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Wer eine Therapie gemacht hat, wird nicht verbeamtet

Foto: Nicholas Kwok/unsplash; Bearbeitung: jetzt

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Laura*, damals 29 Jahre alt, klingt am Telefon bestimmt und pragmatisch. Man glaubt ihr, dass sie sich und die Situation gut einschätzen kann. Während ihres Referendariats am  Gymnasium hatte sie private Probleme. Nach einer heftigen Trennung litt sie unter Liebeskummer, außerdem war eine nahe Verwandte an Krebs im Endstadium erkrankt. Trotzdem schaffte sie es, das Referendariat gut zu meistern und fand direkt danach eine feste Stelle. Wohl auch, weil sie sich Hilfe suchte, um diese belastende Zeit durchzustehen: Sie begann eine Therapie. Die Diagnose lautete: Anpassungsstörung, also eine vorübergehende, depressive Reaktion auf ein einschneidendes Ereignis. Heute geht es Laura wieder gut. Aber verbeamtet ist sie noch immer nicht.

Eine psychische Erkrankungen gilt beim Amtsarzt als Risikofaktor

Eine  Verbeamtung wünschen sich viele Studierende, vor allem angehende Jurist*innen und Lehrer*innen setzen sich am Ende ihres Studiums intensiv damit auseinander. Denn dieser Status verspricht eine sichere Zukunft, einen sicheren Job, eine sichere Pension. Doch nicht jeder Mensch, der möchte, wird auch verbeamtet. Im Rahmen des Bundesbeamtengesetzes gilt für den Staat das Prinzip der „Bestenauslese“ – es muss also der oder die am besten geeignete Bewerber*in ausgewählt werden. Dabei geht es um „Befähigung und fachliche Leistung“, wie es so schön im Gesetz heißt, aber eben auch um den Gesundheitszustand des Bewerbers oder der Bewerberin. Um vorhersagen zu können, ob der angehende Beamte in Zukunft länger ausfallen und den Staat so viel Geld kosten könnte. Viele Krankheitstagen in der Vergangenheit oder eine frühere Arbeitsunfähigkeit, aber auch Übergewicht oder Bluthochdruck spielen bei der Bewertung durch den Amtsarzt eine Rolle.

Auch eine psychische Erkrankung gilt beim Amtsarzt als Risikofaktor. Allerdings gibt es keine klaren Kriterien, wann bei einer psychischen Erkrankung keine Verbeamtung erfolgen kann. Zwar muss dafür eine „eindeutige Diagnose“ vorliegen. Aber die Beurteilung über den Gesundheitszustand einer jungen Lehrkraft  – also genau diese „eindeutige Diagnose“ – liegt bei der Verbeamtung ganz alleine beim Amtsarzt. Er ist quasi der Endgegner. Er kann für seine abschließende Beurteilung eine Schweigepflichtentbindung veranlassen, also Ärzt*innen, Therapeut*innen und Krankenkassen um Informationen bitten. Unter Studierenden hält sich deswegen das Gerücht: Wer in einer Psychotherapie war, ist gleich raus.

Das sorgt für Angst und Unsicherheit. In Foren, bei Beratungsstellen, beim Therapeuten – die Angst vor Konsequenzen für die Beamtung geistert herum. Sie hält junge Menschen davon ab, während ihres Studiums eine Therapie zu beginnen. Und das ist ungesund. Denn: Psychische Diagnosen wie Depressionen, Angststörungen oder Panikattacken nehmen bei den 18- bis 25-Jährigen zu. Laut dem Barmer-Arztreport 2018  ist ihr Anteil von 2005 bis 2016 um 38 Prozent gestiegen. Studierende galten bisher als weitgehend „gesunde“ Gruppe, aber auch bei ihnen ist mittlerweile mehr als jeder Sechste betroffen – in Zahlen sind das 470.000 Personen. Die Gründe sind unter anderem der gestiegene Leistungsdruck, finanzielle Sorgen und Zukunftsängste.

Laura hat eine Therapie angefangen, weil sie von den Problemen, die das bei der Verbeamtung machen kann, damals nichts wusste. „Deswegen hat es mich auch nicht abgeschreckt. Ich kenne aber Leute, die es abgeschreckt hat. Es gibt viele zukünftige Lehrer, Richter und Staatsanwälte, die momentan reihenweise Nervenzusammenbrüche durchstehen und nicht zum Arzt gehen, weil sie Angst haben nicht verbeamtet zu werden“, sagt sie.

„Wenn Sie in den öffentlichen Dienst wollen, sollte natürlich nirgendwo Depression oder sowas stehen“ 

Florian, damals 25 Jahre alt, studiert Mathematik und Philosophie auf Lehramt. Mehrere schwere Schicksalsschläge in der Vergangenheit haben ihn gezeichnet und belastet. Jahrelang hat er mit einer Therapie gehadert, „weil ich Angst vor dem Einfluss auf die Verbeamtung hatte“, sagt er.  Er hat eine lange Odyssee durch Sprechstunden von Beratern an der Uni, Therapeuten und dem Arzt hinter sich und immer wieder gehört: Ein psychisches Problem, das keine Anpassungsstörung ist, also mehr als eine vorübergehenden Sondersituation, und darum vermuten lässt, dass man in Zukunft erneut krank werden könnte, ist problematisch für eine Verbeamtung. Zwar sagt Florian, dass ihm gegenüber auch betont wurde, dass „die Gesundheit natürlich vorgehen sollte“. Aber es sei eben auch flapsig erwähnt worden: „Wenn Sie in den öffentlichen Dienst wollen, sollte natürlich nirgendwo Depression oder sowas stehen.“ 

Florian hat lange nachgedacht –  und schließlich doch eine Therapie begonnen. Doch die vielen Warnungen lassen ihn nicht los. Er sagt: „In der Therapie an sich fühle ich mich gehemmt. Denn mir wurde auch in den Vorgesprächen und bei den nötigen ärztlichen Checks bestätigt, dass es zu Komplikationen bei der Verbeamtung kommen kann.“ 

„Je schwerer die psychische Erkrankung ist und je weniger wahrscheinlich die erfolgreiche Heilung, desto eher wird der Amtsarzt eine negative Prognose stellen“, bestätigt eine  Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Grundsätzlich müsste aber auch gelten, dass eine Psychotherapie kein zwingendes Ausschlusskriterium für den öffentlichen Dienst sein dürfe. „Ein großer Teil der Menschen mit psychischen Erkrankungen kann heute so behandelt werden, dass es zu einer deutlichen Besserung kommt und sie wieder vollumfänglich am Alltag teilhaben können.“ Negative Auswirkungen auf Verbeamtungen würden eher bei Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen, also zum Beispiel Schizophrenie, einer bipolaren Störung oder schweren Depression auftreten. „Psychotherapie per se spielt nach unserer Erfahrung weniger eine Rolle“, so die Sprecherin. 

jetzt hat Lauras und Florians Beispiele der DGPPN vorgelegt. Die Antwort der  Gesellschaft: Es handele sich hierbei um leichte bis maximal mittlere Diagnosen. Das bedeutet: Laura hätte verbeamtet werden können. Und Florian sollte sich eigentlich keine Sorgen um seine zukünftige Verbeamtung machen müssen. 

In Lauras Fall war es ja sogar so, dass ihr „nur“ eine Anpassungsstörung diagnostiziert wurde, eine Diagnose, die laut Florians Beratern sowieso unproblematisch sein sollte. Eine „eindeutigen Prognose“ für die Zukunft lag auch nicht vor. Laura bekräftigt nochmal: „Meine Therapie hatte null mit der Arbeit zu tun: keine Depression, kein Burn-Out. Es waren rein private Probleme, die meine Arbeit in keiner Art und Weise beeinträchtigt haben. Das hat auch meine Therapeutin in ihrem Bericht so geschildert.“ Bis heute sei es ihr nicht  verständlich, wieso das für die Amtsärztin trotzdem ein Grund war, ihr die Verbeamtung zu versagen. „Ich habe natürlich nochmal nachgehakt, aber dann hieß es, solange die Therapie noch nicht zu Ende ist, könnte man  ja nicht mit letzter Sicherheit sagen, ob das nicht doch meine Arbeit beeinflussen könnte.“

Laura wird immer wieder gefragt, warum sie nicht verbeamtet ist. Das bringt sie in Verlegenheit

Laura glaubt, dass eigentlich das Gegenteil der Fall ist: dass die Therapie ihr geholfen hat, ihren Job trotz ihrer Probleme gut zu meistern. Sie nennt den Fall eines Kollegen: Der falle öfter aus, vermutlich wegen psychischer Probleme, lasse sich aber nicht behandeln. Für Laura ein Beispiel für das unfaire System: „Er kostet den Staat viel mehr Geld, als wenn sie jemanden genommen hätte, der schon vor der Verbeamtung Maßnahmen für seine Gesundheit getroffen hat.“

In ihrem Status als nicht verbeamtete Lehrerin arbeitet Laura momentan an einer Schule – allerdings mit erheblichen negativen Auswirkungen, weil sie „nur“ angestellt ist: „Ich leiste die gleiche Arbeit und werde deutlich schlechter bezahlt. An meiner Schule sind fast alle Lehrer verbeamtet.“ Noch dazu wird sie immer wieder gefragt, warum das bei ihr nicht der Fall ist – was sie in Verlegenheit bringt. „Da kann ich lügen und sagen: ‚Ich bin einfach durch die Gesundheitsprüfung gefallen‘. Oder ich kann sagen, wie es nun einmal ist: ‚Ich bin wegen einer Psychotherapie nicht verbeamtet worden‘.“ Zweiteres wollen wohl die wenigsten, die das gleiche Problem haben wie sie.

In naher Zukunft wird Laura nach ihrer erfolgreichen Therapie wieder zum Amtsarzt gehen. Sollte sie dort nochmal durchfallen und nicht verbeamtet werden, überlegt sie sich, rechtliche Schritte einzuleiten. Dazu rät auch der Rechtsanwalt Janus Galka: „Wenn das ärztliche Gutachten nicht eindeutig aussagt, dass eine vorzeitige Dienstunfähigkeit aufgrund der Diagnosen eintreten wird, sollte man auf jeden Fall klagen. Dann besteht die Möglichkeit, diese Gutachten durch gerichtliche oder private Gegengutachten von Fachärzten zu überprüfen und gegebenenfalls zu widerlegen.“ 

Galka, der sich schwerpunktmäßig auch mit Beamtenrecht beschäftigt, erklärt, dass seit 2013 die Chancen in einem gerichtlichen Verfahren deutlich gestiegen seien. Vorher habe die Rechtsprechung es quasi umgekehrt gesehen: Es musste mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sein, dass der Bewerber oder die Bewerberin vor erreichen der Regelaltersgrenze dienstunfähig wird. 

Daran lässt sich ablesen, dass sich langsam etwas ändert. Denn vermutlich sind es auch die veralteten Vorstellungen von „Therapie“ bei vielen Entscheidern, die das Verfahren so unfair machen. Und das Stigma, das psychische Erkrankungen immer noch umgibt. Das glaubt auch Laura: „Man geht ja in vielen Fällen nicht zur Therapie, weil man total kaputt ist, sondern weil man eben den Willen hat, seine Kräfte wieder zu bündeln, was doch eigentlich gut ist. Aber viele in der Gesellschaft glauben immer noch, man muss total am Ende sein, wenn man eine Therapie aufnimmt.“ Nach allem, was sie durch das Verfahren erlebt hat, bleibt Laura aber dabei: „Ich würde immer noch sagen, dass die Gesundheit vorgeht. Ich bereue nicht, dass ich eine Therapie gemacht habe.“

Florian hat bis heute Angst, nicht verbeamtet zu werden – und  schiebt seine Behandlung darum weiter auf: „Tieferliegende Gründe und Probleme spreche ich in meiner Therapie lieber nicht direkt an – weil sie als Gefahr für eine wiederkehrende Depression gelten könnten. Und dann meine Verbeamtung verhindern könnten. Diese Probleme würde ich also eher erst angehen, wenn ich verbeamtet bin.“

*Die Namen der Lehrerin Laura und des angehenden Lehrers Florian haben wir geändert. Sie sind der Redaktion aber bekannt. 

Der Text erschien erstmals am 4. März 2018 und wurde am 12. Oktober 2020 aktualisiert.

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