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Warum wir sachlicher über Verhütung sprechen sollten

Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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„Wenn man einen Kupfernagel in einen Baum schlägt, stirbt er ab. Und du überlegst dir, so etwas in deine Gebärmutter zu tun?!“ Einen solchen Kommentar las ich vor einiger Zeit in einer Facebook-Gruppe, in der es um natürliche Verhütung ging. Eine Frau hatte nach Meinungen zur Kupferspirale gefragt (zwar keine natürliche, aber eine hormonfreie Methode). Obwohl ich selbst nicht auf diese Art verhüte, hat mich diese unsinnige Äußerung geärgert: Schließlich sind Menschen keine Bäume, eine Spirale kein Nagel und selbst der angebliche Baumtod ist nichts weiter als ein Mythos. Doch egal, ob Facebook-Freund*innen, Pharmavertreter*innen oder der Papst: In Sachen Verhütung scheint jede*r eine Meinung zu haben, wie man es (nicht) machen soll.  

Geprägt sind die Debatten vor allem von zwei gegensätzlichen Positionen. Die eine wird vertreten von Menschen, die hormonelle Verhütung (und teilweise auch Kupfer) strikt ablehnen, oft auch, weil sie damit schlechte Erfahrungen gemacht haben. Nach dem Absetzen haben sie durch Körperbeobachtung ihren natürlichen Zyklus lieben gelernt und sind davon so begeistert, dass sie sich nichts anderes mehr vorstellen können. Pille & Co. stufen sie als so gefährlich ein, dass sie auch ihr Umfeld dringend davor warnen möchten – oft mit Worten wie „Hormonbombe“ oder „Chemiekeule“. Auf der anderen Seite stehen Frauen, die sich mit hormoneller Verhütung sicher und zufrieden fühlen und den Trend des Absetzens skeptisch bewerten. Sie hatten womöglich vor der Pilleneinnahme spürbare Zyklusprobleme und finden es völlig unverständlich, dass sich immer mehr Frauen einem vermeintlich unberechenbaren Zyklus und eventuellen Beschwerden aussetzen. Von ihnen heißt es oft: „Natürliche Verhütung? Die Bekannte meiner Kollegin ist durch so eine App schwanger geworden!“ Oder „Mutig, dass du die Pille nicht nimmst – mir wäre das viel zu unsicher.“  

Die Aufregung entsteht auch dadurch, dass neutrale Informationen kein Bestandteil unserer Aufklärung sind  

Ich denke, die meisten von uns haben schon mindestens eine dieser Meinungen vertreten – im Laufe der Zeit vielleicht auch beide. Wie sollte es auch anders sein, wenn die Aufklärung in der Schule und in der Arztpraxis meist weder umfassend noch neutral ist? Bis ich 18 war, kannte ich nur die Optionen Hormone oder Kondome. Nach einer Weile entschied ich mich für Letzteres, weil ich dadurch Nebenwirkungen und übertragbare Krankheiten vermeiden konnte – und war zufrieden. Meine damalige Ärztin wirkte allerdings entsetzt und fragte, ob ich allen Ernstes „nur“ mit Kondomen verhütete. Ich bejahte dies, schließlich war ich mir meiner Sache sicher. Dazu muss man aber wissen, dass ich zu Selbstbestimmtheit erzogen wurde und deshalb ob der Kritik ziemlich ungerührt blieb.

Es ist generell wenig zielführend, sich auf „die eine richtige Methode“ versteifen zu wollen. Denn die gibt es ja gar nicht, jede *r muss für sich individuell entscheiden, was zu ihr/ihm passt. Und da ist es doch sehr praktisch, dass uns in Deutschland verhältnismäßig viele Möglichkeiten offenstehen: Es gibt so viel Zyklusforschung wie in fast keinem anderen Land, wir haben Zugang zu ingesamt 17 Verhütungsmitteln für Mann, Frau und nicht-binäre Menschen. Auch gibt es unabhängige Portale von profamilia und bzgA, die ohne Panikmache Vor- und Nachteile jeder Option darstellen. Den Dogmatismus bräuchte es also gar nicht, im Gegenteil: Er schadet nur. Es wirkt nämlich mindestens verwirrend, auf manche sicher auch verunsichernd, wenn einem lauter selbsternannte Expert*innen erzählen, dass man mit seinem aktuellen Verhütungsmittel angeblich entweder die Gesundheit oder eine Schwangerschaft riskiert. Wie soll man sich da noch angstfrei für die individuell passende Methode entscheiden?

Unabhängige Informationen sind gratis zugänglich – wenn man weiß, wo man sie findet

Das heißt natürlich nicht, dass wir nicht auch unter Freund*innen über Verhütung sprechen sollen – denn mit einer gewissen Offenheit können wir dabei viel voneinander lernen. Von der symptothermalen Methode (eine Kombination von Temperaturmessen und Zervix-Schleim untersuchen, Anm. d. Red.), nach der ich verhüte, erfuhr ich beispielsweise zum ersten Mal durch meine Cousine. Seitdem ich mich selbst dazu weitergebildet habe, erkläre ich nun anderen Interessierten, warum diese Methode bei korrekter Anwendung sicher ist und nichts mit einer x-beliebigen Kalender-App zu tun hat. Deswegen versuche ich aber nicht, sie zu überreden, es mir gleichzutun.  

Schließlich sollte man sich bei der Wahl der geeigneten Methode darüber im Klaren sein, dass der wichtigste Entscheidungsfaktor nicht die Mehrheitsmeinung, sondern man selbst ist. Denn bei allen Verhütungsmitteln, die man aktiv anwenden muss (also die meisten), hängt die Sicherheit und Zufriedenheit stark davon ab, ob man bereit ist, sich damit konsequent auseinanderzusetzen. Auch physische und psychische Faktoren sowie die Beziehungssituation beeinflussen, welche Methode aktuell passt. Und mit alldem kennt sich jeder Mensch eben am besten bei sich selbst aus. Es ist deshalb essentiell, die Wege anderer zu respektieren – und uns gleichzeitig zuzutrauen, selbst die richtige Entscheidung für unseren Körper zu treffen. Mit umfassenden Informationen sind wir in der Lage, Risiken und Nebenwirkungen abzuwägen. Ebenso sind wir in der Lage, die Körperzeichen eines natürlichen Zyklus zu verstehen, sofern wir es lernen wollen. Schließlich gilt auch bei der Verhütung: Unser Körper, unsere Entscheidung.

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