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„Derzeit erleben wir die schlimmste Dürre seit 40 Jahren“

Yassine fühlte sich durch die Klimamaßnahmen seines Landes motiviert, selbst etwas zu tun.
Foto: Privat

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Die Auswirkungen der Klimakrise bedrohen die Lebensgrundlage von Menschen weltweit. An manchen Orten sind die Folgen schon heute besonders zu spüren. In den Klimatagebüchern berichten Menschen davon, wie sich das Leben in ihren Regionen durch die Klimakrise verändert.

In der zwölften Folge berichtet Yassine Lembarki, 31, aus Marokko, wie seine Familie wegen der massiven Trockenheit infolge der Klimakrise ihr Land nicht mehr bestellen kann – aber auch, wie Klimapolitik ihn inspiriert hat, sich für den Umweltschutz einzusetzen.

„Marokko ist von sämtlichen Auswirkungen der Klimakrise betroffen: von weniger Regenfällen, heißeren Temperaturen bis hin zum Ansteig des Meeresspiegels. Besonders letzterer bereitet mir große Sorgen. Denn die meisten ökonomischen Aktivitäten in Marokko finden in der Nähe des Meers und der Küste statt: die Landwirtschaft, die Fischerei. Aber auch die Wasserversorgung wird großenteils hier geregelt. Neben der wirtschaftlichen Bedrohung für uns Menschen gehen durch einen höheren Meeresspiegel auch wertvolle Ökosysteme kaputt.

Das allergrößte Problem aber ist die Dürre. Derzeit erleben wir die schlimmste Dürre seit 40 Jahren – und laut der lokalen Behörden wird sie noch viel schlimmer werden. Sie ist vor allem eine Folge der steigenden Temperaturen: Dieses Jahr gab es hier eine Hitzewelle, die mit Temperaturen von mehr als 45 Grad Celsius alle Rekorde gebrochen hat. Der Winter davor war auch sehr trocken. Das verschärft die Wasserknappheit, die vor allem auf die seit Jahren weniger werdenden Regenfälle zurückgeht. Unsere Wasserspeicher sind momentan nur zu einem Drittel gefüllt – das verdeutlicht für mich sehr gut das Ausmaß dieser Krise.

Nomadische Kulturen könnten aufgrund von Wasserknappheit aussterben

Als ich das letzte Mal das Dorf meiner Großmutter in der Nähe von Casablanca besucht habe, sah ich die Folgen dieser Krise mit eigenen Augen: Viele Menschen, die früher in der Landwirtschaft gearbeitet haben, können das nun nicht mehr machen. Sie ziehen vom Land in die Städte, das wird gerade zu einer neuen Normalität. Die lokalen Behörden versuchen zwar zu unterstützen und installieren Brunnen in den Dörfern. Aber die reichten bei weitem nicht, um die Wasserknappheit in der Gegend zu lindern, sagte mir einer der Einheimischen. Als Folge dieser enormen Wasserknappheit könnten laut Klimawissenschaftler:innen auch nomadische Kulturen in der marokkanischen Sahara aussterben. Sie ziehen durch die Wüste mit ihren Tieren, hüten Kamele, Ziegen und Schafe. Ich stamme selbst von nordafrikanischen Amazigh und arabischen Beduinen ab, die ihre nomadische Lebensweise vor langer Zeit aufgegeben haben. Auch deswegen trifft mich das wirklich hart.

Die nomadischen Gruppen leiden schon lange unter der globalen Modernisierung und der zunehmenden Verstädterung, da beide Faktoren viel Einfluss auf ihre Lebensweise haben. Doch die Auswirkungen der Klimakrise stellen die größte Bedrohung für sie da. Die aktuelle Dürre könnte nun der Todesstoß für Nomadenkulturen in der Sahara sein. Schließlich sind sie davon abhängig, unterwegs Wasser und Nahrung zu finden. Gerade Nomadenvölker waren in meiner Kultur schon immer ein Gradmesser für Klimaveränderungen, denn sie sind an extreme Lebensbedingungen gewöhnt. Wenn diese Menschen den Auswirkungen der Klimakrise nichts mehr entgegensetzen können, bedeutet das, die Dinge stehen schlecht.

Von der Landwirtschaft kann man heute nicht mehr leben

Leider reicht in Zeiten der Klimakrise die Unterstützung durch die Regierung nicht aus, um diesen traditionellen Lebensstil der Nomadenvölker in der Sahara zu erhalten. Meine Vorfahren haben immer von dem gelebt, was sie gepflanzt und gesät haben. Wir besitzen heute zwar ein Stück Land – aber wir können es durch die Klimaveränderungen nicht mehr wie früher bestellen. Als ich noch kleiner war, drohte mir mein Vater, ich müsste als Bauer auf dem Land leben, wenn ich nicht Medizin studierte. Damit wollte er mich motivieren, fleißiger zu lernen, denn das war für mich die schlimmste Vorstellung. Heute hingegen kann ich nur davon träumen, aufs Land zu ziehen. Von der Landwirtschaft kann man dort nicht mehr leben.

Ich selbst habe entschieden, keine Kinder zu bekommen, weil ich nicht möchte, dass sie die Folgen der Klimakrise abbekommen. Ich finde, Adoption ist eine bessere Lösung als noch ein weiteres Kind auf die Welt zu bringen. Weder träume ich davon, ein Auto zu besitzen noch davon, ein Haus zu bauen. Das zeigt, welche mentalen Auswirkungen die Klimakrise auf meine Generation hat. Heiraten, ein Haus bauen, Kinder bekommen, ein Auto fahren – das war vielleicht der Traum der Generation meiner Eltern. Ich kann mir diesen Traum schlicht und einfach nicht mehr leisten.

Schärfere Gesetze und andere Subventionen – das verlangt Yassine beim Plastikverbrauch

In Marokko haben wir auch ein großes Problem durch die Plastikverschmutzung. Vor zehn Jahren wurde mir das schon klar. Und damals war die Plastikkrise noch viel kleiner als heute. 2050 wird es laut Schätzungen mehr Plastik als Fisch im Meer geben. Dort, wo ich herkomme, hatte niemand bis in die späten 90er Jahre von Plastiktüten gehört. Wir hatten „Koufas“, traditionelle Taschen aus Zuckerrohrfasern. Doch diese Taschen brachten wohl zu wenig Gewinn, da sie sehr lange hielten. So wurden auch bei uns Plastiktüten eingeführt und die Cola-Flaschen aus Glas, die wir gegen ein Pfand in den traditionellen „Bakkal“-Laden zurückbrachten, waren auf einmal aus Plastik.

Ich bin der Meinung, dass die Politik schärfere Gesetze einführen muss und Plastik nicht länger subventionieren darf. Nur über Subventionierung der Alternativen können wir die Konsument:innen vom Plastik wegbekommen. Gerade habe ich Hoffnung auf Veränderung: Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) diskutiert derzeit einen Plastikvertrag, der die Staaten verpflichtet, ab 2025 die Plastikverschmutzung zu regulieren. Dieses Abkommen könnte eine einzigartige Chance sein, das Plastikproblem in den Griff zu bekommen – bis 2040 könnte sich der Plastikmüll so um 80 Prozent reduzieren.

Indem ich über Plastikverschmutzung aufkläre, habe ich einen Weg gefunden, aktiv etwas zu tun. Auf Twitter kläre ich seit 2013 über die Plastikverschmutzung in den Maghreb-Staaten auf. Und anders als viele andere Klima-Aktivist:innen bin ich nicht durch das Nichtstun der Regierung dazu gekommen. Ganz im Gegenteil, ich wurde von den Klimamaßnahmen meines Landes inspiriert. Es hat schon 2016 einen ambitionierten Plan vorgelegt, um Einwegplastiktüten zu verbieten und so der Plastikflut im Meer und am Land etwas entgegenzusetzen. Die Kampagne nannte sich „zero mika“, mika bedeutet Plastik im marokkanischen Arabisch, also „null Plastik“. Mich und viele andere junge Menschen hat das motiviert, uns für den Umweltschutz stark zu machen, auch wenn der Plan nicht ganz aufging und weiterhin Plastik benutzt wird.

Ich finde es wichtig, sich immer wieder auf die kleinen Erfolge zu besinnen, auch wenn die großen Probleme dadurch nicht gelöst werden. Sie geben mir Kraft in pessimistischen Momenten. So zum Beispiel, als wir während meines Studiums an der Universität von Muğla in der Türkei Einwegplastik aus der Uni-Mensa verbannten. Das hört sich vielleicht klein an, aber für mein damals 19-jähriges Ich bedeutete es, dass ich die Welt verändern kann.“

Mehr Informationen über die Klimakrise in Marokko

Marokko ist stark von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen: Seit 1960 ist die Jahresdurchschnittstemperatur um 0,9 Grad Celsius gestiegen. Laut Wissenschaft könnten die Temperaturen in Marokko bis zum Jahr 2100 zwischen zwei und fünf Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau liegen. Die Niederschlagsmengen könnten vor allem in der Sahara-Region des Landes um bis zu 30 Prozent zurückgehen. Marokko trägt 0,18 Prozent zu den globalen Treibhausgasemissionen bei, bei einem Anteil an der Weltbevölkerung von etwa 0,46 Prozent. Vor allem durch den massiven Ausbau von erneuerbaren Energien ist Marokko eines der wenigen Länder, das sich auf dem Pfad des Pariser Abkommens befindet, die Erderwärmung auf unter zwei Grad Celsius zu halten.

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