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Warum 2020 das perfekte Jahr ist, um Zyklusbewusstsein am Arbeitsplatz zu schaffen

Plötzlich ist Home-Office normal – das könnte auch eine Chance für alle sein, die mit Periodenschmerzen besser von daheim aus arbeiten können.
Foto: Daniela Rudolf-Lübke

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„Ich habe meine Tage.” Wer würde diesen Satz schon laut im Büro sagen? Ich habe es tatsächlich vor einigen Jahren mal ausgesprochen, als mich meine damalige Vorgesetzte angesichts meines gequälten Gesichtsausdrucks fragte, ob ich krank sei. Daraufhin versteinerte ihre Miene. Ein „Oh“ war die einzige Reaktion – meine Antwort hatte sie am Arbeitsplatz wohl nicht erwartet. In meinem weiteren Arbeitsleben habe ich es daher meist vorgezogen, nur mit sehr vertrauten Kolleg*innen über das Thema zu sprechen.

Bei diesen Unterhaltungen teilte wir oft den Wunsch, dass man das Thema auch im Job offener behandeln könnte. Es kamen Ideen auf wie: „Man könnte mal über den Umgang mit Menstruationsbeschwerden sprechen“ oder „Es sollte eigentlich Tampons auf der Bürotoilette und Wärmepflaster im Medizinkasten geben“ ... Trotzdem brachte es keine von uns über sich, diese Ideen in einem Meeting mit dem gesamten Team anzubringen. Dabei arbeitete ich unter anderem bei einer Organisation, die sich auch für menstruelle Gesundheit einsetzte – auf anderen Kontinenten. Über den eigenen Zyklus schwieg man trotzdem. Periodenschmerzen ertrug man, auch, wenn sie auf dem Bürostuhl ohne Wärmflasche auf dem Bauch kaum auszuhalten waren.

In unserer derzeitigen Situation wittere ich aber eine Chance, das zu ändern: Denn nachdem das Coronavirus sich in Deutschland verbreitet hat, ist es für viele normal geworden, im Home-Office zu arbeiten. Das ist nicht nur zum Schutz vor dem Virus eine gute Sache – sondern auch, wenn man seine Tage hat. Denn bei mittleren Beschwerden ist es bereits anstrengend, schick angezogen im Büro zu sitzen – mit bequemer Kleidung und im ruhigem Wohnzimmer kann man aber womöglich noch gut arbeiten. Bei extrem starken Beschwerden fällt man aber natürlich womöglich sogar ganz aus, während andere kaum etwas spüren und lieber im Büro sind. Auf solche individuellen Unterschiede sollte auch im Job eingegangen werden. 

Zyklusbewusstsein im Büro: Eine englische Firma macht es vor 

Mit der Idee, dass der Zyklus auch am Arbeitsplatz berücksichtigt werden sollte, bin ich weit nicht die Erste. In den vergangenen Jahren habe ich sogar von Ansätzen gehört, die weit über eine simple Home-Office-Idee hinausgehen. Ein Beispiel: Das britische Sozialunternehmen Coexist führte 2016 innovative Perioden-Richtlinien ein. Die damalige Managerin Bex Baxter entwickelte ein auf den Zyklus abgestimmtes Arbeitskonzept, um mit zyklischen Energieschwankungen (einschließlich des Energiehochs rund um den Eisprung) bewusst umzugehen.

Zu Beginn des Vorhabens besuchte das komplette Unternehmen einen Workshop bei der Zyklusexpertin Alexandra Pope, damit sich alle über das Thema informieren konnten. Anschließend wurde ein „Flexitime“-Konzept erarbeitet, das mehrere Optionen beinhaltet:  Man kann bei Periodenproblemen entweder einen Tag freinehmen, Stunden reduzieren oder im Home-Office arbeiten. Falls weniger Stunden geleistet wurden, können diese in energiereicheren Zyklusphasen freiwillig aufgeholt werden. Natürlich haben auch Nicht-Menstruierende das Recht auf flexible Arbeitszeiten. Doch seit der Einführung der Period Policy werden Menstruationsschmerzen als Grund offen genannt. Außerdem nutzen einige Mitarbeiterinnen das neue Wissen verstärkt für ihre Planung: Sie tracken ihren Zyklus, um Schichten zu planen und gegebenenfalls zu tauschen, wenn sie einen schmerzhaften Periodenstart erwarten.  

Bildung für alle ist wichtig, damit Richtlinien auch umgesetzt werden

Nun müssen wir nicht gleich alle in den Bürokalender schreiben, in welcher Zyklusphase wir uns befinden. Wichtig wäre aber, dass das Thema auch über Hierarchien und verschiedene Geschlechter hinweg gemeinsam besprochen werden kann, ohne, dass es krampfig wird. Da man schlecht beschließen kann, dass man die Periode ab morgen einfach nicht mehr peinlich findet, ist der Bildungsaspekt bei solchen Vorhaben essentiell. Denn „menstrual leave“ (zu Deutsch: Menstruations-Urlaub) ist zwar in einigen Ländern wie beispielsweise Japan, Taiwan, Indonesien, Südkorea und Sambia sogar gesetzlich verankert – das Angebot wird aber teilweise wenig  angenommen, weil Frauen fürchten, dadurch weniger fähig zu wirken als Männer und sich Jobchancen zu verbauen.

Aufgrund der Diskriminierung und Vorurteile der vergangenen Jahrhunderte ist dies auch verständlich. Doch im Jahr 2020 haben wir die Möglichkeit, Zyklusbewusstsein am Arbeitsplatz vielseitig zu denken und dabei auch Mythen und Tabus zu beseitigen. Neben thematischer Weiterbildung und flexiblen Arbeitszeiten könnten beispielsweise auch Tampons und Wärmepflaster in deutsche Firmengebäude einziehen. Abgesehen von Abhilfe bei Periodenschmerzen sollte dabei auch ein Bewusstsein für die anderen Zyklusphasen geschaffen werden. In den Tagen nach der Periode haben viele Menstruierende mehr Kraft, Motivation und neue Ideen; in der Phase rund um den Eisprung ist man oft bestens gelaunt und kann richtig durchpowern. Angeblich laufen dann sogar Verhandlungen und Präsentationen besser. Natürlich kann man das nicht generalisieren, aber man könnte darüber sprechen und dann  beobachten, ob es auf eine*n persönlich zutrifft.

Neue Arbeitskonzepte können allen Geschlechtern Vorteile bringen

Bleibt noch die Frage, wie solche Überlegungen auf Menschen wirken, die gar keinen Zyklus haben. Fühlen sie sich benachteiligt oder eher überlegen? Nichts davon, sagt ein Mitarbeiter bei Coexist, der ein Jahr nach Beginn der Period Policy ein Resümee schrieb, in dem er das Konzept aus Sicht einer Person ohne Uterus erklärte: „Offen über Menstruation sowie damit verbundene Themen wie Stimmung, Energielevel, physische und psychische Gesundheit zu sprechen, hat zu einer offenen Atmosphäre im Büro geführt. Es ist nun kein Tabu mehr, dass wir offensichtlich alle gute und schlechte Tage haben.” Weiter erklärte er, dass die Period Policy zwar auf die Bedürfnisse Menstruierender zugeschnitten sei, aber auf dem Ansatz basiere, dass alle Arten natürlicher Zyklen am Arbeitsplatz berücksichtigt werden sollten. Dazu zählen unter anderem auch Energieschwankungen während verschiedener Uhrzeiten oder aufgrund psychischer Faktoren – ganz unabhängig vom Geschlecht.

Insofern kann Zyklusbewusstsein als Werkzeug dienen, unser aktuelles Arbeitsideal in Frage zu stellen und nicht nur bei Online-Verifizierungen offen damit umzugehen, dass wir keine Roboter sind. Zusammen mit der Corona-Erfahrung bietet sich hier ein riesiges Potenzial, über neue Arbeitsformen nachzudenken. Das tut schließlich niemandem weh – im Gegensatz zu Menstruationskrämpfen.

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