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„Viele Orte bekommen ihr Wasser von Lastwagen geliefert“

Carlos lebt in Chile. Er glaubt, dass die Wasserknappheit noch zu vielen Kriegen führen wird.
Foto: Carlos Segovia

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Die Auswirkungen der Klimakrise bedrohen die Lebensgrundlage von Menschen weltweit. An manchen Orten sind die Folgen schon heute besonders zu spüren. In den Klimatagebüchern berichten Menschen davon, wie sich das Leben in ihren Regionen durch die Klimakrise verändert.

In der neunten Folge berichtet Carlos Segovia, 33, aus Chile, wie sein Heimatort Calama von einer Oase zu einem Wüstenort wurde und warum er die Industrie in der Verantwortung sieht.

„Ich weiß noch genau, wie dieser Ort früher aussah. Er war viel grüner, eine Oase in der Wüste. Ich bin in der Nähe der Stadt Calama geboren, habe dann an verschiedenen Orten in ganz Chile gelebt und bin jetzt wieder in Calama. Heute ist es normal, das Wasser in Plastikflaschen zu kaufen, früher haben wir Leitungswasser getrunken. Wir hatten hier früher vier Jahreszeiten – heute gibt es nur noch zwei: heiße, trockene Sommer und kalte, trockene Winter. Die Gegend leidet seit mehr als zehn Jahren unter einem Wasserdefizit. Mittlerweile ist die Trockenheit die Norm. Dass es so trocken ist, liegt daran, dass der Río Loa, der größte Fluss des Landes, sich aus Regen- und Schneefällen aus den Anden speist. Aber dort regnet und schneit es immer weniger – eine Folge des globalen Klimawandels. 

Der Río Loa liegt in einem großen Canyon, verglichen mit früher ist er heute allerdings nur noch ein kleines Rinnsal. Die Auswirkungen der Dürre sind deutlich spürbar: Es gibt immer weniger Grünflächen und dadurch schlechtere Luftqualität. Viele Gemeinden bekommen ihr Wasser mit Lastwagen geliefert. Zusätzlich verschmutzt der Bergbau das Wasser, die Unternehmen leiten ihre Abfälle in den Fluss – viele Menschen hier erkranken an Krebs oder leiden an einer Staublunge. Es wird auch immer schwieriger, im kleinen Stil Landwirtschaft oder Eigenanbau zu betreiben, weil es sich einfach nicht lohnt. Nur große Landwirtschaftsbetriebe können die hohen Wasserpreise zahlen. Noch haben wir zwar Wasser, aber wir müssen damit rechnen, dass der Río Loa in zehn Jahren verschwunden sein wird. Im Süden Chiles gibt es ein weiteres Wasserproblem: Dort haben Papierfirmen weite Teile der natürlichen Vegetation abgeholzt und stattdessen Plantagen mit Eukalyptusbäumen und Kiefern gepflanzt, da die für die Papierproduktion geeignet sind. Die ursprünglichen Baumarten waren an die Trockenheit angepasst, die neuen Arten brauchen aber viel mehr Wasser und trocknen deshalb die Böden vollkommen aus. Das Ergebnis ist, dass es in dieser Region immer mehr Waldbrände gibt.

Ein anderes großes Thema in Chile ist die Privatisierung des Wassers. In der Stadt Calama wird das wenige Flusswasser zu einem großen Teil von Chuquicamata genutzt, der größten Kupfermine der Welt. Der Kupferabbau braucht viel Wasser. Es ist eine schreckliche Logik, dass Wasserrechte Unternehmen zugewiesen werden, während die Bevölkerung leidet. Ich glaube, in Zukunft werden wir noch viele Kriege um Wasser erleben. Dabei befinden wir uns schon jetzt in einer Art finanziellem Krieg: Dort, wo das Wasser knapp wird, können es sich nur Menschen mit Geld noch im Supermarkt leisten. Wir leben ohnehin in einer sehr trockenen Region, da trifft uns die Dürre besonders stark. Viele schwächen das Problem ab und behaupten, wir könnten, wenn die Trockenheit zu groß wird, ja einfach Entsalzungsanlagen nutzen. Damit der Kupferabbau wie gehabt weitergehen kann und es zu keinem wirtschaftlichen Kollaps kommt. Aber was passiert mit dem Salz, das übrigbleibt? Es versalzt die Böden und der Wind verteilt es überall. Das wiederum beschleunigt den Wüstenbildungsprozess.

Leider habe ich das Gefühl, die Menschen hier wachen einfach nicht auf. Ihnen ist nicht bewusst, wie wichtig das Wasser wirklich ist. Viele schmeißen ihren Müll in den Fluss. Es braucht politische Maßnahmen für einen besseren Umgang mit dem Wasser: Eine davon wäre Umweltbildung, schon vom ganz jungen Kindesalter an. Wir müssen zudem viel mehr regenerative Energien nutzen, wir hätten hier so viele Möglichkeiten für Solar- und Windenergie. Der erzeugte Strom sollte dann aber vor allem der Bevölkerung zur Verfügung stehen – und nicht der Industrie, wie es bisher oft passiert. Es braucht unbedingt einen ehrlichen Austausch zwischen Politik und den Menschen, um aufzuzeigen, was genau sie brauchen und welche Maßnahmen helfen könnten. Wir sollten das Wasser wieder in öffentliche Hand geben und uns fragen: Wollen wir eine Wirtschaft für die Menschen oder Menschen für die Wirtschaft?

Denn die aktuelle Situation in Chile ist ein einziger Widerspruch: Wasser ist knappes Gut, wir müssten es sparen – aber das wenige Wasser, das es gibt, verwendet die Industrie. Wir brauchen strengere Gesetze und härtere Strafen für Unternehmen, die umwelt- und klimaschädlich agieren. Ich weiß, Veränderungen brauchen Zeit, aber ich bin ungeduldig. Und vieles könnte schneller gehen. Die Trockenheit und der Wassermangel hier machen mir Angst um meine eigene Zukunft, aber auch um die meiner sechsjährigen Tochter und die der Generationen nach ihr. Sie kann bereits manche Dinge nicht mehr erleben, die ich noch erlebt habe: Als ich klein war, haben wir nie Wasser in Flaschen gekauft – für sie ist das komplett normal. Es ist hart, zu viel darüber nachzudenken, wie ihre Zukunft aussehen könnte. Es macht mir Angst. Auf der anderen Seite sind gerade Kinder für mich ein Hoffnungsschimmer: Sie haben die Möglichkeiten, alles anders zu machen und neue Wege zu gehen. Irgendwann werden diejenigen, die gerade die Politik bestimmen, nicht mehr da sein, und auch ihre schlechten Ideen und Vorstellungen sterben aus. Es gibt viele junge Leute mit guten Einfällen – am Ende kommt der Wandel immer durch die Menschen!“

Mehr Informationen zu den Auswirkungen der Klimakrise in Chile:

Chile ist eines von 18 Ländern weltweit, die am extremsten von Wasserknappheit betroffen sind. Dadurch ist das lateinamerikanische Land besonders anfällig für die Auswirkungen des Klimawandels. Wissenschaftler:innen gehen davon aus, dass Extremwetterverhältnisse stark zunehmen werden, besonders Dürren, Waldbrände und Überflutungen. Besonders die Wasserknappheit hat Konsequenzen auf die Landwirtschaft und die Nahrungsmittelversorgung: Ausbleibende Regenfälle in den Anden beeinflussen die Wasserversorgung im ganzen Land. 

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