Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

„Das Auslandssemester hat einfach zu viel verändert“

Fotos: Rob Bye, Gades Photography, Frank Mckenna, Unsplash / Collage: jetzt.de

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Jedes Jahr gehen Tausende Studenten für ein Semester oder länger ins Ausland, um dort zu studieren, eine fremde Stadt kennenzulernen und neue Leute zu treffen. Viele bezeichnen Erasmus sogar als die beste Zeit während ihres Studiums.

Aber was macht ein Auslandssemester mit einer Beziehung? Wie wirkt sich die Distanz auf das Verhältnis zum Partner aus? Wird man ihn bei all der Ablenkung überhaupt vermissen? Schafft man es, in Kontakt zu bleiben und den anderen am neuen Leben teilhaben zu lassen? Und wie geht es dem, der zurückbleibt? Kann er in dieser Zeit ruhig schlafen?

Wir haben mit fünf Menschen gesprochen, die während Erasmus eine Fernbeziehung geführt haben – und damit sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben.

Melanie, 23, ging für ein Semester nach Budapest, während Thomas, 23, in Stuttgart blieb

Melanie:

„Nach dem Abi war ich für ein halbes Jahr in Australien, deswegen wusste ich schon, wie es ist, Thomas für längere Zeit nicht zu sehen. Eigentlich war ich immer diejenige, die viel ausprobiert hat, und Thomas eher derjenige, der zu Hause geblieben ist. Für mich war das Erasmussemester sehr aufregend, es war immer Action, ich hatte viel zu tun. Ich wusste, wie das Leben meines Freundes zuhause ist. Deswegen glaube ich, dass es für die, die zuhause bleiben, grundsätzlich schwieriger ist. Wenn man einen neuen Alltag hat, ist es einfacher. Alles ist neu und man hat dauernd Ablenkung. Wir haben viel telefoniert, aber das kann das persönliche Sehen natürlich nicht ersetzen.

Einmal hat mein Freund mich für eine Woche besucht. Ich glaube, er hat die Tage bis dahin gezählt. Mir ging das nicht so. Während Erasmus ist man einfach anders drauf, da lässt man es gerne mal krachen. Jeder ist gut gelaunt, und Thomas hatte sein ‚normales‘ Leben zu Hause, deswegen kann ich auch verstehen, dass er manchmal eifersüchtig war. Unser Alltag war einfach komplett unterschiedlich. Er kannte ja die Leute nicht, von denen ich ihm immer erzählt habe. Da konnte es schon mal vorkommen, dass er komisch reagiert, wenn ich wieder ausgegangen bin oder mich mit Freunden getroffen habe. Das hat es schon schwer gemacht.

Als das Semester zu Ende war, hat er mich vom Zug abgeholt. Eine Post-Erasmus-Depression hatte ich eigentlich nicht, aber ich kenne viele, für die die Zeit nach dem Semester sehr hart war. Vielen fällt es schwer, wieder in den Alltag zurückzufinden, weil man im Erasmus fast nur Highlights hat.

Als ich zurückgekommen bin, hat sich aber alles direkt wieder so normal angefühlt, als wäre ich nie weg gewesen. Ich habe mich nicht fremd gefühlt, mein Freund und meine Freunde haben mir die Rückkehr einfach gemacht. Ich habe mit meiner WG gekocht, wir hatten Mädelsabende, wir haben Städtetrips gemacht. Irgendwann ist eben auch die schönste und wildeste Zeit zu Ende – ewig hält man den Erasmus-Lifestyle sowieso nicht durch.“

Thomas:

„Melanie hat erst kurz vor Ende der Frist die Zusage erhalten. Ich hab ihr natürlich gesagt, dass sie das machen soll, aber begeistert war ich nicht.

Nach dem Abi war sie schon einmal sechs Monate weg, deswegen war die Situation für mich nicht komplett neu.

Die Erasmuszeit ist für den, der zuhause bleibt, nicht einfach. Derjenige, der ins Ausland geht, ist ständig unterwegs, hat immer was zu tun und geht oft feiern. Für mich war das natürlich nicht so geil, aber man muss es halt akzeptieren. Man denkt sich natürlich manchmal: Jetzt geht sie schon wieder feiern. Es gab auch Momente, in denen ich auf Whatsapp oder Facebook Bilder gesehen habe, wo sie mit anderen Jungs zusammen war. Ich dachte in der Zeit immer: Es sind nur vier Monate, das hält man schon irgendwie durch. Ich habe mir eingeredet, dass es bald vorbei ist. Einmal habe ich sie besucht und bin für eine Woche geblieben. Die Zeit, bevor ich sie besucht habe, wurde irgendwann immer komischer für mich. Aber nachdem ich dort war, fühlte ich mich besser.

Ab und zu haben wir geskypt und natürlich über Whatsapp geschrieben. Aber es ist schwierig, wenn man zuhause sitzt und sich Gedanken macht, wo sie gerade ist, was sie so macht und welches Leben sie führt. Da hat man dann vielleicht nicht immer Lust, zurückzuschreiben oder antwortet ein bisschen knapper. Dann kam aber sofort die Gegenfrage: ,Was ist los?‘“

Niklas, 21, studierte in Tübingen, während seine Freundin Julia, 20, für ein Semester nach Wien ging

Niklas:

„Ich war natürlich traurig, als meine Freundin ging, aber man muss sich eben dran gewöhnen. Und ich hatte genug Zeit, mich darauf einzustellen. 

Wir haben versucht, jeden Tag zu skypen. Eigentlich hatten wir keine Kommunikationsprobleme. Wien ist zum Glück nicht weit weg, also konnte ich sie besuchen. Wenn sie in New York gewesen wäre, wäre das schwieriger geworden.

Über ihren Alltag im Erasmus habe ich mir gar nicht so viele Gedanken gemacht. Ich habe mich für sie gefreut, wenn sie Spaß hatte dort, ich wusste ja immer, was sie so macht, weil sie mich immer auf dem Laufenden gehalten hat. Als sie wieder zuhause war, habe ich eigentlich keine Veränderung an ihr festgestellt. Ihr hat das Erasmussemester gut gefallen, aber sie war auch froh, wieder daheim zu sein.

Ich würde allen, deren Partner ins Ausland gehen, empfehlen, es nicht zu dramatisch zu sehen. Die Zeit geht schneller rum, als man denkt. Viel Kontakt halten macht es einfacher.“

Julia:

„Für unsere Beziehung war mein Aufenthalt in Wien eigentlich kein Problem. Natürlich habe ich meinen Freund vermisst und am Anfang war es eine neue Situation, wieder ‚allein‘ zu sein, weil wir in Deutschland zusammengewohnt haben. Aber mit der Zeit habe ich mich daran gewöhnt.

Wir haben fast täglich telefoniert und geskypt. Darauf habe ich mich eigentlich immer gefreut und durch die Smartphones ist es nicht mehr schwer, in Kontakt zu bleiben.

Er hat mich auch zwei Mal besucht und an Weihnachten haben wir uns auch gesehen, weil ich nach Hause gekommen bin. Die Besuche waren für ihn wie Kurzurlaub, weil wir so viel Zeit wie möglich miteinander verbracht haben. Die Tage haben wir dann echt genossen. Gegen Ende des Semesters hab ich mich schon sehr darauf gefreut, wieder mit ihm zusammenzuwohnen. Das Wiedersehen war super.

Wenn man wirklich treu bleiben will, schafft man es auch, eine Zeit lang keinen Sex zu haben. So ging es mir zumindest. Wenn Beziehungen in die Brüche gehen, ist Erasmus nicht die Ursache. Dann liegen die Probleme woanders, sie werden nur durch das Erasmussemester sichtbar. Wenn jemand es als Last empfindet in Kontakt zu bleiben, zeigt das doch nur, dass die Person einem nicht besonders wichtig ist. Ich glaube, man merkt in dieser Zeit, ob eine Beziehung schlecht ist, weil man sich vielleicht nicht genug wertschätzt, weil man sich für den anderen nicht genug interessiert oder weil man sich nicht vertraut.“

Malena, 20, kam aus Buenos Aires für sechs Monate nach Wien – und machte mit ihrem Freund Schluss:

„Ich bin nach Wien gegangen, um dort Kurse in Kommunikationswissenschaft und Journalistik zu belegen. Als ich aufbrach, war ich mit meinem Freund gerade sechs Monate zusammen. Ich musste anfangs oft an ihn denken, habe ihn sehr vermisst. Er hat damals für die Lufthansa gearbeitet, also konnte er günstig fliegen. Nach einem Monat hat er mich in Wien besucht.

Aber als er zurück nach Argentinien ging, trennten wir uns. Wir haben schon geahnt, dass es kompliziert werden würde, die Zeitverschiebung und die Entfernung haben unsere Beziehung unheimlich schwierig gemacht. Wir konnten kaum in Ruhe miteinander reden. Das hat uns sehr traurig gemacht, weil wir uns immer noch geliebt haben. Wir dachten, wenn wir uns trennen, würden wir uns nicht mehr vermissen. Das hat aber nicht wirklich funktioniert. Im Nachhinein war das ein ziemlich dummer Fehler.

In Wien hatte ich dann eine Art Affäre. Ich hatte einige Dates mit einem Jungen aus der Schweiz, dem es ähnlich ging wie mir. Wir haben nichts Ernsthaftes angefangen, weil wir wussten, dass es nur für eine kurze Zeit sein würde.

Ich war sehr glücklich in Wien, ich hatte viel Spaß, ich habe viele neue Erfahrungen gemacht, neue Freunde gefunden. Als ich nach sechs Monaten zurück nach Argentinien kam, habe ich meinen Ex-Freund wiedergesehen. Ich habe ihm erzählt, was in Wien alles passiert ist. Wir wollten es langsam wieder miteinander versuchen – aber irgendwie stand das, was während dieses Auslandssemesters passiert ist, immer zwischen uns.

Nach meinem Aufenthalt in Wien war es sehr hart, zurück nach Argentinien zu kommen und in den Alltag zu finden. Wieder in Buenos Aires zu sein, bei den Eltern zu wohnen, das war schon sehr seltsam und es hat einige Zeit gedauert, bis ich mich an all die Routine wieder gewohnt hatte. Ich glaube, das war auch ein Problem, warum wir nicht mehr zusammengekommen sind. Das Auslandssemester hat einfach zu viel verändert.“

Mehr zum Thema Erasmus:

  • teilen
  • schließen