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Horror-Mitbewohner: der Teilzeit-Bauarbeiter und der Lügner

Illustrration: Daniela Rudolf

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Geschlecht und Alter der Horror-Mitbewohner: Männlich, 22 Jahre (Maxi) und 24 Jahre (Mika)*

Wohnsituation:  Vierer-WG in einem Mehrfamilienhaus weit ab vom Schuss

Horror-Stufe: 4 von 10

Ich war 19 Jahre alt, kam frisch von der Schule und kannte das WG-Leben nur aus dem Fernsehen. Für das Zimmer in einem Dorf bei Freiburg entschied ich mich, weil es günstig war und ich es cool fand, dass mein zukünftiger Mitbewohner wie Ryan Atwood aus „O.C., California“ auf dem Bau arbeitete. Heute weiß ich natürlich, dass es einen stutzig machen müsste, wenn der Typ, mit dem du zusammenleben sollst, mittags sein erstes Bier aufmacht und auf die Frage, was er arbeitet, mit „dies und das und manchmal auf dem Bau“ antwortet. Damals klang es für mich nach Freiheit und Erwachsenwerden.

Natürlich merkte ich sehr schnell, dass dieses erste eigene WG-Zimmer ein großer Fehler gewesen war. Entgegen den Beteuerungen meiner Vermieter und meines Mitbewohners Maxi war Freiburg nicht nur wenige Busminuten entfernt – ich brauchte eine knappe Stunde zur Uni und musste abends regelmäßig über schlammigen Acker stapfen, weil der Bus nur noch im Nachbardorf hielt. 

Meine drei Mitbewohner ließen sich kaum blicken. Mit Maxi, dem Teilzeit-Bauarbeiter, funktionierte das Zusammenleben ein paar Monate lang erstaunlich gut, doch er schlug immer öfter Aktivitäten vor, die sich als Dates entpuppten und machte rassistische Bemerkungen, zum Beispiel über Schwarze.

Meine Vermieter wohnten direkt unter uns. Wenn sie sich langweilten, gingen sie wie selbstverständlich die Wendeltreppe zu unserer Wohnung hoch und sahen nach, ob die Spülmaschine noch funktionierte und wir das Altglas weggebracht hatten. Oft wachte ich morgens um sieben Uhr auf, weil meine Vermieterin in dem Zimmer unter mir mit kehliger Stimme unbekannte Melodien sang, die Geister heraufbeschwören sollten. Wenn man sie zufällig im Treppenhaus traf, versuchte sie einem eine Analyse der inneren Schwingungen aufzuschwatzen, die – ein Sonderpreis selbstverständlich – lediglich mehrere hundert Euro kosten würde. An den Wochenenden veranstaltete sie Seminare, in denen man für ein paar tausend Euro pro Kopf auf die Suche nach positiven Energien ging.

Dann zog auch noch Mika bei uns ein. Auch er war niemand, den man als erfahrener WG-Bewohner in seiner Nähe haben wollen würde. Wie mein Vermieter verstand er das Prinzip nicht, anzuklopfen, bevor man einen Raum betritt. Er kam besonders gerne nach 22 Uhr in mein Zimmer, um mir stundenlang ungefragt Bilder von einer Villa zu zeigen, die er angeblich zusammen mit seinem Vater gebaut hatte. Im Gegensatz zu Maxi hatte er einen Job – auch angeblich. Er erzählte mir, er würde als Achterbahntechniker im Europa-Park arbeiten, hätte für seinen Umzug aber Urlaub genommen. Wie zum Beweis trug er seine dunkelblaue Regenjacke, auf der das gelbe Logo des Freizeitparks prangte, auch in der gut beheizten Wohnung. 

Beinahe kam es zur Schlägerei zwischen den Umzugshelfern, Maxi und Mika

Mika schmiedete große Pläne, wie er unsere heruntergekommene WG auf Vordermann bringen würde. Das Bad wollte er komplett sanieren, die Küche rausreißen und eine neue einbauen. Eine Woche verging, zwei Wochen vergingen und es geschah nichts. Weder ging Mika zur Arbeit, noch machte er Anstalten, irgendetwas auf Vordermann zu bringen. Er hatte mich in den Europa-Park eingeladen, doch an dem sonnigen, windstillen Morgen, an dem ich mich zusammen mit ein paar Freunden auf den Weg dorthin machen wollte, rief Mika mich an und erklärte, dass alle Achterbahnen stillstehen würden und wir gar nicht erst losfahren sollten. 

Ich hatte endlich eine andere WG gefunden, in die auch jemand gezogen wäre, der die Coolness seiner Mitbewohner nicht an ihrer Ähnlichkeit zu Seriendarstellern misst. Mein Nachmieter war: Mika, der sagte, er würde mein Zimmer zusätzlich zu seinem mieten. Wir unterschrieben einen Fetzen Papier, der als Übernahmeprotokoll dienen sollte. Mein Vater engagierte ein Umzugsunternehmen und beinahe kam es zu einer Schlägerei zwischen den Mitarbeitern des Umzugsunternehmens, Maxi und Mika: Die beiden hatten sich in den Kopf gesetzt, ihr Mittagsbier auf den Stufen vor der Wohnung zu trinken und sahen es gar nicht ein, auch nur einen Zentimeter zu Seite zu rücken. Es war kein schöner Abschied.

Mein Auszug war schon ein paar Monate her, als der Vermieter mir eine Mail schrieb: Für mein Zimmer habe er leider doch keinen Nachmieter gefunden. Mika war nie dort eingezogen. Er hatte die Miete geprellt, sich zusätzlich mehrere hundert Euro von meinen Vermietern geliehen und war abgehauen, spurlos verschwunden. Einen Job hatte er schon lange nicht mehr gehabt – weder im Europa-Park noch auf dem Bau. 

*alle Namen geändert

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