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Wie die „Fridays“ zu Profis werden

Foto: dpa/Guido Kirchner

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Anna und ihre Mitstreiter*innen von „Fridays for Future“ (FfF) sitzen dem Bundestagsabgeordneten im Halbkreis gegenüber. Er hat nicht viel Zeit, weil er gleich ins Plenum muss, aber sie wollen ihn davon überzeugen, in seiner Partei für eine CO2-Abgabe zu werben. Erstmal wirkt er nicht sehr begeistert. Aber als die junge Delegation ihm das Prinzip der „Klima-Dividende“ vorstellt, über die die Einnahmen als Kopfpauschale wieder an die Bürger ausgezahlt werden könnte, zeigt er Interesse: „Können Sie mir da noch ein paar mehr Infos geben? Dann würde ich mir das mal anschauen.“ Eigentlich ist das ein Erfolg, doch Anna ist skeptisch. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das so läuft“, sagt sie. Der Abgeordnete lächelt und sagt: „Probier’s aus!“

Anna, 21, redet nicht wirklich mit einem Abgeordneten, sondern sitzt in einem Workshop auf dem FfF-Sommerkongress in Dortmund. Einer der Referenten hat den Politiker gemimt: Martin Delker vom Verein „Bügerlobby Klimaschutz“ will die Teilnehmer*innen ermutigen, Gesprächstermine mit Mitgliedern des Bundestags zu vereinbaren, um über Klimaschutz-Maßnahmen zu sprechen. Trotz ihrer Skepsis wirkt Anna nach dem Workshop motiviert. „Man vergisst öfter mal, dass die Politiker eigentlich den Bürgerwillen vertreten sollen und dass es legitim ist, auf sie zuzugehen. Ich werde die jetzt vielleicht tatsächlich mal kontaktieren“, sagt sie.

Es ist noch keine fünf Monate her, da sagte Christian Lindner in einem Interview mit der Bild am Sonntag, Klimaschutz sei eine „Sache für Profis“. Von Kindern und Jugendlichen könne man nicht erwarten, „dass sie bereits alle globalen Zusammenhänge, das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen“. Er meinte damit die Schüler*innen und Studierenden, die im Rahmen von „Fridays for Future“ auch in Deutschland seit vergangenem Dezember regelmäßig streiken. Es folgten ein Shitstorm auf Twitter und eine Menge Unterstützung für die jungen Aktivist*innen, unter anderem von Wissenschaftler*innen.

Statt ins Freibad zu gehen, warten die Jugendlichen hier darauf, dass sie in die Schule dürfen

Vom 31. Juli bis zum 4. August haben sich nun mehr als 1400 „Fridays“, wie sie mittlerweile oft genannt werden, im Revierpark Wischlingen in Dortmund getroffen, um gemeinsam zu planen, zu diskutieren und zu feiern. Neben einem Konzert von „Brass Riot“, einer Lesung von Marc-Uwe Kling, sechs Podiumsdiskussionen und einem spontanen Public Viewing der „Tagesschau“, die über den Kongress berichtet hat, fanden in zwei Schulen auf dem weitläufigen Parkgelände auch mehr als 140 Workshops statt. In einigen davon ging es um zivilen Ungehorsam und neue Protestformen, die meisten aber hatten weniger mit Aktivismus und mehr mit Naturwissenschaften und politischer Überzeugungsarbeit zu tun: Auf den großen Programm-Tafeln waren Titel wie „Die Chemie der Atmosphäre“, „Umweltpsychologie in Aktion“, „100 % regenerative Stromversorgung“ oder „Wie rocke ich Interviews, Podien und Talkshowsofas?“ zu lesen. 

„Die Workshops sollen unserer Bewegung eine wissenschaftliche Grundlage geben“, sagt Linus Steinmetz. Der 15-Jährige hat im Mai die Forderungen von FfF an die Politik vorgestellt und den Sommerkongress mit organisiert. Er gehört zu den prominentesten Gesichtern der Bewegung und hofft, dass die Tage in Dortmund noch mehr Jugendliche dazu motivieren, sich mit Wissenschaftler*innen auszutauschen und anschließend abseits der Demos öffentlich als Klimaschützer aufzutreten. Mit Faktenwissen und konkreten Forderungen und Vorschlägen. „Bisher haben das einige wenige gemacht. Aber wenn alle von uns das zumindest zu einem gewissen Grad können, hoffen wir, noch mal wesentlich souveräner mit Politikern und Politikerinnen umgehen zu können“, sagt Linus.

Die Schüleri*innen, die am Freitagnachmittag vor dem Eingang der „Schule B“ sitzen, sehen ein bisschen so aus, als würden sie mal wieder streiken. Dabei ist es genau umgekehrt: Gerade sind Sommerferien, in nur fünf Minuten könnten sie im Freibad sein, das zum Revierpark gehört, oder am kleinen See auf dem Steg liegen – stattdessen warten sie darauf, dass sie in die Schule dürfen, für die nächsten Workshops. 

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In den vergangenen Monaten wurden sie oft als „Schulschwänzer“ bezeichnet, jetzt sitzen sie in ihren Ferien vor der Schule und warten, bis sie reindürfen: Leonie (16), Lara (16), Manu (13), Sophia (18) und Jan (18).

Foto: Nadja Schlüter
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Gregor Hagedorn, der Initiator von „Scientists for Future“, hat auf dem Kongress zwei Workshops zur „Nachhaltigkeitskrise jenseits der Klimakrise“ angeboten.

Foto: Nadja Schlüter
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Gruppenarbeit in Hagedorns Workshop: Wenn wir die Klimakrise mit einem Fingerschnippen lösen könnten, welche Nachhaltigkeitsthemen würden uns dann noch beschäftigen?

Foto: Nadja Schlüter
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Luisa (21) sagt, sie sei als „FfF-Skeptikerin“ zum Kongress gekommen. Jetzt glaubt sie, dass die Jugendlichen wirklich etwas bewegen können.

Foto: Nadja Schlüter
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Jemand bietet spontan einen Workshop für Gespräche mit Bundestagsabgeordneten an – was man halt an einem Samstagabend in den Sommerferien so macht.

Foto: Nadja Schlüter

In einer der Gruppen auf der Treppe sitzt Jan, 18, der sich für den Workshop „erneuerbare Energien“ entschieden hat. Er und die vier anderen haben sich eben erst kennengelernt, wirken aber schon sehr vertraut. Das gemeinsame Anliegen schweißt zusammen. „Wir sind jung und versuchen den Älteren was zu erklären, was sie längst selbst hätten in Angriff nehmen können“, sagt er. „Darum werden wir oft nicht ernst genommen – aber hier auf dem Kongress total.“ Und Lara, 16, die von der Demo in Dortmund am Freitagmorgen noch ein „Tempo machen beim Kohlestopp“-Stirnband umgebunden hat, sagt: „Ich höre öfter: Ihr macht das nur, weil es ein Hype ist. Aber wenn man weiß, wovon man redet, kann man dagegen argumentieren, dass unsere Forderungen das sind, was wir wirklich wollen und brauchen.“ 

Einer, der die Jugendlichen sehr ernst nimmt, ist Gregor Hagedorn. „Die jungen Menschen hier sind fantastisch wissenschaftsbasiert“, sagt er leise, während die Teilnehmer*innen seines Workshops gerade eine Gruppenarbeit machen. Der 53-jährige promovierte Biologe ist Forscher am Museum für Naturkunde in Berlin und Initiator der „Scientists for Future“, eine Gruppe von Wissenschaftler*innen, die FfF unterstützen. Kurz nach Lindners Profi-Aussage haben sie ein Statement dazu veröffentlicht, 26 800 Wissenschaftler*innen haben unterschrieben. Auf dem Sommerkongress bieten einige von ihnen nun Workshops an. Bei Hagedorn geht es um Umweltprobleme jenseits der Klimakrise: Mit etwa 40 Teilnehmer spricht er über den Stickstoffkreislauf, die weltweite Süßwasserversorgung und Biodiversität. 

Lösungsvorschläge für die Klimakrise haben sie bei FfF – eine Lösung, wie die sozial verträglich umgesetzt werden können, noch nicht

„Eigentlich sollten es zwei 90-Minuten-Workshops sein, letztlich hatte ich fünf Stunden volles Programm“, sagt er anschließend. Die Neugierde und der Diskussionsbedarf der Teilnehmer*innen seien extrem groß gewesen. Sie wissen schon viel und wollen noch mehr Informationen – aber Hagedorn ist der Meinung, dass sie gar keine Profis werden müssen, um überzeugend zu sein: „Auch Wissenschaftler*innen wissen nie alles und arbeiten in Teams. Genauso gibt es bei Fridays for Future manche, die sehr gut informiert sind, und andere, die ihnen vertrauen.“ Weil die „Fridays“ sich so umfassend mit dem Thema beschäftigen, möchte Hagedorn sie auch nicht als „Aktivist*innen“ bezeichnen. „Sonder das sind junge Menschen, die ihre Zukunft planen“, sagt er. 

Beim Sommerkongress fällt allerdings auch etwas auf, für das die Bewegung regelmäßig kritisiert wird: Die meisten Teilnehmer*innen sind Gymnasiast*innen oder Studierende, mehrheitlich weiß, mehrheitlich aus der Mittelschicht. „Elitär“, lautet der Vorwurf. Sie wehren sich dagegen, indem sie sagen, sie hätten die Ressourcen, um zu streiken und sich politisch einzubringen. Das sei ein Privileg, für das sie dankbar seien und das sie nutzen müssten. Trotzdem wird auch bei einer der Podiumsdiskussionen wieder darüber diskutiert, ob die Bewegung zu exklusiv ist. Ob sie darum andere Bevölkerungsschichten und Milieus nicht mitdenkt, die zum Beispiel ein CO2-Preis von 180 Euro pro Tonne, wie FfF ihn fordert, stark belasten würde. Konkrete Lösungsvorschläge für die Klimakrise haben die Jugendlichen –  eine Lösung, wie die sozial verträglich umgesetzt werden können, noch nicht.

Die „Fridays“, allen voran Greta Thunberg, haben oft selbst damit argumentiert, dass sie nicht diejenigen seien, die Klimaschutzmaßnahmen umsetzen müssten – sondern die Politiker*innen. Die „Profis“ eben. Ihnen wollten sie Druck zu machen, dafür sind sie auf die Straße gegangen. Nach der „Schulschwänzer“-Debatte und der „Ihr kennt euch doch gar nicht aus“-Kritik bekommen sie aus der Politik zwar mittlerweile fast nur noch lobende Worte zu hören, ansonsten hat sich aber noch nicht viel geändert. 

Auf dem Kongress wird deutlich: „Fridays for Future“ will darum in Zukunft mehr sein als eine reine Demo-Bewegung. Die Jugendlichen wollen eine kritische Öffentlichkeit bilden, die die Relevanz des Themas Klima- und Umweltschutz auch allen anderen vermittelt, im Privatleben und in der Politik. Einige der Teilnehmer*innen, die vor der Schule auf die Workshops warten, sagen zum Beispiel, dass sie ihre Eltern überzeugt haben, vegetarisch zu kochen oder weniger Plastik zu benutzen. Und Helena, eine der Organisator*innen, erzählt bei einer Führung über das Parkgelände, dass sie in ihrer Heimatstadt Frankfurt schon mehrfach mit einer Gruppe von FfF in öffentlichen Ausschussitzungen des Stadtrats war und sich dort hat auf die Rednerliste setzen lassen. „Das ist unheimlich effektiv!“, sagt sie.

Der Hunger nach Informationen ist so groß, dass spontan zusätzliche Workshops angeboten werden

„Wirkmächtigkeit“, nennt das Martin Delker von der „Bürgerlobby Klimaschutz“, der in seinem Workshop den Bundestagsabgeordneten gespielt hat. Regelmäßig auf die Straße zu gehen, ohne dass sich etwas ändert, kann frustrierend sein. Das sagen auch Protestforscher, die FfF darum oft keinen langen Atmen vorausgesagt haben. Aber die Jugendlichen haben einen Weg gefunden, sich nicht frustrieren zu lassen: Sie bilden sich weiter und suchen neue wirkmächtige Wege. 

Luisa, 21, hat vor Kurzem in ihrem Heimatort bei Bonn eine Grüne Jugend gegründet und ist eine der wenigen auf dem Kongress, die bisher noch nicht bei FfF aktiv waren. „Ich muss ehrlich sagen, dass ich als FfF-Skeptikerin hergekommen bin und einfach mal gucken wollte, ob das eine ernstzunehmende Bewegung ist oder nicht“, sagt sie nach dem Workshop von Gregor Hagedorn. „Und jetzt habe ich so viele umwerfende Sachen auf dem Kongress gesehen und von so vielen tollen Aktionen gehört! Über 1000 Leute sind angereist, die sich hier informieren und weiterbilden wollen. Ich glaube, die schaffen es wirklich, was zu bewegen.“ 

Der Hunger nach Informationen ist so groß, dass spontan zusätzliche Workshops angeboten werden. Am Samstagnachmittag klebt an der Programmtafel vor „Schule B“ ein Zettel, rosa und mit Edding beschrieben: „MdB-Gespräche Vernetzungstreffen, 18 Uhr“. Ab dem 20. September ist eine internationale „Fridays for Future“-Aktionswoche geplant, am selben Tag will das deutsche Klimakabinett über ein Maßnahmenpaket entscheiden. Die Abgeordneten in Berlin können sich wohl darauf einstellen, bis dahin noch einige Gesprächsanfragen von Jugendlichen  zu bekommen.

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