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Wolfgang M. Schmitt (l.) und Ole Nymoen halten nicht viel von Influencer*innen – und lassen das ziemlich deutlich raushängen.
Foto: Jürgen Bauer/Suhrkamp Verlag

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Auf die Idee, Videos von Influencer*innen an Filmen von Quentin Tarantino zu messen, ist bisher noch niemand gekommen. Vielleicht, weil es keine besonders gute ist. Ole Nymoen und Wolfang M. Schmitt machen es trotzdem. Tarantino erschaffe aus Samples etwas Neues, schreiben sie, doch diese Kunst könne „bei den Influencern nur vergebens gesucht werden“. „So ein Jammer!“, kann man da denken. Oder sich fragen, warum man sie dort überhaupt suchen sollte. Womit zwei Probleme des Buchs „Influencer – Die Ideologie der Werbekörper“ benannt wäre: die Überhöhung des Themas und der Tonfall.

Dabei haben Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt auf knapp 200 Seiten auch viele interessante Punkte zusammengetragen. Die Autoren – bekannt aus ihrem Podcast „Wohlstand für alle“, Schmitt außerdem als Filmkritiker auf Youtube – analysieren das Phänomen Influencer*innen: junge Menschen, die in den sozialen Netzwerken Geld verdienen, indem sie ihren Alltag zeigen und dabei Produkte bewerben. Die Creme, die sie sich morgens ins Gesicht schmieren, den Eiweiß-Drink, den sie sich mittags zusammenrühren.

„Influencer*in“ sei einer der wenigen Jobs, die noch das Aufstiegsversprechen des Kapitalismus einhielten

Die Entstehung des Influencertums leiten die Autoren dabei logisch aus der Geschichte des Kapitalismus und seiner Krise her: der gesättigte Markt, die Etablierung von Werbung und Marken, um den Konsum wieder anzutreiben, die Entstehung des Internets und der personalisierten Werbung. Die Influencer*innen seien die „Krönung“ der Online-Werbung, „das perfektionierte Testimonial“. Plötzlich – und das ist eine gute Beobachtung – würden sich Menschen freiwillig Werbung anschauen. Gleichzeitig sei „Influencer*in“ einer der wenigen Jobs, die noch das Aufstiegsversprechen des Kapitalismus einhielten: es aus dem Nichts zu Ruhm und Geld zu bringen.

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Influencer*innen verdienen ihr Geld mit Werbung. Die beiden Autoren sehen das kritisch.

Foto: AdobeStock / Warren Goldswain / Daxiao Productions

Influencer*innen haben durch ihre Reichweite Macht, Einfluss eben, wie ihr Name schon sagt, was Nymoen und Schmitt zurecht kritisch sehen. Sie zeigen das gut am Beispiel männlicher Fitness-Influencer, die als „Coaches“ ein toxisches Bild von Männlichkeit propagieren. Oder an den Reise-Influencer*innen, die zur Rettung von Korallen aufrufen, während sie einen Lifestyle bewerben, der die Erde ausbeutet. Auch die möglichen negativen Auswirkungen auf Körperbilder oder die unkritische Unterstützung autoritärer Staaten – eine niederländische Agentur vermittelt etwa Influencer*innen für's Nation-Branding nach Saudi-Arabien – halten die Autoren für gefährliche Entwicklungen.

Stimmt alles und ja, es gibt unfassbar dumme Influencer*innen-Aktionen (als ein Beispiel werden Tik-Tok-Nutzer*innen genannt, die sich als KZ-Häftlinge verkleideten, um an den Holocaust zu erinnern). Das Problem ist, dass die Autoren ihre Glaubwürdigkeit durch ihren herablassenden, teils arroganten Ton immer wieder selbst demontieren. In ihrem Ankündigungsvideo zum Buch nennen sie das  „eine gewisse Polemik“. Aber diese Mischung aus neutraler Analyse hier und Nachtreten dort lässt einen als Leserin ratlos zurück: Wollen die mich nun aufklären oder den Influencer*innen eins reinwürgen? In jedem Fall wird schnell klar, dass Nymoen und Schmitt das Phänomen nicht oder nicht nur interessant oder problematisch finden – sondern vor allem Influencer*innen sehr, sehr dumm.

Unsinnigerweise messen die Autoren Influencer*innen an berühmten Männern aus Kunst und Kultur

Das sieht man daran, dass sie hart über diese Menschen urteilen, aber mit keinem und keiner von ihnen gesprochen haben. An ihrer Behauptung, dass Follower*innen ihre Vorbilder „selten ihrer Intelligenz wegen“ schätzten. Oder wenn sie fabulieren, Reise-Influencer*innen sprächen „selten in vollständigen Sätzen, vielmehr geben sie unentwegt Symptominterjektionen von sich“.

„Symptominterjektionen“ ist so ein Wort, mit dem sie sich wohl von den ach so dummen Influencer*innen abheben und ihren Status als Intellektuelle markieren wollen. Gerne nehmen sie dafür auch berühmte Männer aus Kunst und Kultur her, an denen sie die Werbe-Influencer*innen unsinnigerweise messen, obwohl die ja weder Kunst noch Kultur machen wollen: Brecht, dessen „Zuhälterballade“ die Influencer*innen sicher nicht kennen würden, Tarantino, der besser sei als sie, oder Jean-Luc Godard, dessen Schnitttechnik des „Jump Cut“ sie zwar nutzen würden, aber dass der „einmal Avantgarde war und die Brüchigkeit des Subjekts und der Moderne ausdrücken sollte, ist längst vergessen“. Manchmal wirken Nymoen und Schmitt dabei wie Waldorf und Statler aus der Muppet-Show, die aus ihrer Loge heraus frotzeln und sich dabei selbst irre schlau und witzig finden.

Dabei hätten sie die Möglichkeit gehabt, mehr nach oben zu treten. Denn die Macht der Plattformen und Algorithmen kommt zwar immer wieder zur Sprache, diese Kritik wird aber zu wenig ausgeschöpft. Gleichzeitig verpassen die Autoren es, eine Schwäche ihrer Recherche offenzulegen: Wer ein Buch über Werbe-Influencer*innen schreibt und sich dafür stundenlang Werbe-Influencer*innen-Videos anschaut, dem wird der Algorithmus weitere ähnliche Inhalte anbieten. Wenn man das Buch liest, gewinnt man darum schnell den Eindruck, beim Öffnen von Instagram sofort in eine Influencer*innen-Dauerwerbesendung hineinzufallen. Alle anderen Inhalte, künstlerische oder politische etwa, werden von Nymoen und Schmitt durchweg als „Nischen“ bezeichnet. Es sind aber Nischen, in denen sich sehr viele Menschen aufhalten, in deren Timeline nie auch nur eine einzige Reise- oder Fitness-Influencer*innen-Story auftaucht. Aber das zu erwähnen, hätte vermutlich die schöne intellektuelle Klage vom Ende des guten Geschmacks und der Intelligenz kaputt gemacht.

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