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Wenn Corona dir den Einstieg ins Berufsleben versaut

Foto: Wirestock / Adobe Stock; Bearbeitung: jetzt

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Anfang März ist meine Zeit. Ich habe gerade meinen Bachelor-Studiengang erfolgreich abgeschlossen. Und ich denke mir: „Endlich kann ich durchstarten. Ich weiß, was ich will und dafür werde ich jetzt hart arbeiten.“ Unzählige Bewerbungen, Vorstellungsgespräche und Probetage später wird mir mein Traum-Volontariat zugesagt. Es soll zwar erst im Juli beginnen, doch zur Überbrückung bis dahin ergattere ich noch ein Praktikum. Alles ist perfekt geplant. Bis April bin ich noch an meiner Universität eingeschrieben und möchte meine verbleibende Zeit als Studentin mit Reisen und ehrenamtlicher Arbeit verbringen.

Doch dann kommt alles anders. Die ersten Fälle von COVID-19 in München tauchen auf. Und je mehr sie sich häufen, desto mulmiger wird mein Gefühl. Meine Arbeitsverträge sind noch nicht da. Ich telefoniere meinen zukünftigen Arbeitgebern hinterher, und dann kommt auch schon die erste niederschmetternde E-Mail. Mein Volontariat ist auf unbestimmte Zeit verschoben. Und die zweite Hiobsbotschaft lässt ebenfalls nicht lange auf sich warten. Nur ein paar Stunden später folgt der Anruf, dass mein Praktikum flachfällt. Habe ich da denn keinen Anspruch darauf? Wäre es anders gewesen, wenn ich die Arbeitsverträge früher erhalten hätte?

Anne Beck, Pressesprecherin der Agentur für Arbeit in München: „Ein Volontariat ist eine firmenintern geregelte Ausbildung. Da kann das Arbeitsamt nicht greifen. Es gibt keinen Anspruch darauf. Selbst ein schon bestehender Arbeitsvertrag hätte hier seitens der Arbeitgeber aufgelöst werden können. Das gilt genauso für Arbeiter in der Probezeit und auch für Praktika. Da kann man nur empfehlen mit dem potenziellen Arbeitgeber in Verbindung zu bleiben und zu warten, wie sich das entwickelt. Diese Ausnahmesituation ist für alle schwierig und jeder muss schauen, auch die Arbeitgeber, wie er seinen Weg da herausfindet.“

Wie kann ich mich als junger Berufseinsteiger jetzt über Wasser halten?

Auf einmal ist die ganze Planung, die Bewerbungsschlacht der letzten Monate, umsonst. So geht es auch der Sportstudentin Rebecca. Sie wollte während ihres Studiums aushilfsweise kellnern, um sich die Miete zu leisten. Doch in der Woche, in der die Einarbeitung geplant war, kam dann der Lockdown. Nachdem die Gastronomie ein besonders gefährdeter Bereich in Zeiten dieser Virus-Pandemie ist, macht sie sich mittlerweile keine großen Hoffnungen: „Ich hoffe, ich finde noch etwas. Aber bisher gab es nur Absagen. Mein Pflichtpraktikum im Fitnessstudio kann ich für nächstes Semester wahrscheinlich auch vergessen.“ Wie kann ich mich als junger Berufseinsteiger jetzt über Wasser halten?

Anne Beck: „Für bestimmte Leute gibt es eine Art Fallschirm. Wenn man in den letzten zwei Jahren mindestens zwölf Monate gearbeitet hat, kann man Arbeitslosengeld I beantragen. Das ist das weithin bekannte Hartz IV. Auch Arbeiter mit einem geringen Gehalt, das jetzt auf Kurzarbeitergeld gekürzt wird, können sich beim Arbeitsamt melden und ihr Gehalt aufstocken lassen. Das geht jetzt sogar leichter. Bald können alle, die das betrifft die Grundsicherung beantragen ohne sich „nackig“ zu machen, also auch ohne allen möglichen Vermögen nachzuweisen. Diese sichert jedem ein Taschengeld von 432€, die Miete, die Nebenkosten und die Weiterversicherung bei der Krankenkasse. Aber das Ganze gilt eben nur für Leute, die in den letzten zwei Jahren mindestens zwölf Monate sozialversicherungspflichtig angestellt waren. Also Studenten, Selbstständige, Abiturienten und viele andere scheiden aus.“

Das bestätigen auch die Zahlen des Arbeitsamt Münchens. Es zeichnet sich ein deutlicher Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit ab. Dieses Jahr gibt es fast doppelt so viele arbeitslose Jugendliche zwischen 15 und 25 als noch vor einem Jahr. Die Quote liegt in diesem Alter bei 4,2% im Mai.

Ich bin nur eine von 4 311 arbeitslosen jungen Menschen in München

Jetzt stehe ich da mit einem frischen Bachelorzeugnis in der Tasche  und schaue in das schwarze Loch der Coronakrise. Aber ich bin nur eine von 4 311 arbeitslosen jungen Menschen München. Ich bin jetzt offiziell exmatrikuliert und falle aus der Krankenversicherung meiner Familie raus. Mit Versicherungen im Allgemeinen habe ich mich nur am Rande befasst. Das wäre mir jetzt sowieso bevorgestanden, aber weil ich auch nicht weiß, wie genau meine Zukunft aussieht, kann ich der Krankenkasse keine genauen Informationen geben. Gibt es auch hier eine Lösung vom Arbeitsamt?

Anne Beck: „Als Studentin fällst du nicht unter die Bestimmung der Agentur für Arbeit, die bei Personen, die in die Sozialversicherung eingezahlt haben, die Grundsicherung wie die Krankenversicherung übernehmen. Natürlich kann man uns anrufen und beraten werden und möglicherweise auch Stellen vermittelt bekommen. Man kann sich auch beim Jobcenter melden. Hier kannst du dich weiter beraten lassen. Es gibt immer noch viele Stellen in der Logistik und im Einzelhandel, die besetzt werden müssen. Das ist vielleicht nicht unbedingt das, was jeder machen möchte, aber es hilft, Zeiten wie diese zu überbrücken.“

Na dann, auf zum Jobcenter. Also nicht wirklich, denn natürlich war es zu Beginn der Pandemie für Besucher geschlossen. Von neuen und erleichterten Regeln zur Beantragung von Sozialhilfen wird mir in der Warteschleife am Telefon erzählt. Doch als ich dann eine Mitarbeiterin am Hörer habe, kann sie mir auch nichts Konkretes sagen. Die Erleichterungen wurden zwar beschlossen, aber genaue Anweisungen für die Jobcenter gab es noch nicht. Sie macht mir aber Hoffnung, dass ich alles richtig gemacht habe mich bei ihr zu melden. Ich könne versuchen, das Arbeitslosengeld II zu beantragen, das die Grundsicherung in einigen Fällen abdeckt. Ich fülle insgesamt 24 Seiten Antrag und die dazugehörenden Anlagen aus, lege noch etliche Nachweise dazu und bringe das ganze Päckchen zum Jobcenter.

Besonders in den Branchen Gastronomie und Tourismus steht es schlecht um den Berufseinstieg

 

Mittlerweile ist ein Antrag meiner Krankenversicherung eingetroffen. Diese muss ich jetzt verlängern, weil ich exmatrikuliert bin und somit neue Tarife gelten. Beim Durchlesen trifft mich dann fast der Schlag. 195,35€ soll ich monatlich zahlen. Davor war ich bei meinen Eltern als Studentin noch mitversichert und musste nichts zahlen. Wie soll ich das stemmen? Natürlich habe ich etwas beiseite gelegt. Doch das war eigentlich für ein Auto bestimmt, das ich für mein Volontariat gebraucht hätte. Nachdem das aber sowieso verschoben ist, werde ich wohl während dieser zum Teil tödlichen Pandemie lieber in eine ordentliche Krankenkasse investieren. Mit diesem hohen Betrag hatte ich trotzdem nicht gerechnet. Dann kommt noch die Miete dazu, Nebenkosten und irgendetwas muss ich auch noch essen.

Obwohl ich mich so alleine in dieser Situation fühle, weiß ich, dass ich nicht die Einzige bin, die gerade in der Klemme steckt. Im Mai waren in München 45 706 Personen arbeitslos gemeldet. Die Corona-Krise wird besonders deutlich, wenn man die Zahlen mit denen des Vorjahres vergleicht. 2019 lag die Arbeitslosenquote in München bei nur 3,4 Prozent. Damals gab es 1.859 junge Arbeitslose in München jetzt sind es mit 4.311mehr als doppelt so viel.

Besonders in den Branchen Gastronomie und Tourismus steht es schlecht um den Berufseinstieg. Auch Daniel ist von der Schließung der Gastronomie betroffen. Der erst 22-Jährige hatte vor der Pandemie ein Start-up gegründet, das eine Planungssoftware für Bars entwickelt. Die Nachfrage dafür ist natürlich komplett zum Erliegen gekommen. Er hatte sich auch finanziell weit aus dem Fenster gelehnt. Um sich nicht schon in so jungen Jahren zu verschulden, fängt er jetzt an, bei einem Paketdienst zu arbeiten. Er hat zwar keine Erfahrungen damit, aber er ist gezwungen, sich jetzt irgendwie über Wasser zu halten. Das ist gerade ein Trend auf dem von Corona gebeutelten Arbeitsmarkt.

Anne Beck: „Die Jobs, die man auch ohne Abschluss ausüben kann, die sogenannten Helferjobs, werden mit vielen Bewerbern überflutet, die nur zurzeit eine Anstellung brauchen. Dafür gibt es in einigen Bereichen eine große Nachfrage. In der Logistik und in der Pflege kann man viele Angebote finden. Und ein weiterer Trend zeichnet sich ab: Obwohl die Arbeitslosigkeit sichtbar gestiegen ist, wollen die meisten Betriebe ihre Fachkräfte und somit auch ihre Auszubildenden halten. 2019 gab es einen Überschuss an Ausbildungsplätzen, der nun besetzt werden könnte.“

„Wir raten allen Jugendlichen trotz Corona-Krisenmodus ihre beruflichen Perspektiven nicht aus den Augen zu verlieren“

Die Agentur für Arbeit München meldet 4 869 unbesetzte Ausbildungsstellen (Vorjahr: 5 544). Rein rechnerisch stehen 1,4 Stellen pro Bewerber zu Verfügung. Aber natürlich muss man doch eher flexibel sein und kann nicht auf die eine spezielle Stelle beharren, die man gerne hätte.

Wilfried Hüntelmann, der Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit München, legt den Jugendlichen ans Herz, nicht den Kopf hängen zu lassen: „Wir raten allen Jugendlichen, die in diesem Jahr ihren Schulabschluss machen oder derzeit ohne Job sind, trotz Corona-Krisenmodus ihre beruflichen Perspektiven und Wünsche nicht aus den Augen zu verlieren. Es geht was: Wir haben in sehr vielen Berufen offene Ausbildungsstellen. Ich freue mich, dass die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe weiterhin groß ist.“

Außerdem verzeichne der Mai einen langsamen Wiederanstieg der Nachfrage von Fachkräften. Immerhin gibt es ein Sechstel mehr Stellenausschreibungen als noch im April. Und über 3 300 Münchener konnten wieder ihren Lebensunterhalt verdienen.

 

Die Arbeiten, die normalerweise oft unterbezahlt und auch wenig beachtet werden, sichern nicht nur die Grundbedürfnisse der Gesellschaft, sondern fangen auch Personen aus den verschiedensten Milieus auf. Hier kann man Arbeit und Bezahlung finden. Vielleicht wird die Generation SARS-2 eine dankbare. Dankbar über einen Job, um über die Runden zu kommen. Dankbarer durch die Einblicke in Berufe, die man ansonsten nur von außen betrachtet hätte. Dankbar für die Arbeit von Postbot*innen, Pfleger*innnen und Kassierer*innen. Vielleicht versteht diese Generation erst jetzt, was es heißt, hart zu arbeiten. Aus der behüteten Umgebung von Schule und Uni gerissen zu werden und sich in so einer Situation wieder zu finden, kann frustrieren und beängstigen. Andererseits erhält man einen besseren Überblick über die Vielfalt des Arbeitsmarktes, die Höhe von Gehältern und die tatsächliche Arbeit, die hinter Berufen steckt. Es bleibt zu hoffen, dass das die Komplikationen aufgrund des Virus bald verschwinden, aber der Respekt bleibt.

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