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Horror-Mitbewohner: die Schlösser-Frau

Illustration: jetzt

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Geschlecht und Alter des Horror-Mitbewohners: weiblich, über 40

Wohnsituation:  Fünfer-WG im Dachgeschoss

Horror-Stufe: 3 von 10

Als ich in die Fünfer-WG einzog, war ich 19 Jahre alt, gerade mit der Schule fertig, frisch getrennt und so landpomeranzig, wie man nur sein kann. Das Leben in der Großstadt war vielversprechend und trotzdem auch so unfassbar beängstigend. Ich hatte das Zimmer in einer Zeitungsannonce gefunden: sieben Quadratmeter mit Dachschräge, an nur einer Stelle darin konnte ich aufrecht stehen. Es passten genau ein Bett und kleines Regal hinein. Aber es kostete 130 Euro warm und war direkt an der Uni.

Später zog ich innerhalb der WG um und in das Winzzimmer eine chinesische Ausstauschstudentin (die Horror-Geschichte dazu gibt es hier zu lesen). Zuvor aber wohnten mit mir in der Wohnung folgende Mitbewohnerinnen: Eine kettenrauchende Anfang-50-Jährige mit ungewissem Beruf, die am Wochenende nach Hause auf einen Bauernhof mit Hippie-Kommune pendelte. Eine sterbenslangweilige Endzwanzigerin, die sich kürzlich von ihrem Freund getrennt hatte und hier übergangsweise zwischen Kartons hauste, bis sie eine richtige Wohnung gefunden hatte (das dauerte dann doch drei Jahre). Eine hibbelige Schwäbin mit vietnamesischen Wurzeln, die gerade anfing, Pharmazie zu studieren. Und: die Schlösserfrau.

Ich weiß noch, wie ich mir gleich nach unserer ersten Begegnung dachte: Mann, mit Anfang 40 will ich aber in keiner Zweck-WG ohne richtige Küche und Bad mehr leben. Da wohnte die Schlösserfrau bereits seit zehn Jahren hier. Sie war sehr wortkarg, schaute immer an einem vorbei und bewohnte das Zimmer direkt gegenüber der Wohnungstür. Sie sprach so leise, dass man immer zweimal nachfragen musste, was sie gerade unter ihrem fettigen Pony hingenuschelt hatte. Und ja, man hätte sie gar nicht bemerkt, wenn sie nicht an ihrer Tür drei Extra-Schlösser angebracht hätte, die sie bei jeder Ankunft und bei jedem Verlassen der Wohnung akribisch und lautstark auf- und zusperrte.

Man muss dazu sagen, dass die Türen – trotz Altbau – aus windigem Holz gemacht waren. Selbst ein Viertklässler hätte sie eintreten können. Diese Schlösser waren also nicht nur albern, sondern auch völlig nutzlos. Tatsächlich schaffte es aber keiner von uns, auch nur jemals einen Blick in das Zimmer zu werfen. Sie sperrte sogar ab, wenn sie aufs Klo oder in die Küche ging. Nicht alle Schlösser, aber mindestens eins. 

Ich lebte dort über vier Jahre und ich habe keine Ahnung, was sich hinter der Pressspan-Türe befand oder befindet. Denn ja: Sie lebt immer noch in dieser Wohnung, mittlerweile ist sie locker Mitte, Ende 50. Ich habe sie erst kürzlich in das Haus reingehen sehen, weil ich jetzt wieder ein paar Straßen weiter wohne.

Die Schlösserfrau war vor allem spooky. Die Schwäbin und ich fragten uns oft, was sie wohl in ihrem Zimmer verbarg. Sicher nichts Peinliches, wahrscheinlich eher etwas Gruseliges. Eine Leiche wohl nicht. Obwohl der Frittiergestank unser späteren chinesischen Austauschstudentin den Verwesungsgeruch sicher übertüncht hätte. 

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Unsere Autorin möchte anonym bleiben, da auch die Anonymität der Schlösserfrau gewahrt werden soll.

 

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