Vladi, 28, Rikschafahrer, vor dem Deutschlandspiel gegen Südkorea:

„Generell ist im Rikscha-Geschäft während der wichtigen WM-Spiele viel weniger los als sonst. Ich war deshalb auch total geschockt, als ich erfahren habe, dass ich heute während des Deutschlandspiels arbeiten muss. Ich dachte, da kommen erst gar keine Anfragen. Und ich hätte echt gern Fußball geschaut. Aber Rikschafahren war jetzt auch okay, ich hab ja im Vorbeifahren an all den Kneipen, die das Spiel übertragen, ein bisschen was mitbekommen können vom Spielstand. Außerdem hatte ich total sympathische und aufgeschlossene Gäste aus Australien, wir haben uns fast ein bisschen angefreundet und die ganze Zeit über total nett gequatscht. Das entschädigt für das verpasste Spiel. Vielleicht gehe ich nach Feierabend sogar noch etwas mit ihnen trinken, irgendwie liegt aufgrund des Spiels so eine besondere Stimmung in der Luft und sie wollen mir noch einen ausgeben.“

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