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„Für den Wein sind die Klimaveränderungen fatal“

Foto: Privat

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Die Auswirkungen der Klimakrise bedrohen die Lebensgrundlage von Menschen weltweit. An manchen Orten sind die Folgen schon heute besonders zu spüren. In den Klimatagebüchern berichten Menschen davon, wie sich das Leben in ihren Regionen durch die Klimakrise verändert.

In der fünfzehnten Folge berichtet Silvia Caprara, 27, aus der norditalienischen Stadt Verona. Sie ist Winzerin wie ihr Vater – und hat in wenigen Jahren schon fast so viele schlechte Wein-Ernten erlebt er. Sie erzählt, welche katastrophalen Folgen der Klimawandel und das Extremwetter, das er verursacht, für den Weinbau in der Region haben.

„Als junger Mensch habe ich die Klimaveränderungen natürlich nicht über einen so langen Zeitraum beobachtet wie meine Eltern und Großeltern. Aber auch in drei Jahren habe ich viel mitbekommen. Die Erntezeit hat sich verschoben: Früher begann sie im September und war im November zu Ende. Meine Oma hat mir erzählt, teilweise lag schon Schnee, wenn sie fertig wurden. Heute starten wir im August mit der Ernte – und sind Mitte Oktober fertig.

Für uns Winzer:innen ist es sehr schwierig geworden, etwas zu planen, denn das Wetter ist unvorhersehbar geworden. In diesem Jahr hatten wir zuerst drei Monate ohne Regen, das war total verrückt. Dann hat es über Wochen nur noch geregnet. Das ist sehr kritisch, weil sich in feuchter Umgebung Krankheiten und Schädlinge viel schneller ausbreiten. Aber am schlimmsten ist für uns der Hagel. Er macht die Trauben kaputt und wir verlieren oft große Teile der Ernte. Früher kam es nur im Mai, Juni und September zu Hagelstürmen.

Heute kann es quasi jeden Tag passieren. Wir hatten im Frühjahr mehrmals Hagel, obwohl es dann normalerweise noch zu kalt ist. Denn Hagel entsteht, wenn sehr warmes Wetter auf eine Kaltfront Regen trifft. Im April vor drei Jahren waren vor dem Hagel schon die ersten Blätter zu sehen. Die sind zum Glück nachgewachsen, aber die Blüten wurden zerstört. Das war eine wirklich schlechte Ernte.

Unter den Klimaveränderungen leiden Qualität und Menge des Weins

Wir können uns kaum auf eine Wetterlage einstellen. Und alle Extreme sind ein Problem für uns: Zu viel Sonne und Hitze bedeutet, die Trauben brauchen mehr Wasser und werden schneller matschig. Bei zu viel Niederschlag steigt das Risiko für Schimmelbefall. Hagel zerstört Teile der Ernte und die Trauben schimmeln schnell. Mein Vater ist fast 60 Jahre alt. In seiner Zeit als Winzer hat er drei bis vier schlechte Ernten erlebt. Ich arbeite jetzt seit drei Jahren als Winzerin und ich habe schon zwei schwierige Jahre mitbekommen. Ich glaube, wir müssen uns auf eine harte Zukunft einstellen. Man braucht auf alle Fälle eine gute Versicherung, da sich schlechte Ernten wahrscheinlich häufen werden.

Unter den Klimaveränderungen leiden am Ende sowohl Qualität als auch Quantität des Weins. Hitze kann den Säuregehalt der Trauben reduzieren, der den Zuckeranteil einer Weinsorte ausbalanciert. Zu viel Regen verwässert die Trauben, senkt die Zucker- und damit letztlich die Alkoholkonzentration. Solche Veränderungen sind für uns in der Weinindustrie fatal, weil sich Weinsorten durch ihren typischen Geschmack auszeichnen. Wenn er sich verändert, ist es ein anderer Wein.

Wenn es sehr feucht ist, haben wir viele Probleme durch Falschen Mehltau, eine Pflanzenkrankheit, die Blätter und Reben befällt. Wir sind ein konventioneller Weinbetrieb und versuchen, so wenig systemische Behandlungen einzusetzen wie möglich – also nur, wenn es die Situation erfordert. Glücklicherweise haben wir unter den Dürren der letzten Jahre nicht so sehr gelitten wie andere Regionen, wir haben zumindest derzeit noch genug Wasser, um unsere Trauben zu bewässern. In der Toskana zum Beispiel haben viele Weinbetriebe mit Trockenheit zu kämpfen.

Wir stellen unseren Betrieb derzeit schon auf mehr touristische Aktivitäten um

Natürlich hoffe ich, in meiner Lebenszeit trotz Klimakrise weiterhin als Winzerin arbeiten zu können. Aber ich habe auch einen Plan B: Wir stellen unseren Betrieb derzeit auf touristischere Aktivitäten wie Weinproben und Führungen durch das Weingut um. Das macht mir nicht so viel Spaß wie unsere andere Arbeit, aber es ist nötig. Ich habe Chemieingenieurswesen studiert, damit habe ich zumindest auch eine solide Ausbildung, falls es mit dem Wein nicht mehr gehen sollte.

Die Klimakrise macht mir Angst. Vor allem, weil niemand weiß, wo es wirklich hingeht. In 30 bis 40 Jahren könnte die Winzerei hier fast unmöglich sein. Aber ich habe auch die Hoffnung, dass wir noch Zeit haben, etwas zu tun. Ich habe zum Beispiel das Gefühl, die katholische Kirche könnte eine größere Rolle spielen als man denken könnte: Vor einigen Wochen hat der Papst einen offenen Brief geschrieben, in dem er auch die Teilnehmenden der Weltklimakonferenz (COP) im November adressiert und die Entscheidungstragenden auffordert, nicht nur zu reden, sondern endlich zu handeln. Ich finde das sehr spannend, weil er in seiner Funktion eine ganz andere Zuhörerschaft hat und viele davon vielleicht das Thema Klimakrise nicht so auf dem Schirm haben.

In diesem Jahr werde ich an der COP in Dubai teilnehmen, weil ich Teil der World Farmer’s Organisation, einer weltweiten Organisation für Landwirt:innen bin. Im Rahmen dieses Programmes nehme ich mit anderen jungen Farmer:innen aus der ganzen Welt an Online-Kursen teil. Wir beschäftigen uns mit Capacity Building, also der Frage, wie man die Fähigkeiten unserer Communities zur Anpassung an globale – darunter auch klimatische – Veränderungen stärken kann. Außerdem lernen wir dort viel über Storytelling und Rhetorik.

Die erlernten Fähigkeiten können wir dann auch bei der COP einbringen: Dort dürfen wir unsere Erfahrungen bei Nebenveranstaltungen teilen. Ich arbeite dafür eng mit einem jungen Mann aus Uganda und einer Frau aus Malawi zusammen. Das ist sehr spannend, weil wir so unterschiedliche Lebensrealitäten und Erfahrungen haben und sie miteinander teilen. Bei der COP treffe ich sie und die anderen knapp 20 Teilnehmer:innen aus dem Programm endlich persönlich. Wir werden dort über die Klimakrise sprechen, über politische und wirtschaftliche Strategien.

Es ist so schwer, das gesamte Bild zu erfassen. Auch das macht die Klimakrise so beängstigend, weil es mich vor die Frage stellt: „Können wir das alles schaffen?“ Damit sich wirklich etwas verändert, müssen alle Seiten sich einsetzen. Einerseits wir alle aus der Gesellschaft, anderseits braucht es Regelungen durch die Politik. Hier in Europa führen viele ein sehr komfortables Leben. Es braucht Regeln und Gesetze, damit wir uns umstellen.

Ich habe große Hoffnung in jüngere Menschen. Es ist wichtig, dass wir mitreden, denn wir sind eher dazu bereit, zuzuhören und Kompromisse einzugehen, um Lösungen zu finden. Ich glaube, es braucht junge Menschen in der Politik, auch in Italien. Wir stehen ähnlich da wie andere europäische Länder in der Klimapolitik, wir kommen nicht ins Handeln.

Derzeit ist die Lage hier in Bezug auf den Klimaschutz schwierig, trotzdem glaube ich weiter an die Demokratie. Deswegen will ich mich zumindest lokal in meinem Dorf politisch engagieren. Wenn ich das erzähle, warnen mich viele, ich würde enttäuscht werden. Aber es ist einfach, sich zu beschweren und nichts zu tun. Ich muss mich für meine Zukunft einsetzen.“

Mehr Informationen über die Klimakrise in Italien

Italien war vor allem in den letzten Jahren stark von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen: Vergangenes Frühjahr war durch die heftige Winterdürre in Norditalien der Wasserpegel des Gardasees so niedrig, dass eine Landbrücke auftauchte. Auf die Trockenheit folgten im Mai Starkregenfälle. Die ausgelaugten Böden konnten die Wassermassen nicht aufnehmen. Mindestens neun Menschen kaman ums Leben, 20 000 wurden obdachlos.

Ohne schnelle Maßnahmen könnte das Land durch die Folgen der Klimakrise bis 2050 3,7 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes verlieren. Italien ist für 0,87 und Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich und hat damit pro Kopf eine 20 Prozent höhere CO2-Emissionsrate als der Weltdurchschnitt. Seit Antritt der rechtsextremen Regierung unter Giorgia Meloni im Oktober 2022 steht in Italien Klimaschutz sehr weit hinten an. Die Klimakrise wird von Meloni und ihren Partei-Kolleg:innen immer wieder heruntergespielt. Und das, obwohl die Auswirkungen in dem Land so spürbar sind wie in wenigen anderen Regionen Europas.

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