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Ein Hoch auf den seltsamen Signature-Drink

Illustration: Federico Delfrati

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Die Alkolumne handelt vom Trinken. Von den schönen und schlechten Seiten dieses Zeitvertreibs und den kleinen Beobachtungen und Phänomenen an der Bar. Aber egal, worum es grade geht, lieber Leser – bitte immer dran denken: Ist ungesund und kann gefährlich sein, dieser Alkohol.

Was haben Ernest Hemingway, James Bond und Taylor Swift gemeinsam? Sie trinken, beziehungsweise tranken gerne mal, die einen freilich mehr als die anderen. Aber natürlich nicht irgendwas. Hemingway ließ sich beim Daiquiri den Zucker durch das Doppelte der üblichen Menge Rum ersetzen. James Bond will seinen „Vesper“-Martini – der in seiner Variante aus der eigentlich verbotenen Kombination Gin und Wodka besteht – immer geschüttelt haben, obwohl ihm außerhalb des Drehbuchs jeder Barkeeper sagen würde, dass das Quatsch ist und man einen Martini immer rühren sollte. Taylor Swift schließlich liebt Cola light. Allerdings nicht mit Rum oder wenigstens Whisky, sondern mit, festhalten: Wodka.

Drei Drinks also, für die viele diese Menschen für verrückt erklären würden, weil sie bis zur Ungenießbarkeit absurd wirken. Aber auch drei, anhand derer besagte Personen auf jeder Party sofort erkannt würden: Weil ihre Drink-Wahl quasi ihre individuelle Unterschrift ist. Als sogenannte „Signature Drinks“ bezeichnet man hier im Allgemeinen zwar die geschickt vermarkteten Kreationen von Sprituosenherstellen oder berühmten Bars – der Gin Basil Smash ist ein jüngeres Beispiel –, viel zu selten geht es dabei um schräge Lieblingsdrinks einzelner Personen. In den USA ist der persönliche Drink schon sehr viel akzeptierter, dort lassen sich manche Paare zur Hochzeit einen gemeinsamen Cocktail kreieren. Ich sage: Zur Hochzeit ist viel zu spät! Damit muss man viel eher anfangen! Jeder sollte einen Signature Drink haben! Je ausgefallener, desto besser.

Wenn Alkohol schon Hemmungen lockert, dann doch bitte auch die vom Kennertum und „gutem Geschmack“

Unsere persönlichen Verrücktheiten verleugnen wir nämlich viel zu oft. Dabei ist es unglaublich befreiend, sie rauszulassen, auch und gerade beim Trinken. Weil man damit die Konformität des Barbetriebs endlich wieder durchbrechen kann. Dort sitzen mittlerweile überall Snobs hinter großen Weingläsern oder kupfernen Moscow-Mule-Bechern, mit denen neuerdings jede Bar aussieht, als habe JK Rowling persönlich sie eingerichtet. Dabei tragen wir ja schon bereits alle die gleichen Sneakers, hören dieselbe Musik und teilen dieselben Netflix-Algorithmen. Menschen mit Schwäche für Blue Curaçao, den Eighties-Spießer-Likör schlechthin, sind da eine Wohltat. Vielleicht giltst du nach der Bestellung zwar als Weirdo mit Cocktailschirmchen, aber immerhin: Du giltst. Gin Tonic kann jeder. Wo soll man noch individuell sein, wenn nicht wenigstens an der Bar? Wenn Alkohol schon Hemmungen lockert, dann doch bitte auch die von Kennertum und „gutem Geschmack“.

Dabei ist es übrigens völlig in Ordnung, den eigenen Signature Drink nicht selbst zu entwerfen, sondern woanders abzgucken. Und genauso legitim ist es, mal zu wechseln. Kein Drink ist fürs ganze Leben, serielle Monogamie ist auch beim Trinken angesagt. Meine erste Liebe im Glas war Grasovka (das ist dieser polnische Wodka mit dem Bison drauf und dem Grashalm drin) mit naturtrübem Apfelsaft (mit Klarem schmeckt es nicht! Wirklich gar nicht!). Sie stammte noch aus der Prä-Abi-Phase, wo wir allabendlich im Jugendzentrum versackten, jeder irgendjemanden anschmachtete und wir Hustenanfälle bekamen von den Joints und dem Staub der vielen Jugenden vor uns, der hochflog, wenn wir uns auf die vergilbten Sofas schmissen.  

Viele Jahre später habe ich den Bison-Wodka mal spontan im Angebot gesehen, ein paar Flaschen gekauft – und fühlte mich sofort wieder wie 16. Leider war da niemand, mit dem ich meine zweite Jugend feiern konnte. Denn alle, die zu Besuch kamen, ekelten sich abwechselnd vor dem Grashalm oder der Idee, in so etwas Unschuldiges wie natürtrüben Apfelsaft, der uns zuletzt unter Pferdepostern zu Benjamin-Blümchen-Torte serviert wurde, jetzt auch noch Alkohol zu kippen. Ich wurde aber schnell getröstet, denn schon bald bescherten mir ein paar flüchtige Dates an Sommerabenden eine umso nachhaltigere Begeisterung für Sprudelwasser mit einem kleinen Spritzer Rotwein. Damit konnte ich allerdings noch niemanden anstecken. Außer – alle Frühjahre wieder – mich selbst.

Hast du dein perfektes Getränk erst mal gefunden, kannst du der Verlockung des Drink-Hoppings durch die Karte widerstehen

Inzwischen liebe ich einen Mann, der vor und beim Feiern ausschließlich Jägermeister und Club Mate trinkt, am liebsten gemischt. Als er mir das zum ersten Mal vorsetzte, schrie meine innere Stimme triumphierend: Aha, irgendwas MUSSTE ja nicht stimmen mit dem! Dann probierte ich das Gebräu. Und war sofort süchtig. Die beiden Geschmacksnoten ergänzen einander so gut, dass man das Zeug locker für 12 Euro in jeder Münchner Bar als Saison-Special verkaufen könnte. Okay, ich übertreibe, aber es schmeckt wirklich verdammt gut. Und ist die perfekte Mischung für eine lange Nacht im Club, weil man davon knallfit und gleichzeitig in rosa Watte mit Kräuterduft gepackt wird. Für den Effekt müssen sich andere mindestens zweimal in der Toilettenschlange im Berghain anstellen.

Toll an so einem ganz persönlichen Signature-Drink ist auch: Weniger Kater. Denn hast du dein perfektes Getränk erst mal gefunden, kannst du der Verlockung des Drink-Hoppings quer durch die Karte widerstehen, das ein Kaleidoskop an aufregenden Geschmackserlebnissen verspricht, aber genauso verlässlich auch den Schädel am nächsten Morgen sprengt. Außerdem: Welcher Barkeeper/welche Barbekanntschaft ist nicht beeindruckt, wenn man schon genau weiß, was man will, ohne einen Blick auf die Auswahl werfen zu müssen? Lässig ist sexy, erst recht am Tresen.

Zugegeben, in einer Bar, die kleine Leinenservietten zu jedem Drink reicht, hartnäckig Gin mit Sprite zu bestellen, könnte dazu führen, dass man irgendwann nur noch alleine zuhause trinkt. Die ganz schrägen Sachen sollte man sich also für Partys aufheben. Für geschliffenere Situationen aber ist ein Gin Tonic dann ja auch nicht das Schlechteste, zumal er genauso Unterschriftenpotenzial entwickeln kann, wenn man ihn immer wieder bestellt. Ein „Wie immer?“ als Begrüßung in der Lieblingsbar ist jedenfalls nicht zu unterschätzen. Wusste schließlich schon Hemingway.

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