Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

„Mein Leben wurde von Supertaifun Haiyan zerstört“

Dass man noch immer für das Recht auf einen gesunden Planeten demonstrieren muss, bezeichnet Marinel als „absurd“.
Foto: Privat

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Die Auswirkungen der Klimakrise bedrohen die Lebensgrundlage von Menschen weltweit. An manchen Orten sind die Folgen schon heute besonders zu spüren. In den  Klimatagebüchern  berichten Menschen davon, wie sich das Leben in ihren Regionen durch die Klimakrise verändert.

In der siebten Folge berichtet Marinel Ubaldo, 25, von den Philippinen, wie ihr Haus und ihre Kindheit vor zehn Jahren von Taifun Haiyan zerstört wurden. Dass sie und andere Klimaaktivist:innen heute immer noch für das Recht auf einen gesunden Planeten demonstrieren müssen, bezeichnet sie als „absurd“.

„2013 wurde mein Leben von Supertaifun Haiyan zerstört. Am Tag vorher half ich noch gemeinsam mit einer Gruppe Freund:innen, die Häuser und Gebäude auszuwählen, die bei Stürmen als sicher galten. Denn die Behörden hatten den Taifun angekündigt und Stürme sind an sich nichts Besonderes auf den Philippinen. Wir erleben hier im Durchschnitt 21 Taifune pro Jahr. Zwar redeten in den Tagen zuvor schon alle von einem Supertaifun, aber so richtig ernst nahm das niemand. Die Menschen wetteten sogar miteinander, wie stark der Sturm werden würde. Und mein Großvater wollte sein Haus gar nicht erst nicht verlassen, weil es schon so vielen anderen Stürmen getrotzt hatte. Es war ein sonniger Tag, niemals hätten wir gedacht, dass der nächste so desaströs werden würde.

In der kommenden Nacht traf der Sturm um drei Uhr nachts auf unsere Insel. Der Strom fiel aus und mein Vater zwang mich, in das Safehouse zu flüchten. Es war dieses Mal das Gebäude meiner alten Kita. Ich hatte nur eine kleine Tasche dabei, darin ein Lexikon, ein Buch, ein Stift, ein Notizblock, mein Handy und ein Ladekabel. Kleidung hatte ich gar nicht erst mitgenommen, weil ich dachte, wir würden am nächsten Tag – wie sonst immer – in unser Haus zurückkehren. Mitten in der Nacht wachten wir von den Schreien anderer Einwohner:innen auf. Es waren vor allem Kinder und junge Menschen, die Angst um ihre älteren Verwandten hatten. Doch wir konnten ihnen nicht helfen, weil wir uns sonst selbst in Lebensgefahr gebracht hätten. Irgendwann mussten wir uns in eine andere Ecke des Raumes quetschen, die Fenster dort zersplitterten und mein Vater wurde verletzt. Ich sah, wie Häuser zusammenbrachen, von denen ich gedacht hatte, sie seien unzerstörbar. Große Bäume knickten einfach um. Die Wellen der Sturmflut draußen waren bis zu sieben Meter hoch – und hinzu kam noch ein Erdbeben. Menschen rannten vor den Wellen weg und hielten dabei ihre Kinder in den Armen. Das heulende Geräusch, das der Wind in dieser Nacht machte, kann ich auch zehn Jahre später nicht wirklich beschreiben. Es schien aus den Tiefen der Erde zu kommen.

Wir wurden angewiesen, in die Berge zu flüchten. Aber durch Wind und Regen lockerten sich riesige Felsbrocken, die die Berge herunterstürzten. Wir konnten also nirgends hin. Es war wirklich so, wie das Ende der Welt in Filmen oft dargestellt wird. Gegen sechs Uhr morgens erfuhren wir von meinem Cousin, dass unser Haus zusammengebrochen war. Ich habe ihm nicht geglaubt, schließlich hatte unser Haus so viele Taifune überstanden. Also schlich ich mich heimlich hinaus, mein Vater hätte das nie erlaubt. Unser Haus und viele weitere waren komplett überschwemmt. Sofas und Betten schwammen auf dem Ozean. Ich sah die Körper von toten Menschen im Wasser. Mein Großvater rannte weinend auf mich zu – ich war so dankbar, dass er überlebt hatte.

Anschließend waren wir fünf Tage lang komplett von der Außenwelt abgeschnitten, ohne Nahrung. Wir konnten nicht einmal fischen, weil die Fische vielleicht die Körper unserer toten Nachbar:innen angefressen hatten. Völlig nass und durchgefroren hofften und warteten wir auf Rettung. Doch die Regierung hatte unser Dorf abgeschrieben, denn sie dachten, auf unserer Insel hätte ohnehin niemand überlebt. Nach fünf Tagen fand uns ein amerikanischer Helikopter, als er eigentlich einer Nachbargemeinde helfen wollte. Unsere Rettung war also pures Glück.

Dieser Taifun war für mich ein Wendepunkt. Ich beschloss, mich aktiv für eine bessere Zukunft einzusetzen. Denn ich will nicht nur Opfer der Klimakrise sein – sondern auch Teil der Lösung. Im Jahr 2015 wurde ich zur COP21 nach Paris eingeladen und sprach bei der Eröffnung darüber, was mir passiert ist. Dort merkte ich, dass wir uns auf den Philippinen immer nur um unsere Probleme sorgten: um den Anstieg des Meeresspiegelanstiegs und um Stürme. Wir waren uns damals nicht bewusst, dass nicht nur wir unter der Klimakrise litten. In Paris merkte ich, wie viele Menschen sich bereits gegen die Klimakrise einsetzen. Wir alle wollen nicht nur unsere eigene Zukunft schützen, sondern auch die der nächsten Generationen. Meine Kinder sollen einmal sicherer leben als wir.

Es erscheint mir völlig absurd, dass wir noch immer für unser Recht auf einen gesunden Planeten einstehen müssen. Dabei sind wir und so viele andere der lebende Beweis dafür, wie real die Klimakrise ist. Meine Geschichte ist nur eine von tausenden – so viele von ihnen werden nie Gehör bekommen. Aber auch ich will nicht länger nur ein Aushängeschild sein und immer wieder meine traurige Geschichte erzählen. Ich will in Entscheidungsprozesse involviert sein. Die Menschen an der Weltspitze denken oft, sie wüssten am besten, was wir brauchen. Sie entscheiden über die Köpfe der betroffenen Menschen hinweg, ohne sie einzubeziehen.

Es macht mich traurig, wie trotz der vielen Umweltkatastrophen so viele Menschen noch immer nicht verstehen, dass die Klimakrise uns alle betrifft. Vollkommen gleich, wer du bist, was dein Lebensstandard ist, wo du wohnst oder in welchem Elfenbeinturm du dich befindest. Die meisten denken, es geht nur um Überflutungen oder Extremwetter. Dabei fängt es viel früher an, zum Beispiel damit, wie sehr unsere Ernährungssicherheit gefährdet ist. Die Klimakrise betrifft uns alle – von Kopf bis Fuß.“

Mehr Informationen zu den Auswirkungen der Klimakrise auf die Philippinen:

Der Supertaifun Haiyan kostete auf den Philippinen mehr als 7300 Menschen das Leben und hat komplette Ortschaften auf der Inselkette vernichtet. 12 Millionen Menschen waren unmittelbar von dem Sturm betroffen. Mit mehr als 300 Stundenkilometern krachte er im November 2013 auf das Land, damit ist er einer der stärksten jemals gemessenen Stürme der Welt. Die Weltbank stuft die Philippinen als Land ein, das besonders durch die Folgen der Klimakrise gefährdet ist. Laut Wissenschaft können als eine Folge der menschengemachten Erderhitzung tropische Stürmen in Häufigkeit und Intensität zunehmen. Grund dafür ist die Erwärmung der Ozeane: Sind die Meere wärmer, verdunstet mehr Wasser, das in die Atmosphäre aufsteigt. Mehr Feuchtigkeit in den Wolken führt dazu, dass sich die Stürme intensivieren.

  • teilen
  • schließen